Cover
Titel
Die MAN. Eine deutsche Industriegeschichte


Autor(en)
Bähr, Johannes; Banken, Ralf; Flemming, Thomas
Erschienen
München 2008: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
624 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benjamin Obermüller, Ruhr Universität Bochum

Seit nunmehr knapp zwei Jahrzehnten beauftragen Unternehmen professionelle Historiker, um ihre Geschichte – vornehmlich die Zeit des Dritten Reichs – aufarbeiten zu lassen. Zahlreiche Banken, Versicherungen und Industriekonzerne haben ihre Archive öffentlich zugänglich gemacht und weitere Forschungen über das eigentliche Jubiläum bzw. ihre Geschichte während der NS-Zeit hinaus angeregt. Mit dem vorliegenden Buch zum 250-jährigen Jubiläum der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN) hat sich Deutschlands größter Maschinenbaukonzern ebenfalls dazu entschlossen seine Geschichte umfassend und vor allem wissenschaftlich korrekt aufarbeiten zu lassen.

Die drei Historiker Johannes Bähr, Ralf Banken und Thomas Flemming haben auf über 500 Seiten die Geschichte des MAN Konzerns – von den Anfängen der St. Antony Hütte in Oberhausen 1758 bis zur Gegenwart faktenreich, gut illustriert und vor allem spannend dargestellt. Natürlich kann man darüber streiten, ob das Jubiläum der MAN 2008 denn nun ein wirkliches ist: Faktisch besteht die MAN erst seit 1840. Durch die Verschmelzung des Gutehoffnungshütte Actienvereins für Bergbau und Hüttenbetrieb (GHH), zu dem die MAN als Tochtergesellschaft gehörte, mit der MAN kann seitdem der Konzern das ursprüngliche Gründungsjahr der Gutehoffnungshütte für sich in Anspruch nehmen. Dieses Prozedere spiegelt sich auch in der Konzeption des Buches wieder: Neben den Anfängen und der Entwicklung der MAN wird in gesonderten Kapiteln – bis zur Übernahme der MAN durch die GHH 1921, auch die Geschichte der Gutehoffnungshütte ausführlich dargelegt.

Die Autoren haben den Stoff in vier Teile gegliedert und unter sich aufgeteilt. Während Ralf Banken die Ursprünge der GHH von 1758 bis zur Konzernentwicklung 1920 schildert, zeichnet Johannes Bähr für die Kapitel zwei und drei, das heißt für die MAN Geschichte von 1849 bis 1920 sowie die Entwicklung von GHH und MAN in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit bis 1960 verantwortlich. Das abschließende Kapitel von 1960 bis zur Gegenwart wird von Thomas Flemming bearbeitet.

Die „Wiege der Ruhrindustrie“, die Hütte St. Antony in Osterfeld (heute ein Stadtteil von Oberhausen), 1758 vom Pionier der Eisenverarbeitung Franz Haniel gegründet, markiert den Ausgangspunkt der Darstellung. Der Münsteraner Domherr Franz Ferdinand von Wenge errichtete die Hütte, um das große Rasensteinerzvorkommen in der Gegend um das heutige Oberhausen für das daraus zu gewinnende Gusseisen zu nutzen. Nach bescheidenen Anfängen und einer gewissen „Ziellosigkeit“ in der Entwicklung der Hütte führte der Zusammenschluss der benachbarten Hütten „Gute Hoffnung“ und „Neu-Essen“ zur Gründung der Hüttengewerkschaft Jacobi, Haniel und Huyssen (JHH). Die drei Gründer brachten ihre unterschiedlichen Fähigkeiten zusammen: Während Gottlob Jacobi als Hütteninspektor über wichtiges technisches Know-how verfügte, brachte die Familie Haniel ihre finanziellen und kaufmännischen Erfahrungen in das Unternehmen ein. Diese fruchtbare Kooperation führte zu einer erfolgreichen Entwicklung von JHH in den folgenden Jahrzehnten. Durch die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien war die JHH ihrer Konkurrenz an Rhein und Ruhr immer einen entscheidenden Schritt voraus: Als eine der ersten Firmen begann die JHH mit dem Bau von Dampfmaschinen. 1849 und 1853 kamen der Brückenbau bzw. der Kohlenbergbau hinzu. Unter der Leitung von Wilhelm Lueg wuchs die JHH zu einem Großunternehmen, das 1873 in GHH umbenannt wurde. Bis zur Entlassung aus der Entflechtung der GHH 1953 sollte dieser Name nicht mehr geändert werden.

Neben diesem Wirtschaftszweig des Unternehmens bildete sich ein weiterer Bereich in Franken aus: 1840 gründete Ludwig Sander in Augsburg eine Maschinenfabrik, die zunächst für die Augsburger Textilindustrie produzieren sollte. Die 1841 gegründete Fabrik von Johann Friedrich Klett in Nürnberg produzierte zunächst auch für die örtlichen Abnehmer, in diesem Falle die Eisenbahn zwischen Fürth und Nürnberg. Das Unternehmen wurde ebenfalls 1873 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Fortan unter dem Namen „Maschinenbau-Actien-Gesellschaft Nürnberg“.

Die Maschinenfabrik Augsburg entwickelte sich unter dem Direktor Heinrich von Buz rasch weiter. So war von Buz als erster Unternehmer „bereit, den von Rudolf Diesel erfundenen Motor bauen zu lassen“ (S. 478). Der Motor wurde in Augsburg hergestellt und gelangte mit Hilfe der Ingenieure vor Ort in wenigen Jahren zur Marktreife. Damit katapultierte er die Maschinenfabrik Augsburg an die Spitze der Unternehmen für Dieselantrieb. Um ebenfalls Dieselmotoren herstellen zu können, schloss die Maschinenbau-Actien-Gesellschaft Nürnberg einen Lizenzvertrag mit der Augsburger Konkurrentin, der 1898 in die Fusion beider Unternehmen zur „Vereinigten Maschinenfabrik Augsburg und Maschinengesellschaft Nürnberg“ führte. Zehn Jahre später nannte sich das Unternehmen in „Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg“ (MAN) um.

Ein einschneidendes Erlebnis in der Konzerngeschichte war die Übernahme der MAN durch die GHH 1920/21. Paul Reusch verfolgte die Strategie, die GHH zu einem vertikalen Konzern auszubauen, „der vom Bergbau bis zum Fahrzeugbau“ (S. 478) alle Fertigungsstufen abdeckte. An der Spitze von MAN und GHH standen in den 1920er- und 1930er-Jahren Otto Meyer und Paul Reusch. Beide wurden während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt: Meyer, weil er mit einer Jüdin verheiratet war; Reusch, weil seine anfängliche „Begeisterung“ über Hitler im Laufe der 1930er-Jahre stark abnahm, so dass er 1942 gezwungen wurde, den Posten als Generaldirektor der GHH zu räumen. Sein Sohn Hermann Reusch, der ebenfalls seit 1935 dem Vorstand des Konzerns angehörte, trat aus Loyalität zu seinem Vater freiwillig von seinem Amt zurück.

Johannes Bähr geht sehr detailliert auf die Entwicklungen von GHH und MAN im Dritten Reich ein. Beide Unternehmen waren tief in Rüstungsgeschäfte verstrickt. Beim Einsatz von Zwangsarbeitern unterschied sich das Verhalten der Vorstände nicht von denen anderer Unternehmen. Zeitweise waren bei GHH und MAN 31.500 Zwangsarbeiter beschäftigt. Dagegen waren KZ Häftlinge allerdings nicht in den Konzernwerken eingesetzt.

In der Nachkriegszeit führte die Politik der Alliierten Siegermächte und die von Ihnen eingeleitete und umgesetzte Entflechtung der Großunternehmen zur Aufspaltung der GHH: Die Bereiche Kohle und Stahl wurden aus dem Konzern ausgegliedert und in selbständige Unternehmen überführt (Bergbau AG, Neue Hoffnung für Kohle und Hüttenwerk Oberhausen AG (HOAG)). Dadurch verschoben sich die Verhältnisse innerhalb des Gesamtkonzerns: Durch die Aufspaltung wurde die MAN größer als die GHH.

Der Zeitraum von 1945 bis zum Ausscheiden von Generaldirektor Hermann Reusch, der Hermann Kellermann auf diesen Posten gefolgt worden war, wird zum Teil eher nur holzschnittartig dargestellt. Johannes Bähr zeichnet einige große Linien der Entwicklung nach, geht aber nicht ins Detail, was angesichts der Konzeption des Buches und des Zeitrahmens jedoch plausibel ist.

Der Hinweis, dass Hermann Reusch, der sicherlich zu den streitbarsten Unternehmern in der Bundesrepublik gehörte, die Hauptversammlungen der GHH aus Verehrung Kaiser Wilhelms II. jedes Jahr auf dessen Geburtstag (27. Januar) gelegt hat, stimmt allerdings nicht. Trotz Reuschs herber Kritik an den Gewerkschaften und an der Politik der Bundesregierung ist es verfehlt ihn als einen nostalgischen Monarchieanhänger zu bezeichnen. Zudem wird die Rolle und Bedeutung der Familie Haniel zu wenig berücksichtigt. Dass Reusch sich gegen einen Einstieg von Versicherungen und Banken bei der GHH wehrte, ist in erster Linie den Familieninteressen der Haniels geschuldet. Als „Hausmeier“ der Duisburger Traditionsfamilie standen für Reusch die Interessen der Familie an erster Stelle und erst danach kamen die Konzerninteressen. Die beiden zur Zeit entstehenden Dissertation zu Paul und Hermann Reusch werden einige der hier nur kurz angesprochenen Aspekte vertiefend behandeln und sicherlich zu neuen Ergebnissen kommen.1

Erst mit der Ablösung Reuschs durch Dietrich Wilhelm von Menges änderten sich die Konzernstrategien der Haniels, nicht zuletzt aufgrund der veränderten konjunkturellen Rahmenbedingungen. Tochtergesellschaften wurden fusioniert und Fremdkapital ins Unternehmen geholt, damit der Unterkapitalisierung der GHH entgegengesteuert werden konnte. Durch mehrere Kapitalerhöhungen verminderte sich der Aktienanteil der Haniels stetig. Nachdem die Familie ihre letzten Aktien abgestoßen hatte, fusionierte die MAN 1986 mit der GHH. In den 1990er-Jahren steigerte die MAN ihr Auslandsgeschäft deutlich und fokussierte ihre Produktion auf den Nutzfahrzeug- und Dieselmotorenbau.

Das letzte Kapitel von Thomas Flemming ist durch die zeitliche Nähe zum Untersuchungsgegenstand geprägt. Die Analyse dieses Bereichs leidet vor allem darunter, dass die Unternehmensakten der letzten 30 Jahre nicht eingesehen werden konnten. Der Informationsgehalt beschränkt sich daher zum Teil auf Geschäftsberichtsniveau.

Die Publikation zur Geschichte der MAN ist sehr gelungen und zeigt, wie eine gut geschriebene, fundiert recherchiert und ansprechend aufgemachte Unternehmensgeschichte aussehen kann. Dabei standen die drei Autoren sowohl einer Flut an Akten zur MAN und GHH gegenüber, als auch einigen Forschungsdesideraten zu den beiden Unternehmen. Ausdrücklich möchte der Rezensent auch den für ein gebundenes Buch dieses Umfangs niedrigen Preis loben. Nicht zuletzt dadurch wird die MAN-Geschichte einen breiten Leserkreis erreichen.

Anmerkung:
1 Christan Marx bereitet derzeit eine Dissertation zum Netzwerkhandeln von Paul Reusch an der Universität Trier vor. Benjamin Obermüller, Ruhr-Universität Bochum, arbeitet aktuell an seiner Dissertation zu Hermann Reusch als Generaldirektor der GHH 1945-1966.

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