Cover
Titel
Ibas von Edessa. Rekonstruktion einer Biographie und dogmatischen Position zwischen den Fronten


Autor(en)
Rammelt, Claudia
Reihe
Arbeiten zur Kirchengeschichte 106
Erschienen
Berlin 2008: de Gruyter
Anzahl Seiten
X, 344 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Volker Menze, Seminar für Alte Geschichte, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Ibas, Bischof von Edessa (435–457), ist einer der bekanntesten Protagonisten in den christologischen Auseinandersetzungen des 5. und 6. Jahrhunderts. Dies ist um so erstaunlicher, als sich weder zu seiner Person noch zu seinen christologischen Standpunkten substantielles Quellenmaterial erhalten hat. Ibas erlangte seine Reputation vor allem durch einen Brief, der selbst noch nach Ibas’ Tod einen zentralen Streitpunkt in den christologischen Auseinandersetzungen nach dem Konzil von Chalkedon (451) darstellte. Die Kirchenhistorikerin Claudia Rammelt hat es sich in ihrer Dissertation zur Aufgabe gemacht, sowohl Ibas’ Leben als auch seine Stellung bzw. Rezeption in den kirchenpolitischen Streitigkeiten des 5. und 6. Jahrhunderts erstmals ausführlich zu untersuchen.

Ihr Buch „Ibas von Edessa. Rekonstruktion einer Biographie und dogmatischen Position zwischen den Fronten“ ist in sieben Kapitel mit zahlreichen Unterabschnitten gegliedert; eine ausführliche Bibliographie (S. 298–339) und ein knappes Register (S. 340–344) schließen das Buch ab. In der kurzen Einleitung (S. 1–7) werden die Quellen, die Forschungssituation sowie Ziele und Methode der Arbeit benannt. Neben Ibas’ christologischer Position und dem Streit um seine Person setzt Rammelt sich berechtigterweise zum Ziel, die Auseinandersetzungen um Ibas auch nach dessen Tod bis zum zweiten Konzil von Konstantinopel (553) zu verfolgen. Es folgt ein Kapitel über „Edessa als Wirkungsstätte des Ibas“ (S. 9–34), in dem recht allgemein historische, administrative, soziale und religiöse Entwicklungen der nordmesopotamischen Stadt vom Hellenismus bis in die Spätantike vorgestellt werden. Im dritten Kapitel „Biographische Notizen“ (S. 35–61) geht Rammelt zunächst auf die Bedeutung des Namen hībā/Ibas ein, bevor sie sich dem Tätigkeitsfeld des Ibas als Mitarbeiter der „Perserschule“ vor seiner Wahl zum Bischof (S. 40–54) und seinem Wirken als Bischof in Edessa (S. 54–61) widmet. Unklar ist, warum Rammelt hier nur auf ältere Literatur zurückgreift, nicht aber Adam Beckers Werk zur Schule von Nisibis 1 heranzieht, das sie in ihrer Bibliographie hingegen anführt. Da Becker durch sorgfältige Quellenanalyse überzeugend darlegt, dass wahrscheinlich weder Ibas mit der sogenannten „Schule der Perser“ assoziiert noch diese als besonders dyophysitisch identifiziert werden sollte 2, müssen einige von Rammelts Schlussfolgerungen sicherlich hinterfragt werden. Der Leser hätte sich in diesem Kapitel auch eine kurze Skizze über die bekannten Fakten von Ibas’ Episkopat gewünscht: dass Ibas bis 457 als Bischof in Edessa residierte, erfährt er so erst auf S. 237 in einem anderen Kontext.

Das vierte Kapitel bietet eine Übersetzung und detaillierte Analyse des Briefes an Mari (S. 62–110). Rammelt geht den verschiedenen Überlieferungen des Briefes nach und unterzieht ihn einer sprachlichen und christologischen Untersuchung. Hier schließt sich nahtlos eine kurze Darstellung der dem Ibas zugeschriebenen Aussage, er beneide Christus nicht, an (S. 100–110). Im fünften Kapitel „Ibas und die christologischen Auseinandersetzungen“, das nicht allein durch seine Länge (S. 111–234) das Kernstück der Arbeit bildet, spannt Rammelt den Bogen vom Konzil von Ephesus im Jahre 431 bis zum Konzil von Chalkedon im Jahre 451. In diesen zwanzig Jahren hatte Ibas sich verschiedener Anklagen, sowohl christologischer als auch pastoraler Natur, zu erwehren. Mit Hilfe der wenigen Quellenzeugnisse, die wir zu Ibas besitzen, bettet Rammelt den Bischof von Edessa in die ausufernden kirchenpolitischen Auseinandersetzungen ein, deren Höhepunkt das zweite Konzil von Ephesus im Jahre 449 bildete, auf dem Ibas als Häretiker verdammt wurde (S. 180–220).

Wichtig in seiner Anlage ist Kapitel sechs, da hier Ibas’ „Rezeption und Widerspruch nach dem Konzil von Chalcedon“ im 5. und 6. Jahrhundert untersucht werden sollen. Allerdings enttäuscht Rammelts Analyse, die sich teilweise mit einer schlichten Paraphrasierung von Quellentexten verschiedener Provenienz begnügt (S. 252–263), ohne diese einer tiefergehenden Untersuchung zu unterziehen. Überraschend für den kundigen Leser ist Rammelts Kapitel 6.5 über „Die reichskirchliche Verurteilung des Ibas im Jahre 553“ (S. 274). Das zweite Konzil von Konstantinopel im Jahre 553 verdammte die sogenannten „Drei Kapitel“, die Person und das Werk des Theodor von Mopsuestia, die dogmatischen Schriften des Theodoret und den Brief des Ibas an Mari. Allerdings behauptete das Konzil, dass der Brief gar nicht von Ibas verfasst sei, um Ibas – und damit implizit das Konzil von Chalkedon – von jeglicher Nähe zur „nestorianischen“ Häresie freizusprechen. Deshalb kann nicht von einer reichskirchlichen Verdammung des Ibas gesprochen werden. Rammelt beschreibt zurecht die Verdammung der „Drei Kapitel“ als konstruiert und tendenziös und beklagt, dass das Konzil nicht der Wahrheitssuche diente. Dabei übersieht sie aber die Intention der Protagonisten, die gezielt die Überlieferung manipulierten, um sowohl das Konzil von Chalkedon als rechtmäßig beizubehalten als auch gleichzeitig Gründe in der Hand zu haben, die „Drei Kapitel“ zu verdammen. In einer kurzen Zusammenfassung resümiert Rammelt ihre Ergebnisse (S. 290–297).

Der Wert von Rammelts Werk liegt in der übergreifenden Darstellung von Leben und Wirken des Ibas im 5. Jahrhundert, verknüpft mit den Nachwirkungen im 6. Jahrhundert. Die Frage, warum eine Person wie Ibas Prominenz erlangte und im gleichen Atemzug wie Theodoret von Cyrrhus, Theodor von Mopsuestia, Diodor von Tarsus und Nestorius genannt wird, ist kirchen- und damit im christlichen Imperium Romanum auch innenpolitisch hoch relevant. Aus einer lokalen Krise wird eine Angelegenheit von reichsweiter Bedeutung, wie die Verurteilung des Ibas durch das zweite Konzil von Ephesus und seine Rehabilitierung in Chalkedon zwei Jahre später zeigen. Das sich damit aber der Streit um Ibas nicht erschöpft hat, zeigt Rammelt, indem sie ihre Dissertation bis zum zweiten Konzil von Konstantinopel ausdehnt.

Um so bedauerlicher sind die Schwächen in Rammelts Ausarbeitung: Neben den schon diskutierten Problemen wären zum einen sachliche Unachtsamkeiten vermeidbar gewesen.3 Zum anderen, und weitaus bedenklicher, sind Rammelts Terminologie und Geschichtsverständnis: der von ihr verwendete, aber vorurteilsbehaftete Terminus „Monophysitismus“ ist inzwischen in der Forschung von Begriffen wie „Miaphysitismus“ oder „Nicht-Chalkedonismus“ abgelöst. Dass dies bei Rammelt nicht nur sprachliche Probleme sind, sondern konkret Auswirkungen auf ihre Argumentation hat, wird bei Unterkapiteln wie „Edessa zwischen reichskirchlicher Orthodoxie und Monophysitismus“ (S. 236) oder „Die monophysitische Verketzerung“ (S. 243) deutlich. „Monophysiten“ erscheinen als Störer des reichskirchlichen Friedens, während Ibas als Verfechter der reichskirchlichen Tradition auftritt (S. 255). Reichskirchliche Tradition ist aber – anders als Rammelt hier postuliert – keine unveränderbare Größe, sondern unterliegt politischen oder historischen Veränderungen, wie sie beispielsweise durch die Konzilien von Ephesus I, Ephesus II oder Chalkedon hervorgerufen wurden – mit all ihren kirchenpolitischen Konsequenzen auch in Bezug auf eine Definition von „Orthodoxie“. Daher kann auch nicht von Chalkedon als historischer Notwendigkeit gesprochen werden (S. 222). Eine solche Argumentation verhindert eine angemessene historische Analyse und mindert die wissenschaftliche Aussagekraft von Rammelts Untersuchung der christologischen Kontroverse aus Sicht des Ibas, deren Bedeutung außer Frage steht.

Anmerkungen:
1 Adam Becker, Fear of God and the Beginning of Wisdom: The School of Nisibis and Christian Scholastic Culture in Late Antique Mesopotamia, Philadelphia 2006.
2 Becker, Fear of God, S. 64.
3 Dieselbe Stadt wird wahlweise Hierapolis oder Mabbug genannt; selbst Edessa wird einmal Ōrhai genannt (S. 30); und warum sich Rammelt für die griechische Form „Ibas“ (statt dem syrischen „Hiba“) entscheidet, aber bei Ibas’ Nachfolger von „Qura“ (und nicht von „Cyrus“ wie in westlichen Quellen) spricht, bleibt unklar.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension