R. Faber u.a. (Hrsg.): Populismus in Geschichte und Gegenwart

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Titel
Populismus in Geschichte und Gegenwart.


Herausgeber
Faber, Richard; Unger, Frank
Erschienen
Anzahl Seiten
277 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Hartleb, Institut für Politikwissenschaft, Technische Universität Chemnitz

Populismus (von lat. populus = Volk) ist ein ungenauer, schillernder und nebulöser Begriff. Eine präzise Definition erscheint durch seine Inkonsistenz nur schwer möglich, zumal er im politischen Alltag, inflationär gebraucht, nahezu ausschließlich polemische Wirkung entfaltet.1 Er scheint weniger das Kind einer historischen Genealogie oder geistig-ideengeschichtlichen Fortentwicklung zu sein. Daher verwundert es kaum, dass er in der wissenschaftlichen Diskussion erst spät, zuerst 19692 und dann erst wieder in den 1980er-Jahren aufgenommen wurde. Nur zwei Merkmale sind den Referenzbeispielen ganz unterschiedlicher Provenienz gemeinsam: die Berufung auf ein als homogen verstandenes „Volk“ mit besonderen Blick auf den „kleinen Mann“ sowie eine anti-elitäre Haltung.3 Wissenschaftlich besteht immer noch kein Konsens darüber, ob der Populismus einen festen Platz finden soll. Überzeugend wurde aber seine Verankerung in der Parteienlehre („neuer rechtspopulistischer Parteientypus“4) sowie bei der abstrakten ideengeschichtlichen Suche nach „dritten Wegen“ zwischen Individualismus und Kollektivismus und dem Umbau des Wohlfahrtsstaates5 nachgewiesen.

Nun nimmt sich ein neuer Sammelband einer rettenden Kritik an, wie die Herausgeber Richard Faber und Frank Unger im Vorwort ausdrücklich betonen. Drei Kapitel gliedern die insgesamt zwölf Beiträge, erstens Populismus in Antike und Moderne, zweitens amerikanische und europäische Populismen seit dem späten 19. Jahrhundert sowie drittens ein Rück- und Ausblick. Interessanterweise wird nun eine neue begriffsgeschichtliche Untermauerung versucht, ein in dieser Form neuer Rückgriff auf die griechisch-römische Antike. Dieser Einfallsreichtum des Autors Lukas Thommen rechtfertigt sich durch die naheliegende Wortherkunft, zumal die Plebs mit ihren Volkstribunen in bis heute typischer Konstruktion einen Kampf gegen „die-da-oben“ führte. Die kurzen Ausführungen sollten weiter vertieft werden. Francesca Vidal macht im Anschluss die Bedeutung der Auseinandersetzung mit Populismus in der praktischen Rhetorik von heute deutlich. Auch der Schwenk zum US-amerikanischen Populismus von gestern und heute macht Sinn: Als historischer Vorläufer populistischer Bewegungen gilt die gegen Verstädterung und Monopolisierung gerichtete Farmerbewegung in den USA Ende des 19. Jahrhunderts. Die 1891 gegründete Populist Party (auch bekannt als People's Party) mit konkret-politischen Forderungen wie Referenden, die Möglichkeit der Abwahl von Amtsträgern (recall) und das Frauenwahlrecht brachte die Ausdrücke „populism“ und „populist“ in Umlauf. Später, mit einer Wirkung bis heute, steht der Rechtspopulismus in enger Traditionslinie mit dem Fundamentalismus, wie der Herausgeber Frank Unger in seinem Beitrag aufzeigt. Ein Blick auf Polen, stellvertretend für Osteuropa, erhellt eine andere problematische Querverbindung des Populismus in dieser Region. Dort hat er starke nationalistisch-antisemitische Konnotationen, wie eine Analyse des Radiosenders Radio Maryja vor Augen führt.

Seit den frühen 1980er-Jahren können neuartige, in erster Linie rechtspopulistische Parteien mit einer Anti-Establishment-Haltung, Protestthemen und einer charismatischen Führungspersönlichkeit immer wieder Wahlerfolge auf nationaler Ebene erzielen, so in Frankreich, Österreich, Italien, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz und Skandinavien. Zwei Fallstudien, Dänemark und Italien, erläutern die gesamtgesellschaftliche Wirkung von Populismus. Er vermag auch die politische Kultur eines Landes nachhaltig zu verändern. Ein weiterer bemerkenswerter Beitrag von Michael Kohlstruck arbeitet aus dem Blick der erstaunlich selten untersuchten Zeitung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) „Deutsche Stimme“ den wichtigen Unterschied zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus heraus. Der Rechtspopulismus muss sich in erster Linie nicht durch Verfassungsfeindschaft auszeichnen. Anders als Extremismus baut der Rechtspopulismus nicht auf Rassismus, ein Setzen von Absolutheitsansprüchen und Dogmatismus. Vielmehr ist er, von dem gerade ums Leben gekommenen Österreicher Jörg Haider trotz dessen gelegentlicher Tabubrüche perfekt verkörpert, weniger starr ideologisch, flexibler und opportunistischer ausgerichtet. Kohlstruck macht hier freilich klar, dass der Rechtspopulismus das typische anti-elitäre Moment immer mit Ausgrenzung verbindet, welche latente oder offene Vorurteile, Neidgefühle oder Klischees befrieden soll. Horizontal rücken als exklusives Element Feindbilder wie die „Immigranten, Minderheiten, oder Kriminelle“ ins Visier, ebenso eine Institution wie die Europäische Union, die Populisten in Europa als Bedrohung nationaler Identität wahrnehmen. Dass Populismus immer auch ein Medienphänomen ist, erklärt den Kult um Jörg Haider als zentrale Figur des europäischen Rechtspopulismus. Sein Tod, selbst verursacht durch stark überhöhte Geschwindigkeit und Alkohol im Blut, sorgte schnell zu Verklärung und Legendenbildung.

Der Populismus gibt vor, den wahren Volkswillen zu verkörpern und diesen „unverfälscht“ wiederzugeben. Dem „Volk“, das – angeblich – keine Klassengegensätze kennt, sondern in dem das Prinzip der Gleichheit herrscht, sprechen Populisten im Sinne einer identitären Demokratieauffassung eine gleichsam „natürliche“ Fähigkeit zu, über das Richtige entscheiden zu können. Gut zeigt der Sammelband, quasi als „roter Faden“, die Zwiespältigkeit des Populismus: Einerseits verkörpert der Begriff schon von seiner Bedeutung her demokratische Ideale. Populismus ist nach dieser Logik ein fester Bestandteil von Demokratie. Andererseits, gemäß dem Suffix -mus, intendiert Populismus schon per se eine Übersteigerung, welche sich auch gegen Normen des modernen demokratischen Verfassungsstaats, namentlich Repräsentativkörperschaften und Bürokratismus, richten kann. An dieser Stelle kann der eigentlich mit unterschiedlichen Ideologien kompatible Populismus selbst Ideologiegehalt annehmen. Dennoch wirkt die abschließende Fundamentalkritik von Wolf-Dieter Narr überzogen und irritierend zugleich. Wenig sachlich ist es, eine Fundamentalkritik an der Demokratie vorzunehmen und die Bundesrepublik wegen ihres Repräsentativprinzips als „verstockt und vertrocknet“ (S. 276) zu bezeichnen. An dieser Stelle schließt der ansonsten sehr ergiebige Sammelband.

Anmerkungen:
1 Vgl. Florian Hartleb, Rechts- und Linkspopulismus. Eine Fallstudie anhand von Schill-Partei und PDS, Wiesbaden 2004; Ders., Populismus, in: Martin Hartmann / Claus Offe (Hrsg.), Lexikon der politischen Philosophie und Theorie, München 2009, im Erscheinen.
2 Vgl. Ghita Ionesco / Ernest Gellner: Populism. Its Meanings and Characteristics, London 1969.
3 Vgl. Margaret Canovan, Populism, London 1981.
4 Vgl. Frank Decker: Parteien unter Druck. Der neue Rechtspopulismus in den westlichen Demokratien, Opladen 2000.
5 Vgl. Karin Priester, Populismus. Historische und aktuelle Erscheinungsformen, Frankfurt am Main 2007.

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