A. Fickers: "Politique de la grandeur" vs. "Made in Germany"

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Titel
"Politique de la grandeur" vs. "Made in Germany". Politische Kulturgeschichte der Technik am Beispiel der PAL-SECAM-Kontroverse


Autor(en)
Fickers, Andreas
Erschienen
München 2007: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
450 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Karlsch, Berlin

Im August 1967 begann in der Bundesrepublik und zwei Monate später in Frankreich das Zeitalter des Farbfernsehens. Was die deutschen Farbbilder von den französischen unterschied, war eine kleine technische Differenz. Die Westdeutschen hatten sich für das PAL-System entschieden, während in Frankreich und der Sowjetunion das SECAM-System zur Anwendung kam. Damit wurde die europäische Fernsehwelt in zwei technische Systeme geteilt.

Andreas Fickers hat mit seiner gründlich recherchierten und zudem auch sehr gut lesbaren Dissertation eine politische Kulturgeschichte der Anfänge des Farbfernsehens in Westeuropa, speziell in der Bundesrepublik und Frankreich, vorgelegt. Dazu wurden von ihm im großen Umfang französische sowie deutsche Quellen und Literatur ausgewertet.

Fickers konzentriert sich in seiner Analyse auf die erste Phase der Innovation, das heißt die Invention zweier in etwa gleichwertiger Systeme in den 1950er- und 1960er-Jahren. Ihn interessiert vor allem die Frage, warum die Bemühungen um eine einheitliche Definition für einen europäischen Farbfernsehstandard scheiterten. Gab es ein technisch bestes System? Wer waren die wichtigsten Akteure in den Firmen und in der Politik? Welche Strategien entwickelten sie, um den „nationalen Favoriten“ zu vermarkten?

Der Autor gibt im ersten Kapitel eine komprimierte Einführung in die Anfänge der Farbfernsehentwicklung und deren physikalisch-technische Grundlagen. Das Entwicklungstempo wurde von amerikanischen Firmen bestimmt, die bereits Anfang der 1950er-Jahre auf das Farbfernsehen setzten, als die Sättigungsgrenzen im Bereich der Schwarz-Weiß-Empfänger noch nicht einmal erreicht waren. Als dann 1954 in den USA die Ära des Farbfernsehens begann, steckte in den meisten europäischen Ländern das Schwarz-Weiß-Fernsehen noch in den Kinderschuhen. Kritisch ist zu diesem Kapitel lediglich anzumerken, dass der Beitrag von Manfred von Ardenne und Siegmund Loewe zur Entwicklung der Fernsehtechnik nur in einer Fußnote Erwähnung findet.

Ausführlich wird im zweiten Kapitel die Genesis des von Henri de Fance entwickelten SECAM-Systems und des PAL-Systems von Telefunken-Ingenieur Walter Bruch beschrieben. Seit Ende 1962 entwickelte sich zwischen beiden Erfindern ein Konkurrenzkampf, der zur schrittweisen technischen Verbesserung beider Systeme beitrug. Später versuchten beide Akteure, die Priorität der entscheidenden Patente für sich zu reklamieren.
Im dritten Kapitel untersucht Fickers die unterschiedlichen Modernisierungswege der französischen und deutschen Rundfunk- und Fernsehindustrie. Die Deutschen setzten aus rein wirtschaftsstrategischen Überlegungen auf das PAL-System. Entscheidend dafür war eine Kooperation zwischen Telefunken und dem holländischen Philips-Konzern. In Frankreich hingegen standen industriepolitische Interessen und der Schutz der nationalen Rundfunkindustrie im Vordergrund.
Kapitel vier ist der Politisierung der Entscheidungen für das jeweilige Farbfernsehsystem gewidmet. Interessant ist die These des Autors, dass dem Medium Fernsehen vom französischen Präsidenten Charles de Gaulle eine im europäischen Vergleich beispiellose Bedeutung zugemessen wurde. Während in der Bundesrepublik die föderale Rundfunkorganisation den Aufbau eines eindimensionalen „Staatsfernsehens“ verhinderte, geschah genau dies in Frankreich.

Die sich Mitte der 1960er-Jahre abzeichnende Spaltung der europäischen Fernsehlandschaft wurde von Teilen der Öffentlichkeit kritisch gesehen. Letztlich ging es weniger um wissenschaftlich-technische Fragen, da sich beide Systeme als annähernd gleichwertig erwiesen, als um außen- und wirtschaftspolitische Interessen. Gerade in die Phase der außenpolitischen Neuorientierung Frankreichs fiel auch die Entscheidung für ein eigenes Farbfernsehsystem. Das SECAM-System sollte, so Fickers, zum Symbol des neuen außenpolitischen Kurses de Gaulles werden und die technische Dimension der französisch-sowjetischen Kooperation begründen. Ein französisch-sowjetisches Fernsehabkommen vom Frühjahr 1965 sorgte für erheblichen außenpolitischen Wirbel. Die Strategie der Franzosen bestand darin, über die Sowjetunion den gesamten Ostblock für das SECAM-System zu gewinnen.

Für Zeithistoriker besonders interessant sind die Analysen der Kontroversen über den drohenden „Farbfernsehvorhang“, der sich wie der „Eiserne Vorhang“ zwischen die europäische Fernsehlandschaft zu ziehen drohte. Als sowjetische Techniker begannen, auf der Grundlage des SECAM-Systems ein eigenes Farbfernsehsystem zu entwickeln, fühlten sich die Franzosen getäuscht. Ein europäischer Farbfernsehstandard rückte damit in weite Ferne, da es nunmehr drei konkurrierende Systeme gab.
Am Rande sei vermerkt, dass auch in der DDR leidenschaftlich über die Vor- und Nachteile von PAL und SECAM unter Fachleuten und Laien debattiert wurde. Phasenweise nahmen diese Diskussion beinahe die Züge eines Glaubenskrieges an. Die meisten Deutschen in West und Ost hielten das PAL-System für überlegen. Nur wenige DDR-Bürger kauften sowjetische Fernsehapparate, wobei auch die Furcht eine Rolle spielte, mit diesen die Programme von ARD und ZDF nicht empfangen zu können.

Im abschließenden fünften Kapitel nimmt Fickers eine Analyse des Scheiterns des einheitlichen europäischen Farbfernsehstandards vor. Er räumt dabei auch mit dem teilweise bis heute verbreiteten Mythos vom „besseren System“ auf. Insbesondere Walter Bruch („Mr. PAL“) hatte es verstanden, „sein“ System als das technisch Beste zu inszenieren.

Ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Firmenregister runden die Studie ab. Für eine Dissertation sind ausführliche Quellenverweise unverzichtbar. In einem Publikumsbuch hingegen wirken manch überlange Fußnoten („Seeschlangen“) eher störend und beeinträchtigen die Lesbarkeit. Dem Plädoyer des Autors, Fragen der Technik,- Politik,- Wirtschafts- und Kulturgeschichte nicht getrennt zu behandeln, sondern in stärkerem Maße als bisher üblich zu verbinden, kann man nach dem Lesen seiner gelungenen Analyse nur zustimmen.

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