W. Ziegler: Die Entscheidung deutscher Länder für oder gegen Luther

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Titel
Die Entscheidung deutscher Länder für oder gegen Luther. Studien zu Reformation und Konfessionalisierung im 16. und 17. Jahrhundert. Gesammelte Aufsätze


Autor(en)
Ziegler, Walter
Reihe
Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 151
Erschienen
Münster 2008: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
IX, 438 S.
Preis
€ 62,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lothar Vogel, Facoltà valdese di teologia, Roma

Der Würzburger, später Münchener Historiker Walter Ziegler, dessen Kritik die Diskussion über die Konfessionalisierung seit gut 15 Jahren begleitet, hat einige seiner wichtigsten Aufsätze in einem Sammelband zum Wiederabdruck gebracht. Im Zentrum steht dabei, wie nicht anders zu erwarten, eben die Konfessionalisierung, daneben aber weist der Band einen weiteren Schwerpunkt auf, nämlich die Frage nach dem Schicksal von Orden und Stifte in der Reformationszeit. Die Aufsätze sind nicht noch einmal überarbeitet worden; beigefügt ist allerdings eine Auswahlbibliographie der in den Artikeln noch nicht angeführten Literatur. Ferner enthält der Band eine Bibliographie des Verfassers, beschränkt freilich auf Beiträge zur Geschichte der frühen Neuzeit.

Eine zusammenhängende Lektüre der Veröffentlichungen Zieglers macht die Genese seines Widerspruchs gegen die Konfessionalisierungsthese gut nachvollziehbar. Ein Aufsatz aus dem Jahr 1990 („Territorium und Reformation: Überlegungen und Fragen“, S. 33-59) nimmt diese Konzeption noch positiv auf und datiert die katholische Konfessionalisierung im Zeitraum zwischen dem Augsburger Religionsfrieden und dem Dreißigjährigen Krieg. In einem Beitrag aus dem Jahr 1993 („Typen der Konfessionalisierung in katholischen Territorien Deutschlands“, S. 129-143) erscheint der strittige Begriff noch im Titel, im Text hingegen wird der Terminus „katholische Konfessionalisierung“ – so der Name der Tagung, auf der dieser Vortrag gehalten wurde – bereits explizit abgelehnt. Zieglers Kernargumente sind, dass zum einen der strukturalistische Ansatz dieser These das Gewicht der theologischen Wahrheitsfrage außer Acht lasse und zum andern zwischen der katholischen Kirche und den reformatorischen Konfessionen insofern ein fundamentaler Unterschied bestehe, als die erstere „eine sehr weitgehende Kontinuität mit der mittelalterlichen Kirche“ (S. 142) aufweise. Im Kern liegt hier bereits all das vor, was Walter Ziegler im Jahr 1999 dann in pointierterer Form ausgeführt hat („Kritisches zur Konfessionalisierungsthese“, S. 173-188, „Sozial- und Religionsgeschichte in Deutschland in der frühen Neuzeit. Eine historiographische Bilanz“, S. 15-31).

Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, die Auffassungen Zieglers, die bereits eingehend diskutiert worden sind 1, nochmals kritisch zu prüfen. Ohne Frage hat sein Widerspruch zur Differenzierung des ursprünglichen Konzepts beigetragen. Zudem ist zu beachten, dass er gerade in seiner Ablehnung der These einer katholischen Konfessionalisierung ein zentrales Element der Konfessionalisierungsthese positiv aufnimmt, nämlich die Einsicht, dass auf der Ebene der gelebten Religiosität die Auswirkungen der Reformation in einem Prozess zu fassen sind, der in vielen Territorien erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an Intensität gewann und sich über mehrere Generationen erstreckte (vgl. z.B. „Kritisches zur Konfessionalisierungsthese“, S. 157). Hier zeigt sich, dass Zieglers Position sich aus der Diskussion um die Konfessionalisierung heraus entwickelt hat und in gewisser Hinsicht mit ihr verbunden bleibt.

Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang auch Zieglers Ausführungen zur Geschichte der Hochstifte („Die Hochstifte des Reiches im konfessionellen Zeitalter 1520-1618“, S. 79-113, zuerst veröffentlicht 1992). Hier geht er von zwei grundlegenden Beobachtungen aus. Zum einen bestanden jene Hochstifte, in deren Territorium die Reformation eingeführt wurde, aufgrund reichsrechtlicher Garantien sowie aufgrund der Machtansprüche der ebenfalls weiterexistierenden Domkapitel in der Regel zumindest bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges fort. Dem entspricht in gewisser Hinsicht die zweite Beobachtung, nämlich dass gerade in den Hochstiften die Durchsetzung klar definierter konfessioneller Verhältnisse auffallend spät geschah, was Ziegler mit dem spezifisch mittelalterlichen und in diesem Sinne konservativen Charakter dieser Herrschaftsform erklärt. Ziegler selbst verfolgt hier – ein Jahr vor seinem programmatischen Widerspruch gegen die Konfessionalisierungsthese – durchaus noch die Methodik des Strukturvergleichs konfessionell ungleich positionierter Territorien und verwendet dafür auch den später abgelehnten Begriff.

Die konservative Haltung der Hochstifte war, wie Ziegler in diesem Aufsatz ausführte, möglich, solange Kaiser und Papst, die beiden traditionellen Säulen hochstiftischer Herrschaft, bei aller Gegnerschaft zur Reformation noch nicht im konfessionalisierenden Sinne handelten – also bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. In der sich daran anschließenden definitiven Polarisierung jedoch war auch für die Hochstifte eine unzweideutige Positionsbestimmung unumgänglich. Hier freilich hatten die katholischen Hochstifte nach Ziegler nun doch einen wesentlichen Vorteil, da sie das Ineinander von weltlicher und geistlicher Gewalt leichter aus ihren mittelalterlichen Wurzeln heraus begründen konnten. Dieser Kontinuität gegenüber, die den Aufstieg des Katholizismus im Barock-Absolutismus vorbereitete, befanden sich die evangelischen Hochstifte in einer wesentlich schwierigeren Situation: Dort nämlich gelang es nicht, katholische „Restbestände“ (S. 105) in den Domkapiteln und klösterlichen Konventen zu beseitigen. Angesichts der allgemeinen Tendenz zur Intensivierung der Herrschaftsformen hatte das evangelische Hochstift deshalb im 17. Jahrhundert keine Zukunft mehr. Gerade diese Ausführungen machen deutlich, dass Zieglers Kontinuitätsargument letztlich nicht so theologisch-normativ gemeint ist, wie es auf den ersten Blick erscheint, sondern in den Hochstiften einen konkreten Forschungshintergrund besitzt.

Ein letztes Wort sei dem gewählten Titel gewidmet: Wohl als Antithese zum strukturalistischen Ansatz ist hier von der „Entscheidung deutscher Länder für oder gegen Luther“ die Rede. Abgesehen davon, dass „Länder“ sich nicht entscheiden können, lädt gerade diese Formulierung zu einer verkürzenden Rezeption der Zieglerschen Forschungen ein. Dies freilich ist gerade nicht die Wirkung, die man diesem Buch wünschen möchte.

Anmerkung:
1 Vgl. dazu Anton Schindling, Konfessionalisierung und Grenzen der Konfessionalisierbarkeit, in: Ders. / Walter Ziegler (Hrsg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650, Bd. 7 (Katholisches Leben und Kämpfen, 57), Münster 1997, S. 9-44; Wolfgang Reinhard, „Konfessionalisierung“ auf dem Prüfstand, in: Joachim Bahlcke / Arno Strohmeyer (Hrsg.), Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, 7), Stuttgart 1999, S. 79-103. Einen Überblick über die gesamte Diskussion bieten Stefan Ehrenpreis /Ute Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter (Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2002, S. 62-79.

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