B. Feichtinger (Hrsg.): Körper und Seele

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Titel
Körper und Seele. Aspekte spätantiker Anthropologie


Herausgeber
Feichtinger, Barbara; Lake, Stephen; Seng, Helmut
Reihe
Beiträge zur Altertumskunde 215
Erschienen
München u.a. 2006: K.G. Saur
Anzahl Seiten
265 S.
Preis
€ 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Losehand, Oldenburg

Der vorliegende 215. Band aus der Reihe „Beiträge zur Altertumskunde“ vereint neun Artikel zu Aspekten spätantiken Denkens über „Körper und Seele“. Mit dieser Sammlung wissenschaftlicher Erträge zur Geschichte der philosophischen Anthropologie sind alle angesprochen, die sich im Kontext der geistesgeschichtlich höchst spannenden Epoche der Begegnung zwischen Christentum und paganer Philosophie bewegen, besonders aus der Philosophie, der Theologie, aber auch der Altertumswissenschaften – und dies nicht nur im Feld antiker Anthropologie. Heute, da mit dem Begriff „Seele“ oftmals zwischen diffuser religiös-esoterischer Affirmation und neurobiologisch begründeter Negation die unterschiedlichsten Vorstellungen kursieren, ist aus dem „Leib-Seele-Problem“ vielfach ein „Leib-Leib-Problem“ geworden: das schon klassische Missverständnis der Moderne von [orandum est, ut sit] mens sana in corpore sano (Iuv. Sat. 10,356), dass „ein gesunder Geist (eine gesunde Seele) in einem gesunden Körper wohne“, ist symptomatisch. Denn – so die Folgerung aus der Sentenz Iuvenals – wer körperlich gesund ist, ist auch geistig (seelisch) gesund, und das natürlich bis ins hohe Alter. „Wohlfühlen für Körper und Seele“ erschöpft sich in „zufrieden sein“ und „das Leben genießen“ (so die Diktion der agenda setters) – und hebt in letzter Konsequenz und im Einklang mit neurobiologischen Erkenntnissen die Trennung von Körper und Seele auf.1 Die heute umgangssprachlich synonym verwendeten Begriffe „Geist“ und „Seele“ – mit aller geschilderten Unschärfe – sowie das, was darunter verstanden wird, haben natürlich wie alle Begriffe eine Wandlung vollzogen.2 Das moderne Vor-Verständnis, worum es sich bei „Seele“ handelt, tritt im Rahmen spätantiker Überlegungen zu Seele und Körper, wie sie auf einer Tagung im November 2004 exemplarisch vorgestellt wurden (und deren Beiträge hier schriftlich vorliegen), in einen spannenden Dialog, der dazu beiträgt, unser gegenwärtiges Verhältnis zu unserem Körper – und zu unserer „Seele“ als das auf Transzendenz Verweisende – neu zu beleuchten und (die Hoffnung aller begriffsgeschichtlicher Arbeit) neu zu befruchten.

Den Anfang macht Michel Tardieu mit einer Untersuchung zu den „dreizehn Königreichen“ in der „Apokalypse des Adam“ (Nativites païenne: les treize ‚royaumes‘ de l’Apocalypse gnostique d’Adam, S. 9–65). Diese den gnostischen Schriften von Nag Hammadi (NHC V,5) zugehörige Apokalypse ist eine der apokryphen, also nichtkanonischen Adamsschriften und enthüllt nicht nur das zukünftige Schicksal, sondern auch die wahre Vergangenheit des Menschengeschlechts.3 Die „dreizehn Reiche“ (77,27-83,4; ohne abschließende Rede des „königlosen Geschlechts“: 77,27-82,19) offenbaren die Herkunft des „Erleuchters“, der zur Rettung der Nachkommen Noahs bzw. des gnostischen Geschlechts gesandt ist. Die Reden der dreizehn Königreiche des in die vorchristliche Zeit datierten Textcorpus der Adamsapokalypse stellt Michel Tardieu in seinem Beitrag mit Geburtsmythen des paganen (= griechischen) Kulturkreises in Beziehung, deren Vergleich in der apologetischen Auseinandersetzung zwischen Heiden und Christen später eine Rolle spielt (Geburtsgeschichte Jesu Christi – Geburten der Abkömmlinge von Göttern).

Ein Vergleich der schriftbegründeten (auf Gen 1,26a und 27a. sowie Gen 2,7 basierenden) theologischen Anthropologie bei Irenäus und Origenes ist Thema des Beitrags von Andres-Christian Lund Jacobsen (The Constitution of Man according to Irenaeus and Origen, S. 67–94). Die Frage nach der Gottesebenbildlichkeit bzw. Geschöpflichkeit des Menschen 4 berührt nicht nur das Verhältnis des Menschen zu Gott, sondern auch das Verhältnis des Menschen zu sich selbst. Die Unterschiede zwischen dem Verständnis im Lichte der biblischen Offenbarung von Irenäus und dem des Origenes sind evident: Deutlich wendet sich Irenäus gegen die gnostische Vorstellung, nur die Seele des Menschen habe Teil an der Erlösung (S. 68), während Origenes nur der Seele zubilligt, erlöst zu werden (S. 82). Für Irenäus ist der ganze Mensch Ebenbild Gottes: WEnngleich der Körper vergänglich ist, so ist die Seele, als die göttlich eingehauchte Lebenskraft, doch unvergänglich und ewig. Zu unterscheiden ist bei Irenäus die Begrifflichkeit für Seele: einerseits psyché/anima und pnoé/adflatus, flatus, adspiratio andererseits. Die adspiratio (vitae) („Lebensatem“) durch Gott be-lebt den Menschen und macht aus einem leblosen Klumpen Ton ein Lebewesen; der „Anhauch Gottes“ (adspiratio) ist die Seele (anima) des Menschen (S. 72). Origenes verwendet und unterscheidet zwei Begriffe für Seele: psyché und nous. Nous ist die prälapsarische Seele, das, was den Menschen zu Gottes Ebenbild macht, psyché nennt er jene, nun in einem Körper gefangene („inkorporierte“) Seele nach dem Sündenfall. Dass, wie oben erwähnt, Origenes nur die psyché für erlösungsfähig hält, ist in seiner Sicht begründet: allein die Seele sei alleinig Gott ebenbildlich.

Der dritte (von Gretchen J. Reydams-Schils: Calcidius on the Human Soul, S. 95-113) und der vierte Beitrag (von Helmut Seng: Seele und Kosmos bei Macrobius, S. 114-141) beschäftigen sich mit zwei Kommentaren aus dem beginnenden 5. Jahrhundert: Calcidius (um 400; „fourth century“, S. 95) kommentierte und übersetzte teilweise (Anfang bis 53c) den platonischen Dialog Timaios, Macrobius (um 430) kommentierte den „Traum des Scipio [Africanus]“ in M. Ciceros de re publica (6,9ff.). Beide Kommentare gewinnen ihr Nahverhältnis nicht nur aufgrund ihrer Entstehungszeit, sondern auch dadurch, dass durch beide das platonische Weltbild, Platons Lehre von der Entstehung des Universums und der harmonia mundi, tradiert und so Grundlage für das mittelalterliche Weltbild wurde.5 „Willensfreiheit und Determination bei Nemesios“, ein Bischof von Emesa am Ende des 4. Jahrhunderts, behandelt Sabine Föllinger in ihrem Beitrag (S. 142-157). Dass dieses Thema nicht als Randaspekt in der ersten (wenngleich unvollendet gebliebenen) christlich-theologischen Anthropologie gesehen wird, die unter dem Titel Perí phýseos anthrópou (De natura hominis) auf uns gekommen ist, zeigt der große Raum, der ihm gewidmet ist: 13 der insgesamt 41 vorhandenen Kapitel beschäftigen sich damit (S. 144). Auf der Grundlage der paganen philosophischen Tradition (Platon, Aristoteles, Galen u.a.) entwickelt Nemesios ein christliches – grundsätzlich positives – Bild vom Menschen als dem „kostbarsten Bindeglied“ (S. 145) zwischen immanenter Welt und transzendentem Gott, der den kosmischen Dualismus überwindet (S. 146). Nemesios’ Kernaussage zu Willensfreiheit und Determination ist: „Wenn der Mensch für keine Handlung der Ursprung ist, so besitzt er überflüssigerweise die Fähigkeit der Beratung. Denn wozu wird er die Beratung gebrauchen, wenn er über keine Handlung Herr ist?“ (39. 113, 9-11 Morani; S. 149); prohaíresis (Wahl, Entscheidung) ist nach Nemesios zusammengesetzt aus „Beratung, Urteil und Streben“ (33. 101, 3 Morani; S. 147), verbunden mit órexis, dem Begehren, ist sie das „Konstituens des freien Willens“ (S. 148) des Menschen. Dass ein freier Wille nur dann wirklich frei ist, wenn er sich vom sittlich Guten ab- und zum Schlechten hinwenden kann, gehört zu den Grundlagen der Willensfreiheit. Nicht von Natur aus ist der Mensch schlecht, so Nemesios, sondern aufgrund seiner prohaíresis kann der Mensch schlecht sein bzw. werden. Wäre der Mensch als unvernünftiges Wesen (álogos) von Gott geschaffen, wäre er genau sowenig „unempfänglich für Schlechtigkeit“ (kakías ánepídektos; 40. 119, 4f. Morani; S. 153). In diesem Zusammenhang sei abschließend auf Strecks neue Studie zum „menschlichen Willen bei Nemesius von Emesa und Gregor von Nyssa“ verwiesen, die 2005 erschien, bei der Drucklegung des Beitrags allerdings wohl nicht verfügbar war.6

Auf drei weitere Beiträge kann an dieser Stelle nur kursorisch hingewiesen werden: In „Manly Women or Womanly Women?“ (S. 159-180) beschäftigt sich Elizabeth A. Clark mit „Gender Dilemmas“ im Kontext der biblischen Schriften (bes. Gen 1-3) und ihrer Auslegung bzw. Kommentierung durch die griechischen Kirchenväter, so Clemens von Alexandrien, Origenes, Basilius von Caesarea, Gregor von Nyssa und schließlich Johannes Chrysostomus. Trotz der Anspielung im Titel ihres Beitrags liefert Karla Pollmann mit „Wann ist der Mensch ein Mensch? Anthropologie und Kulturentstehung in spätantiken Autoren“ 7 (S. 181-206) keinen geschlechterfokussierten Blickwinkel, sondern fragt grundsätzlich nach „gesellschaftliche[n] Konstruktionen, Normen und Wertdiktate[n]“ (S. 181), die grundlegend für Kultur und auch für das ihr inhärente Menschenbild sind. Die Beobachtung eines „potentiellen Widerspruch[s]“ (S. 181) zwischen dem Kulturauftrag Gottes an die Menschen (Adam und Eva) in Gen 1,28 und dem tatsächlichen Einsetzen von „Kulturaktivität“ bei den Urururenkeln Adams (Jabal, Jubal und Tubal-Kaijn) in Gen 4,20-22 ist der Ausgang dieser Untersuchung zu Interpretation und Bewertung der Entstehen kultureller Fähigkeiten des Menschen. Berücksichtigt werden Origenes, Basilius von Caesarea, Ambrosius von Mailand und Johannes Philoponos, Schüler des Neuplatonikers Ammonius Hermiae. Indem sie einen Ozean mit einer Muschel ausschöpft, widmet sich Marie-Anne Vannier auf knapp 30 Seiten der Anthropologie des Aurelius Augustinus (L’anthropologie de S. Augustin, S. 207-237). Die Basis der augustinischen Erbsünden- und Gnadenlehre findet sich in seiner Anthropologie (bzw. umgekehrt): Augustinus unterscheidet drei Phasen oder Stadien des Menschengeschlechtes, die erste von der Erschaffung und der Zeit des Paradieses bis zum Sündenfall, die zweite „bis zum Ende der Zeiten“, unterbrochen von der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, und schließlich die dritte, die mit der Wiederkunft Christi anbrechen wird. Einen, wenn nicht den Schwerpunkt der Anthropologie des Kirchenvaters sieht die Autorin in der „conversion“, der Bekehrung des Heiligen Augustinus, ein biographisch bestimmendes Moment das zur „rôle constitutif“ und zur „axe de sa penseé“ wird (S. 213).8

Aus den Höhen wissenschaftlichen Spezialistentums hin zu „radikaler Arbeit am Körper in Spätantike und (Post-)Moderne“ führen die Überlegungen von Barbara Feichtinger (S. 237-255) die Leserschaft im „Epilog“. Im Grunde, so das Fazit, können sich der Asket auf der Säule und der „Fitness“-Wütige auf dem Laufband (beide pro toto) hinsichtlich ihrer Überbetonung des Körperlichen die Hände reichen. Beide unterwerfen ihren Körper ihren je eigenen idealen Vorstellungen und führen schließlich einen Kampf gegen ihren Körper (S. 241). In ihrer Selbstwahrnehmung ist ihnen gemeinsam, dass für sie ihr eigener Körper, so wie er ist, mit seinen Hinfälligkeiten und Begierden, zur Erreichung der Glückseligkeit ein Hindernis darstellt, das es – wennschon nicht zu beseitigen – so doch der Zucht zu unterwerfen gilt. Scheint in der christlichen Moraltheologie alles um die menschliche Sexualität zu kreisen, ist die säkulare Fehlbarkeit in der menschlichen Nahrungsaufnahme verortet: sündhaft ist, was dick macht und wenn mancher in früheren Jahrhunderten Sexuelles chiffriert im Tagebuch aufzählte, so werden heute – öffentlich – Kalorien gezählt (vgl. auch S. 251). Beider Körper – der des Asketen wie der des Fitness-Jüngers – ist Zeichen für ihren Erfolg. Dort: je verunstalteter der „äußere Mensch“, desto wertvoller der „innere Mensch“ vor Gott (S. 247f.), hier und heute: je wohlgestalteter der äußere Mensch, desto wertvoller der (innere?) Mensch vor der Leistungsgesellschaft. Diese Bindung an Gott (in der Spätantike) bzw. die Bindung an die Wahrnehmung durch andere Menschen (in der Moderne) in einer je eigenen an Ausschließlichkeit grenzenden Pointierung hat auch Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung. In der Spätantike war soziale Wahrnehmung „nichts“ heute – im Zeichen des „networkings“ – ist sie „alles“ (S. 248f.). Bedenkt man die „unentrinnbare Auseinandersetzung mit dem [eigenen] Körper, die immer auch ein Kampf gegen und um den [eigenen] Körper ist“ und die Aussicht, dass das „auch morgen nicht anders sein wird“ (S. 251), wie Barbara Feichtinger abschließend schreibt, drängt es einen geradezu, mit Reinhold Niebuhr zu beten: „Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die sich ändern lassen, und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden.“

Anmerkungen:
1 Vgl. Marion Sonnenmoser, Neurobiologie und Psychotherapie: Leib-Seele-Trennung nicht haltbar, Deutsches Ärzteblatt, PP 8 (August 2002), S. 367.
2 Vgl. zur Philosophie: Hans-Dieter Klein (Hrsg.), Der Begriff der Seele in der Philosophiegeschichte (Der Begriff der Seele 2), Würzburg 2005.
3 In deutscher Übersetzung auch vorliegend in: Bibel der Häretiker. Die gnostischen Schriften aus Nag Hammadi, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Gerd Lüdemann und Martina Janßen, Stuttgart 1997.
4 Gen 1,26a: „Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich“; Gen 1,27a: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn“; Gen 2,7: „Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“
5 Vgl. Anton von Euw, Anmerkungen zu Diözesan- und Dombibliothek Handschrift 192, in: Glaube und Wissen im Mittelalter (Katalogbuch zur Ausstellung), München 1998, S. 309–311.
6 Martin Streck, Das schönste Gut. Der menschliche Wille bei Nemesius von Emesa und Gregor von Nyssa), Göttingen 2005.
7 Gemeint ist wohl nicht „Kulturentstehung in spätantiken Autoren“, sondern „Kulturentstehung in den Werken spätantiker Autoren“; sicherlich eine Übersetzungsunschärfe.
8 Vgl. auch Marie-Anne Vannier, La conversion, axe de l’anthropologie d’Augustin, in: Connaissance des Pères de l’Eglise 88 (2002), S. 34–48.

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