J. Baberowski u.a. (Hrsg.): Selbstbilder und Fremdbilder

Cover
Titel
Selbstbilder und Fremdbilder. Repräsentation sozialer Ordnungen im Wandel


Herausgeber
Baberowski, Jörg; Kaelble, Hartmut; Schriewer, Jürgen
Reihe
Eigene und fremde Welten. Repräsentationen sozialer Ordnung im Vergleich 1
Erschienen
Frankfurt am Main 2008: Campus Verlag
Anzahl Seiten
415 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marcus Otto, Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung, Braunschweig

Es ist mittlerweile zu einem Topos geworden, dass Repräsentationen nicht bloß die Wirklichkeit und soziale Ordnung widerspiegeln, sondern diese mit herstellen und gestalten. Dementsprechend werden zunehmend Selbst- und Fremdbeschreibungen erforscht. Der vorliegende Band mit dem Titel „Selbstbilder und Fremdbilder“, der im Rahmen des Sonderforschungsbereichs „Repräsentationen sozialer Ordnung im Wandel“ an der Humboldt-Universität zu Berlin entstanden ist1, bietet ein anschauliches Beispiel für diese Forschungsperspektive.

Zu Beginn in der Einleitung von Jörg Baberowski heißt es: „Wer die Anderen in ein Bild setzt, macht dabei auch Erfahrungen mit sich selbst. […] Nur im Spiegel des Anderen wird erfahrbar, was man selbst ist.“ (S. 9) Hier erscheint Repräsentation im buchstäblichen Sinne als visuell, und im weiteren Verlauf der Einleitung betont Baberowski, dass Repräsentationen „nicht nur mit Texten und Gesprächen zu tun“ haben, sondern dass „[a]uch Bilder und Zeichen, Inszenierungen und Performanzen [...] Repräsentationen [sind]“ und dass „Repräsentationen und Ordnungen sich aufeinander einspielen“ (S. 11). Hier stellt sich allerdings die Frage, ob der Begriff der Repräsentation (sozialer Ordnung) gerade dies noch angemessen beschreibt oder ob nicht das radikalere Konzept der Performativität im Anschluss an Michel Foucault und Judith Butler die verschiedenen Formen von Selbstbeschreibungen, Visualisierungen, Inszenierungen etc. besser fassen kann. Dies lässt sich insbesondere an der Differenz zwischen Selbstbeschreibungen/Fremdbeschreibungen einerseits und Selbstbildern/Fremdbildern andererseits verdeutlichen. Denn im Begriff der Selbstbeschreibung tritt der performative Aspekt unmittelbar hervor, während der Begriff des Selbstbildes eher noch einem klassischen Verständnis von Repräsentation als Widerspiegelung entspricht. Hierbei handelt es sich keineswegs um reine Begriffsspielereien, sondern um eine theoretisch bedeutsame grundsätzliche Klärung.

Der erste Teil des Bandes widmet sich dann auch explizit „Selbstbeschreibungen und Fremdbeschreibungen“, und zwar „in Prozessen weltgesellschaftlicher Verflechtung“. Rudolf Stichweh unterscheidet in seinem Artikel „Selbstbeschreibung der Weltgesellschaft“ einerseits Varianten „historisch prominenter Selbstbeschreibungen globaler sozialer Zusammenhänge“ (S. 23), die er als Selbstbeschreibungen der Weltgesellschaft begreift, und andererseits wissenschaftliche Beschreibungen von Weltgesellschaft, die er als Fremdbeschreibungen definiert. Diese Unterscheidung korrespondiert nach Stichweh mit der systemtheoretisch prominenten Unterscheidung zwischen Semantik und (Sozial-)Struktur, und zwar dergestalt, dass gesellschaftliche Selbstbeschreibungen als Semantiken der Weltgesellschaft im Modus der Potenzialität fungieren, während wissenschaftliche und vor allem soziologische Fremdbeschreibungen sich als Strukturbeschreibungen von Gesellschaft „auf die tatsächlich realisierten Strukturen, also auf den Modus der Aktualität“, konzentrieren (S. 49f.). Da beide Formen von Beschreibungen allerdings stets auch Kommunikationen sind, die als „Operationen in Sozialsystemen fungieren, also konstitutiv für die Bildung dieser Sozialsysteme sind“ (S. 51), beziehen sich Semantik und Sozialstruktur nicht nur aufeinander, sondern fallen in dieser Hinsicht geradezu zusammen. Dies bezeichnet Stichweh völlig zu Recht als „Performativität der Selbstbeschreibung“ (ebd.) und weist damit über die Perspektive der Repräsentation sozialer Ordnung hinaus.

Hartmut Kaelble untersucht in seinem Beitrag „Eine europäische Geschichte der Repräsentationen des Eigenen und des Anderen“ den Wandel von Selbst- und Fremdbeschreibungen im Sinne kultureller Deutungsmuster in der Repräsentation sozialer Ordnung. Demnach haben sich zunächst in der „Globalisierung vor 1914“ die europäischen Repräsentationen des Eigenen und des Anderen grundlegend verändert, indem sie „das Eigene und das Fremde nicht mehr in Kategorien der ‚Kultur’, sondern in Kategorien von ‚Rasse’ zu fassen“ begannen (S. 69). Anschließend habe der „Umbruch durch den Ersten Weltkrieg“ in Europa wirtschaftlich zu einer „Deglobalisierung“ und „Europa im Selbstverständnis der Europäer in eine tiefe Krise“ geführt (S. 71f.). Statt des außereuropäischen Anderen geriet nun das „Andere in Europa“ in den Fokus, und zwar meist in negativen Szenarien der Bedrohung und des Hasses. Genuin europäische Repräsentationen habe es nicht (mehr) gegeben, da „die europäische Öffentlichkeit in dieser Epoche verfiel und transnationale Kommunikation in Europa immer schwieriger wurde“ (S. 73). Erst „[d]ie erneute, andere Globalisierung seit den 1980ern“ habe wiederum vielfältige europäische Repräsentationen des Anderen hervorgebracht, die Kaelble in drei Kategorien differenziert. Die erste Form der Repräsentation ist demnach ein „Bedrohungsszenarium“ (S. 76), das Europa seit den 1990er-Jahren einer vielfältigen Bedrohung durch außereuropäische Mächte von den wirtschaftlich aufstrebenden Staaten Asiens bis zum islamischen Fundamentalismus ausgesetzt sieht. Eine zweite Form der Repräsentation sieht Kaelble in der „Fortführung und sogar noch Steigerung des Desinteresses an dem außerwestlichen Anderen“, das seit den 1980er-Jahren gleichsam eine Begleiterscheinung der „Selbstverliebtheit in ein komplexes Europa“ unter dem Motto „Einheit in der Vielfalt“ gewesen sei (ebd.). Eine dritte aktuelle Form der Repräsentation schließlich ziele darauf ab, das Eigene und das Andere im Rahmen des Postulats einer „Vielfalt der Moderne“ gleichsam konstruktiv zu begreifen, also im Sinne des wechselseitigen Verstehens und des Transfers zwischen Zivilisationen.

Im zweiten Abschnitt („Konstituierung des Eigenen im Medium von Fremdheitskonstruktionen“) widmet sich Herfried Münkler der „Konstruktion des Fremden in imperialen Ordnungen“, unterschieden von Konstruktionen des Anderen in Staatensystemen. Dabei schlägt er einen Bogen von der griechischen und römischen Antike bis in die Gegenwart des amerikanischen Empire und argumentiert, dass Imperien durch eine dezidiert asymmetrische Repräsentation des Fremden als „Barbaren“ oder „Dämonen“ geprägt seien, während in Staatensystemen die symmetrische Repräsentation des Anderen vorherrsche.

Bo Stråth untersucht Konstruktionen Europas gegenüber dem Anderen und die Konstruktion Europas als des Anderen. Dabei geht er davon aus, dass bestimmte hypostasierte Repräsentationen des Anderen dazu dienen, die Identität des Eigenen zu konstituieren. Historisch versucht er daran anschließend zu zeigen, dass die Konstruktion europäischer Identität vorrangig durch die Ablösung der sozialen Frage, die den Nationalstaat des 19. Jahrhunderts geprägt habe, durch das Konzept der Kultur erfolgt sei, und zwar vor allem im Bezug auf das ethnische und religiöse Andere (S. 194). Als Konsequenz der Expansion der Europäischen Union werde Europa neuerdings, in zumeist nationalen populistischen Bewegungen, als das Andere imaginiert und konstituiert (S. 199).

Vincent J.H. Houben widmet sich im dritten Abschnitt („Selbstentwürfe und kollektive Identitätsbildungen“) dem Zusammenhang zwischen Repräsentationen des Eigenen und Nationsbildungsprozessen in Südostasien. Dabei zeigt er auf, wie in Indonesien, Vietnam, Thailand und Myanmar/Birma die jeweiligen narrativen und visuellen Repräsentationen der ‚eigenen’ Nation vor allem in einer Auseinandersetzung mit der jeweiligen Kolonialgeschichte erfolgen. Demnach seien in je spezifischer Weise „[m]oderne westliche Institutionen und nationale Kategorisierungen […] im Rahmen der Kolonialgeschichte von Europa nach Südostasien transferiert, dabei jedoch umgedeutet und dem lokalen Kontext angepasst“ worden (S. 213). Dabei tritt der Zusammenhang von Repräsentation und sozialer Ordnung insbesondere im Verweis auf die „panoptische“ Dimension im „Thai-‚Regime der Bilder’“ hervor (vgl. S. 234).

Luisa Passerini spürt in ihrem Beitrag zum Briefwechsel eines „jüdisch-europäischen Paar[es] in der Zwischenkriegszeit“ Repräsentationen Europas in „Liebesdialoge[n] quer über den Kontinent“ nach. Dabei begreift sie die „Verbindung zwischen dem Jüdischsein und dem Europäischsein“ nicht als „Zusammenhang zwischen zwei Wesenskernen, sondern [als] eine Serie historischer Verbindungen, im besonderen auf der Ebene affektiver und identitärer Anlagen“ (S. 288). Der Text lässt zumindest erahnen, inwiefern die in den Liebesbriefen verhandelten Repräsentationen Europas nicht nur die semantische Begleitmusik einer Liebesbeziehung in der Distanz darstellen, sondern die tatsächliche Liebe der beiden Protagonisten überhaupt erst ermöglicht haben.

Wolfgang Kaschuba erläutert unter dem Titel „Deutsche Wir-Bilder nach 1945: Ethno-Patriotismus als kollektives Gedächtnis?“, wie in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte eine „vergesellschaftende Vergemeinschaftung“ stattfand (S. 299), die in einer „deutliche[n] Kontinuität“ zur Geschichte vor 1945, zugleich allerdings in einer „deutliche[n] qualitativen Veränderung hin zur Vertiefung einer Identitätspolitik [geführt habe], in der das Kulturelle noch stärker dominiert und das Ethnische zentral bleibt – nunmehr eben ohne ‚starken Staat’“ (S. 303).

Der Band liefert insgesamt vielfältige Perspektiven auf „Selbstbilder und Fremdbilder“ als Repräsentationen sozialer Ordnung. Allerdings stößt das Paradigma der Repräsentation zumeist dort an seine Grenzen, wo es gilt, die verschiedenen Akteure als Träger der Repräsentationen zu problematisieren, das heißt vor allem zu historisieren. Dazu müssten die vielfältigen Akte untersucht werden, in denen die jeweiligen Selbstbeschreibungen als diskursive Normen wiederholt, angeeignet und resignifiziert werden. Die aufeinander bezogenen antagonistischen Figuren des Eigenen und des Fremden sind mithin nicht einfach abstrakte Größen einer asymmetrischen und hypostasierten Unterscheidung, über die eine entsprechende Identitätspolitik jeweils disponiert, sondern ihrerseits höchst problematische, weil kontingente und prekäre Effekte wiederholter Praktiken. Daher lässt sich der Zusammenhang zwischen so genannter „Repräsentation“ und „sozialer Ordnung“ vielleicht angemessener durch das alternative Paradigma der „Performativität“ begreifen.

Anmerkung:
1 Siehe <http://www.repraesentationen.de>.