C. Schulenburg: Renault und Daimler-Benz

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Titel
Renault und Daimler-Benz in der Zwischenkriegszeit (1919-1938). Eine vergleichende Unternehmensgeschichte zweier europäischer Automobilhersteller


Autor(en)
Schulenburg, Caroline
Reihe
Beiträge zur Unternehmensgeschichte 27
Erschienen
Stuttgart 2008: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
€ 47,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephanie Tilly, Ruhr-Universität Bochum

Trotz eines weit gefächerten automobilhistorischen Schrifttums erscheint die Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte der Automobilindustrie noch bemerkenswert unerforscht. Angesichts der recht großen Aufmerksamkeit, die diesem Industriezweig und seinen Produkten in der öffentlichen Wahrnehmung zukommt, mag dieser Befund zunächst überraschen. Umso mehr aber sind Studien zu begrüßen, die sich der Unternehmensgeschichte von traditionsreichen Automobilherstellern zuwenden.

Über die europäischen Automobilproduzenten Renault und Daimler Benz, deren Vorläuferunternehmen als Pioniere der Branche gelten können, existiert eine Fülle an Literatur (darunter einiges an Jubiläums- oder Festschriften); gleichwohl birgt die Entwicklung der beiden Firmen noch einige Bereiche, die eine systematische Betrachtung fruchtbar erscheinen lassen. Dies gilt auch für den Vergleich der beiden europäischen Automobilunternehmen.

Die nun als Buch vorliegende Bonner Dissertation von Caroline Schulenburg trägt dazu bei, diese Forschungslücke zu schließen, indem sie die Unternehmensgeschichte der beiden Traditionsfirmen in der Zwischenkriegszeit vergleichend in den Blick nimmt. Damit steht ein ebenso spannender wie relevanter Untersuchungsgegenstand zur Analyse – die Anpassungsleistung der Unternehmen (bzw. ihrer Vorgängerfirmen) in einer entscheidenden Entwicklungsphase der Automobilmärkte bei sich wandelnden sozioökonomischen und politischen Rahmenbedingungen in unterschiedlichen nationalen Kontexten. Dabei verfolgt die Studie das Ziel, „die Unterschiede sowie [...] Gemeinsamkeiten der Unternehmen [...] aufzuzeigen und ihre Ursachen zu erklären und zu typisieren“ (S. 14). In diesem Erkenntnisziel steckt die methodische Herausforderung, einen unternehmenshistorischen Kontrastvergleich zu konzipieren.

Wie der klar strukturierte Untersuchungsaufbau zeigt, hat sich Caroline Schulenburg für eine systematische Antwort auf dieses Problem entschieden: In zwei Großkapiteln, die den Zeitraum vor und nach der Weltwirtschaftskrise behandeln, werden die Fallbeispiele nach ihrer Unternehmensstruktur, der finanziellen Geschäftsentwicklung und dem Verhältnis zu den Banken, nach der Unternehmenspolitik und der Absatzlage befragt. Für die deutsche und die französische Seite scheint das zugrundegelegte Material ähnlich dicht: Die Studie stützt sich auf unveröffentlichte Quellen, vor allem aus den Unternehmensarchiven von Renault und Daimler Benz, aber auch aus Archiven der „Hauptbank“ (S. 23) Crédit Lyonnais bzw. auf den Bestand zur Deutschen Bank im Bundesarchiv. Damit bietet die Untersuchung eine interessante Zusammenschau der wichtigsten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Automobilhersteller und eine Reihe von Ergebnissen, die darüber hinausweisen.

Zunächst sind es die seit Ende des Ersten Weltkriegs deutlich konturierten Unterschiede in den inneren Unternehmensstrukturen, auf die die Untersuchung zusteuert, da sie den ersten Erklärungsbaustein für die unterschiedliche Wirtschaftsleistung von Renault und Daimler Benz enthalten. Während die Société anonymes des usines Renault (S.A.U.R.) im Großen und Ganzen eine solide Marktposition behaupten konnte, kämpften die Daimler-Motoren-Gesellschaft und Benz & Co vorerst um ihr Bestehen am Markt und hatten nach der Fusion zur Daimler-Benz AG nur wenig Gelegenheit, die Konsolidierung ihrer inneren Strukturen zu demonstrieren, bevor die Weltwirtschaftskrise weitere Anpassungserfordernisse stellte. Für die unterschiedlichen Unternehmensprofile erarbeitet Schulenburgs Untersuchung anhand der Quellen aussagekräftige Resultate. Dazu gehört die (allerdings nicht ganz neue) These, dass im deutschen Fallbeispiel der Einfluss der Banken für das operative Geschäft eine bedeutsame Rolle gespielt habe, dies aber erst – wie auch Birgit Buschmann gezeigt hat – seit der Inflation.1 Der am Beispiel der Produktions- und Modellpolitik nachvollzogene Befund einer gewissen Schwerfälligkeit der Unternehmensführung von Daimler Benz, die zum Teil auch am Markt vorbei agierte, passt zu Ergebnissen von Carsten Thieme, der dem Unternehmen eine konservative Führungskultur attestiert.2 Gleichwohl überzeugt die Einschätzung Schulenburgs, dass die Unternehmenspolitik, die oft den Prestige- und Qualitätsaspekt des Produkts vor ein risikoträchtiges Ausloten der Marktmöglichkeiten stellte, angesichts der Marktsignale und der vorhandenen Handlungsspielräume insgesamt durchaus zweckrational gewesen ist (S. 137, S. 157, S. 159).

Im Unterschied zu Daimler Benz wahrte die S.A.U.R. eine größere Distanz zu den Banken und konnte angesichts der auf die Person Louis Renaults zugeschnittenen Finanzierungs- und Aktionärsstruktur auf manche Herausforderungen flexibler reagieren. Dabei ist zu bedenken – wie die Studie auch erläutert – dass zum einen das Marktsegment der „Gebrauchswagen“ (S. 97), in dem die S.A.U.R. vorrangig agierte, weniger prekär war als das von Daimler Benz hauptsächlich bediente Segment der „oberen Mittel- und Luxusklasse“ (S. 156). Zum anderen war der französische Automobilmarkt in der Zwischenkriegszeit ohnehin stärker entwickelt als der deutsche. Während das Automobil in Frankreich schon zum „Halb-Luxusgut“ (S. 12) oder beinahe zum „Gebrauchsgut“ (S. 137) avancieren konnte, besaß es in Deutschland noch den Charakter eines „Luxusobjekts“. Zudem sind auch politische Umbrüche, die landesspezifischen wirtschaftlichen Krisenszenarien, die jeweilige Währungs-, Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie die Wandlungen der Wirtschaftsordnung nach der nationalsozialistischen Machtübernahme für die unterschiedlichen Entwicklungsmuster der beiden Automobilproduzenten in Rechnung zu stellen.

An diesem Punkt zeigt sich jedoch eine Schwäche von Schulenburgs Darstellung: Die Rückbindung der Fallstudien in ihren Kontext ist an manchen Stellen zu beiläufig geraten. Dies könnte daran liegen, dass dem jeweiligen Handlungszusammenhang in der strikt, beinahe mechanistisch auf die analogen Untersuchungskriterien ausgerichteten Analysestruktur nur wenig Raum geschenkt wird. Zugleich offenbart sich hier ein gleichsam klassischer Stolperstein des komparatistischen Vorgehens, der allerdings – das sei eingeräumt – nie ganz vermieden werden kann. Jedes vergleichende Vorhaben steht vor der Frage, inwiefern die zu vergleichenden Fallbeispiele angesichts unterschiedlicher Rahmenbedingungen im Untersuchungszeitraum tatsächlich vergleichbar sind – und wie die Wirkungszusammenhänge gerade angesichts variierender Einflussfaktoren transparent gemacht werden können. Wenngleich die Vergleichbarkeit der beiden Automobilproduzenten sicher nicht in Abrede zu stellen ist, wundert man sich doch etwas, wie abrupt die Studie in ihr Vorhaben eintaucht, ohne sich näher mit dem Methodenproblem und dem Zweck des Vergleichens auseinanderzusetzen. Dies ist schade – gerade weil die Operationalisierung des Vergleichs und die quellenbasierte Rekonstruktion zu den einzelnen Analysepunkten zumeist von großer Sorgfalt zeugen.

Für den Gang der Untersuchung hätte es z.B. lohnend sein können, die in der Detailanalyse verstreut enthaltenen Marktinformationen zu einer systematisch vergleichenden Skizze beider Märkte zusammenzuführen und damit vorab kompakt zu veranschaulichen, wie sich das Angebot, die Nachfrage, die Teilmärkte und die Marktanteile der Unternehmen im Vergleich darstellten. Dann wäre vielleicht auch der Raum entstanden, sich differenzierter mit der Frage auseinanderzusetzen, inwiefern sich die Umverteilungswirkungen der Inflation in Deutschland auf die Automobilnachfrage in der Zwischenkriegszeit ausgewirkt haben mochten. Es erscheint zwar plausibel, dass – wie die Studie nahelegt (z.B. S. 108, S. 137, S. 159, S. 265) – durch die Inflation eine Sozialfigur, die vormals Automobile nachfragen konnte, mittellos geworden ist. Aber die mehrmals angeführte These, „der“ Mittelstand habe durch die Inflation seine materielle Basis verloren, entspricht in dieser Verallgemeinerung nicht mehr dem Forschungsstand, wie die Analysen von Holtfrerich und überdies auch Henning zeigen.3 Zudem wirft der vergleichende Zugang die Frage auf, wie der Wandel von politischen Rahmenbedingungen analytisch zu integrieren ist. Zwar nimmt die Untersuchung die politischen Veränderungen durchaus in den Blick, wie z.B. das Kapitel über die Folgen des Vierjahresplans zeigt (S. 216-219). Gleichwohl bleibt die Frage bestehen, ob man nicht etwas ausführlicher hätte nachdenken können über die Bedingungen unternehmerischen Handelns im Nationalsozialismus im Vergleich zur Troisième Republique.

Insgesamt präsentiert die gut lesbare, manchmal etwas zu schematisch geratene Untersuchung einen präzisen Blick in die beiden Unternehmen hinein, der auch quantitativ fundiert wird. Nachlässigkeiten, wie die an einigen Stellen irritierende Verbalisierung der präsentierten Zahlen (S. 170; S. 60) oder die Angaben zum Monatseinkommen (- gemeint ist wohl das Jahreseinkommen, S. 207), sind kleine Ausreißer in einer handwerklich sorgfältig gemachten Arbeit. Damit stellt die Studie einen aufschlussreichen Beitrag für das Verständnis der historischen Entwicklungsverläufe der beiden Traditionsunternehmen dar. Zugleich macht sie ein Stück des Entwicklungspfades transparent, der zur besonderen Gestalt der verschiedenen Automobilmärkte und dem spezifischen Profil der beiden Automobilproduzenten geführt hat.

Anmerkungen:
1 Birgit Buschmann, Unternehmenspolitik in der Kriegswirtschaft und in der Inflation. Die Daimler-Motoren-Gesellschaft 1914-1923, Stuttgart 1998, S. 392ff., hier 396.
2 Carsten Thieme, Daimler-Benz zwischen Anpassungskrise, Verdrängungswettbewerb und Rüstungskonjunktur, 1919-1936, Vaihingen 2004, S. 295.
3 Carl-Ludwig Holtfrerich, Die große Inflation 1914-1923. Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive, Berlin 1980, S. 272f.; siehe auch Friedrich-Wilhelm Henning, Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Bd.3/I, Paderborn 2003, S. 345ff.

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