Titel
Pius XII. - Der letzte Stellvertreter. Der Papst, der Kirche und Gesellschaft spaltet


Autor(en)
Oschwald, Hanspeter
Erschienen
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 19,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
René Schlott, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen

Am frühen Morgen des 9. Oktober 1958 starb Pius XII. nach dreitägiger Agonie in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo. Eugenio Pacelli, der von 1930 bis 1939 als Kardinalsstaatssekretär amtierte und danach mehr als neunzehn Jahre lang an der Spitze der katholischen Kirche stand, gilt als einer der einflussreichsten, zugleich aber auch umstrittensten Figuren in der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts. Seinem 50. Todestag gedenkt der Vatikan mit einer Ausstellung, die zunächst in Rom und im nächsten Jahr auch in München und Berlin zu sehen sein wird, sowie mit einer wissenschaftlichen Tagung an den päpstlichen Universitäten Gregoriana und Lateran im November.1 Zudem sind anlässlich des Jahrestages zahlreiche Neuerscheinungen herausgebracht worden, in deren Mittelpunkt meist das vieldiskutierte Verhalten Pius’ XII. während des Zweiten Weltkriegs steht.2

Den Auftakt der Jubiläums-Novitäten machte die Pius-Biographie von Hanspeter Oschwald, die Ende Mai im Gütersloher Verlagshaus erschienen ist. In fünfzehn chronologisch gegliederten Kapiteln zeichnet der Autor Leben und Werk Pacellis erzählerisch nach. Als Folie über der gesamten Darstellung liegt dabei die Frage nach den Gründen für das päpstliche Schweigen gegenüber dem nationalsozialistischen Zivilisationsbruch. In diese bis heute kontrovers geführte Diskussion, die bereits zu Lebzeiten des Papstes einsetzte, sich nach seinem Tod intensivierte und mit der Uraufführung von Hochhuths „Stellvertreter“ im Februar 1963 vollends entbrannte, steigt Oschwald bereits in der Einleitung ein, wenn er den Untertitel seines Werkes „Der letzte Stellvertreter“ mit Hochhuths Titel begründet. Denn Pius XII. habe als letzter Papst nicht nur „ungebrochene, quasi göttliche Autorität“ (S. 9) beansprucht, sondern dieses umfassende Amtsverständnis als „Vicarius Iesu Christi“ sei damals von Kirche und Welt auch noch anerkannt worden.

Die erste Hälfte des Buches ist der Entwicklung Pacellis vor seiner Zeit als Papst gewidmet. In diesem biographischen Abriss geht Oschwald vor allem auf die aristokratische Herkunft des Römers Pacelli aus einer Familie ein, die schon seit Generationen im Dienst des Vatikans stand. Außerdem wird der lebenslange Einfluss der zwölf Jahre, die Pacelli als Nuntius in Deutschland verbracht hat, besonders herausgearbeitet. Denn in München (1917-1925) und in Berlin (1925-1929) wurde der spätere Papst direkt mit den beiden extremen Ideologien des 20. Jahrhunderts, mit dem Kommunismus und dem Nationalsozialismus konfrontiert. Zugleich rekrutierte er während dieser Zeit mehrere deutsche Berater und Mitarbeiter, von denen ihn viele bis zu seinem Lebensende begleiten sollten. Die Zusammensetzung und der Einfluss dieses „deutschen Kreises“ auf Pius XII. werden in einem gesonderten Kapitel besprochen.

Oschwald unterstreicht, dass Pacelli nicht zuletzt aufgrund seines Studiums und seiner ersten Aufgaben an der Kurie auch im Papstamt vor allem als Diplomat agierte und weniger Seelsorger, „weniger Theologe, sondern überwiegend Kirchenrechtler“ (S. 280) war. Damit verbunden war zeitlebens ein starkes Vertrauen auf die Verbindlichkeit und die Durchsetzungskraft schriftlicher Verträge, was die zahlreichen (Serbien 1914, Bayern 1924, Preußen 1929, Baden 1932, Österreich 1933) und auch umstrittenen Konkordate (Deutsches Reich 1933) zeigen, die von Pacelli mit ausgehandelt oder unterzeichnet wurden. Der besonderen Marienfrömmigkeit des Papstes und seinem ebenso umfassenden, wie autoritären Lehramtsverständnis sind eigene Kapitel gewidmet.

Die Diskussion um das Schweigen Pius’ XII. gegenüber dem Holocaust greift Oschwald am Ende des Buches auf. Das entsprechende Kapitel ist plakativ in die Abschnitte „Anklage, Verteidigung und Urteil“ (S. 245) gegliedert, nennt die Pro- und Contra-Vertreter der Kontroverse und listet in apologetischer Absicht auf nahezu zwanzig Seiten Zitate aus päpstlichen Verlautbarungen, zeitgenössischen Medienberichten und Sekundärliteratur auf. Einige Gründe für die Zurückhaltung Pius’ XII. gegenüber einer eindeutigen Verurteilung der nationalsozialistischen Verbrechen führt Oschwald bereits in den vorangehenden Kapitel an: Pacellis Scheitern als Vermittler bei der Friedensinitiative Benedikts XV. (1917) erkläre sein striktes Beharren auf der Neutralität des Heiligen Stuhles während des Zweiten Weltkrieges. Die körperliche Bedrohung des Nuntius bei einem Überfall von Revolutionären während der Wirren der Münchner Räterepublik (1919) sei die Ursache für Pacellis strikten Antikommunismus gewesen. Und die harsche Reaktion der deutschen Reichsregierung auf die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ (1937) seines Vorgängers Pius’ XI., habe Pius XII. von weiteren öffentlichen Verurteilungen des Nationalsozialismus abgehalten, „ad maiora mala vitanda - um größeres Übel zu verhindern“.

In dem gut lesbaren, weil in einem feuilletonistischen Sprachduktus verfassten und übersichtlich gegliederten Werk, dass von einer breiten Belesenheit des Autors zeugt, sind leider einige inhaltliche Fehler zu konstatieren: So wurde im Marianischen Jahr 1954 keineswegs der 100. Jahrestag des „Dogmas von der Jungfrauengeburt“ (S. 219) begangen, sondern der der „Immaculata Conceptio - Unbefleckten Empfängnis“, dass heißt der ohne Erbsünde empfangenen Gottesmutter Maria. Außerdem wird der Tod des Papstes den entsprechenden Apostolischen Konstitutionen gemäß nicht durch den „Dekan des Kardinalskollegiums“ (S. 274) konstatiert, sondern durch den „Camerlengo -Kardinalkämmerer“. Pius XII. hatte das Amt allerdings seit 1941 nicht mehr besetzt, so dass nach seinem Tod ausnahmsweise der Kardinaldekan die Aufgaben des Camerlengos übernahm. Die Beisetzung Pius XII. erfolgte nicht am „Abend des Todestages“ (S. 276), sondern erst nach der feierlichen Überführung seines Leichnams von Castel Gandolfo in den Vatikan und einer dreitägigen Aufbahrung im Petersdom.

Der Band kommt ohne einen Anmerkungsapparat, ein Register und mit einem nur einseitigen Literaturverzeichnis aus. Positiv zu vermerken bleibt, dass Oschwald die sonst oft ignorierte italienische Forschungsliteratur zu Pius rezipiert und eingearbeitet hat. Allerdings fehlt ein Quellenverzeichnis, in dem genauere Angaben zu den vom Verlag angekündigten „neueste[n] Akteneinsichten im Vatikan“, die dem Werk zugrunde liegen, zu finden wären.

Auch aus diesem Grund kann Oschwald keinen neuen Beitrag zur Forschung um den Pontifikat Pius’ XII. leisten. Eine umfassende, fundierte und ausgewogene wissenschaftliche Biographie Pius’ XII. bleibt ein Desiderat.3 Doch noch steht die hierfür notwendige Freigabe der Akten des Pacelli-Pontifikats für die wissenschaftliche Nutzung aus.4 Allerdings wird die Debatte um das Schweigen Pius’ XII. wahrscheinlich auch nach einer Öffnung dieser Bestände weiter anhalten. Denn letztendlich dreht sich die Diskussion um den alten Gegensatz von Moral- und Realpolitik, um den Kampf und die Entscheidung zwischen der Weber’schen Gesinnungs- und Verantwortungsethik.

Anmerkungen:
1 Siehe die entsprechende Meldung bei Radio Vatikan: 24.08.2008 <http://www.oecumene.radiovaticana.org/TED/Articolo.asp?c=211610> (07.11.2009). Die Ausstellung wird ab dem 22. Januar 2009 im Berliner Schloss Charlottenburg gezeigt.
2 Angekündigte Biographien: Gerard Noel, Pius XII. The Hound of Hitler, London 2008.; Klaus Kühlwein, Warum der Papst schwieg: Pius XII. und der Holocaust, Düsseldorf 2008.; Michael Hesemann, Der Papst, der Hitler trotzte. Die Wahrheit über Pius XII., Augsburg 2008.; Ankündigung im thematischen Umfeld: Hubert Wolf, Papst und Teufel. Die Archive des Vatikan [sic!] und das Dritte Reich, München 2008.
3 Das Referenzwerk in deutscher Sprache, allerdings auch mit einem deutschen Fokus bleibt: Michael Feldkamp, Pius XII. und Deutschland, Göttingen 2000.
4 Am 30. Oktober 2008 teilte der Vatikan in einer offiziellen Note mit, dass eine Öffnung frühestens in sechs bis sieben Jahren möglich sei.

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