S. Gerlinger: Römische Schlachtenrhetorik

Cover
Titel
Römische Schlachtenrhetorik. Unglaubwürdige Elemente in Schlachtendarstellungen, speziell bei Caesar, Sallust und Tacitus


Autor(en)
Gerlinger, Stefan
Reihe
Kalliope 7
Erschienen
Anzahl Seiten
452 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Josef Löffl, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Universität Regensburg

In vielerlei Hinsicht muss die Arbeit von Gerlinger mit Lob bedacht werden. Während die Klassische Philologie auf Grund eines „modernen“ Selbstverständnisses als reine Literaturwissenschaft droht, jeglichen Bezug zu ihren angestammten althistorisch-archäologischen Nachbardisziplinen zu verlieren und bei den Vertretern der Alten Geschichte und Archäologie grundlegende Fertigkeiten im Bereich der Alten Sprachen offenbar in Zukunft nicht mehr vorausgesetzt werden dürfen, stellt sich der Autor in seiner überarbeiteten Dissertation „Römische Schlachtenrhetorik: unglaubwürdige Elemente in Schlachtendarstellungen, speziell bei Caesar, Sallust und Tacitus“ einer wahren altertumswissenschaftlichen Sisyphosaufgabe. In der Begrifflichkeit der „Schlachtenrhetorik“ an einen Aufsatz von Lendon1 anschließend ist die Darstellung inhaltlich auf die „Untersuchung der einzelnen unglaubwürdigen Elemente und Motivgruppen der Schlachtendarstellungen“ fokussiert (S. 25f.), bei denen es sich – wie Gerlinger im folgenden einleuchtend darlegt – um „kulturell bedingte Darstellungselemente“ (S. 23) handelt, die einen für den modernen Leser schwer nachvollziehbaren Mittelweg zwischen historischer Korrektheit und offensichtlicher Verfälschung schaffen. Das Herausarbeiten dieser Topoi stellt die primäre Ausrichtung der Publikation dar. Bewusst zielt Gerlingers Analyse dabei auf Caesar, Sallust und Tacitus ab, da deren persönlicher militärischer Erfahrungsschatz zweifelsohne ein völlig anderer ist als etwa der eines Titus Livius, um so nie Gefahr zu laufen, ein als unglaubwürdig einzustufendes Element in der Schilderung einer Kampfhandlung schlichtweg mit dem bloßen soldatischen Unwissen des Autors begründen zu müssen. Diese Fokussierung hindert den Autor glücklicherweise nicht daran, über den Tellerrand zu blicken und seine Ergebnisse jeweils in einen wesentlich umfassenderen Kontext einzuordnen – so wird beispielsweise etwa dem antiken Gestaltungsmotiv des in vordersten Front stehenden und kämpfenden Feldherrn eine hohe literarische Kontinuität bis ins Mittelalter attestiert (S. 59).

Gerlinger gliedert seine Analyse in die zentralen Aspekte der Feldherrentugenden, Kämpfertugenden und Völker(un)tugenden, wobei stets die Ausführungen der drei römischen Historiographen in systematischer Abfolge thematisiert werden. Das Kapitel der Feldherrentugenden umfasst dabei etwa die Rolle des Feldherrn in vorderster Front bzw. mitten im Schlachtgetümmel (S. 33-60), die verschiedenen Varianten der providentia (S. 77-90) sowie das oftmals unglaubwürdige Verhältnis von Verlustzahlen der Römer im Verhältnis zu ihren Gegnern (S. 106-124). Im folgenden Abschnitt über Kämpfertugenden erfolgt unter anderem eine Analyse der Geschwindigkeitsangaben bei Vorgängen im Kampfgeschehen (S. 159–176) und der Rolle der virtus von Gruppen bei Schlachtdarstellungen (S. 177-205). Unter den Gesichtspunkten der „Ethno-Ethik“ (S. 236) wird im Kapitel über Völker(un)tugenden zum Beispiel das römische Barbarenbild mit den ihm anhaftenden Klischees (S. 237-288) als Kontrastprogramm zur römischen Selbstsicht in die Untersuchung miteinbezogen.

Der Autor erfasst die Sachlage primär aus der Sicht eines Altphilologen, erweitert diese aber in der Regel immer um ein archäologisches bzw. althistorisches Blickfeld, wobei nie der Eindruck entsteht, als ob hier künstlich Szenenbilder der antiken Literatur zu bloßen Topoi reduziert werden, um mit allem Zwang eine Grundlage für den Gattungsbegriff der „Schlachtenrhetorik“ zu kreieren. Vielmehr kann Gerlingers beständiges Abwiegen der einzelnen Faktoren schlüssig nachvollzogen werden. Negativ ist jedoch anzumerken, dass der Autor bisweilen unvorsichtig etwas über das Ziel hinausschießt, wenn er etwa auf ein physikalisches Erklärungsmodell zurückgreift, um Caesars Schilderung einer Flussüberquerung zu widerlegen (vgl. S. 172), und oftmals vergisst, welche barbarischen Handlungsweisen in einem Infanteriegefecht Mann gegen Mann an der Tagesordnung waren oder wenn er das Stehen von Kombattanten auf Leichenbergen während Kampfhandlungen gänzlich zu einem Objekt hyperbolischer Schilderungen degradieren will (S. 150-154).

Gerlingers Arbeit ist trotz detaillierter Ausführungen klar strukturiert und übersichtlich gestaltet. In handwerklicher Hinsicht weist die Publikation jedoch ein schweres Manko auf – es findet sich kein Generalindex, der einen schnellen Stichwort-Zugriff ermöglichen würde. Weder die vorbildliche Gliederung noch der prägnant formulierte, nach Kriegsschauplätzen geographisch geordnete Schlachtenindex (S. 371-431) können über diesen Mangel hinwegsehen lassen, der dringend in einer zweiten Auflage der Publikation behoben werden sollte, um dadurch die alltägliche Nutzbarkeit des Werkes in Forschung und Lehre sicherzustellen. Nichtsdestotrotz schmälert dies nicht die Tatsache, dass diese Veröffentlichung durch die Rückbesinnung auf alte Tugenden – die symbiotische Zusammenführung aller Disziplinen der Klassischen Altertumswissenschaften – den richtigen Weg einschlägt und dem Leser einen modernen Ratgeber zur Seite gibt, welcher ihm bei der Lektüre römischer Schlachtendarstellungen zwischen Faktenschilderung und künstlerischen Konventionen folgenden Elementen zu unterscheiden hilft.

Anmerkung:
1 Jon E. Lendon, The Rhetoric of Combat. Greek Military Theory and Roman Culture in Julius Caesar’s Battle Descriptions, in: Classical Antiquity 18.2 (1999), S. 273-329.

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