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Titel
Mit Stab und Schwert. Bilder, Träger und Funktionen erzbischöflicher Herrschaft zur Zeit Kaiser Friedrich Barbarossas. Die Erzbistümer Köln und Mainz im Vergleich


Autor(en)
Burkhardt, Stefan
Reihe
Mittelalter-Forschungen 22
Erschienen
Ostfildern 2008: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
784 S.
Preis
€ 84,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Robert Gramsch, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

"Ja man kann sagen, dass mittelalterliche Bischöfe eine der komplexesten und ambivalentesten Rollen der Weltgeschichte zu erfüllen hatten. Ihre Amts- und Herrschaftskonzeptionen entspannten sich vor dem Hintergrund mannigfacher Dilemmata; ihr häufiges und exzessives Weinen ist auch Ausdruck dieser ständigen, unfreiwilligen Normverletzungen." (S. 21) – Schwer vorstellbar, dass so "harte Männer" wie die Erzbischöfe Rainald von Dassel, Christian von Buch, Konrad von Wittelsbach oder Philipp von Heinsberg derartig Emotionen gezeigt haben sollen! Ein Staatsmann von heute weint nicht, und ein kniefälliger Bundeskanzler ist noch nach 35 Jahren eine Ikone des kollektiven Gedächtnisses. Doch welche Rollenmuster prägten das Handeln mittelalterlicher Fürsten?

Stefan Burkhardts Monographie über die Kölner und Mainzer Erzbischöfe des 12. Jahrhunderts, eine Heidelberger Dissertationsschrift von 2007, stellt sich die anspruchsvolle Aufgabe, Herrschaftsverständnis, -praxis und -repräsentation der beiden wichtigsten Kirchenfürsten des römisch-deutschen Reiches in einem vergleichenden Zugriff zu untersuchen – keine am chronologischen Verlauf orientierte politische Geschichte, sondern eine Strukturgeschichte, die das Thema in seinen vielfältigen Facetten systematisch ausleuchtet. Es ist dies, soviel vorweg, ein (auch im ganz handfesten Verständnis) gewichtiges Werk, das sich innerhalb eines mittlerweile weit aufgefächerten Forschungsdiskurses zu Funktionsweisen und Legitimationsstrategien mittelalterlicher Herrschaft zentral platziert.

Es ist unmöglich, die enorme Materialmasse, die Burkhardt auf 547 Textseiten mit 4333 (!) Anmerkungen, dazu 174 Abbildungen ausbreitet, im engen Rahmen einer Rezension auch nur annähernd zu erschließen – obwohl dies wünschenswert wäre, denn in der Tat wirkt diese Fülle, trotz guter Strukturierung, auf den Leser zuweilen etwas erschlagend. Greifen wir also nur einige Punkte heraus.

Wie ein roter Faden zieht sich ein Leitmotiv durch dieses Buch – die Anwendung des Bourdieuschen Kapitalbegriffs auf den Untersuchungsgegenstand (S. 14-17). Nach Bourdieu besitzen die einem individuellen oder korporativen Akteur zur Verfügung stehenden, seine Handlungsmöglichkeiten determinierenden Ressourcen verschiedene Formen, die er ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital nennt (bei Burkhardt kommt noch "sakrales Kapital" hinzu). Und jegliches Handeln lässt sich immer auch als eine Konvertierung verschiedener Kapitalformen verstehen. Dass eine solche Sichtweise anregend sein kann, zeigt Burkhardt an vielen Stellen (S. 115A, 382, 464, 498f. und öfter). Mehrfach betont er, die Schwierigkeit habe für die handelnden Erzbischöfe vor allem darin gelegen, dass "die Konvertierungsbedingungen strukturell determiniert waren" (S. 548f.) und sich zudem durch konkrete Ereignisse auch kurzfristig ändern konnten (S. 282). Sprich: Nicht nur die unterschiedliche Ressourcenverfügbarkeit an sich (z.B. die im Vergleich zu Köln geringeren Reliquienschätze in Mainz als Teil des "sakralen Kapitals", siehe S. 483ff.), sondern auch schwankende "Umtauschkurse" zwischen den Kapitalformen sind zu berücksichtigen, wenn wir die Voraussetzungen erzbischöflichen Handelns erfassen wollen. Derartige "Sprachspiele" werden manchem Leser noch etwas gewöhnungsbedürftig vorkommen, dürften aber doch einiges erhellen. Gewisse Zweifel des Rezensenten beziehen sich denn auch nicht auf die Anwendung des Konzepts an sich, sondern darauf, ob es in der Arbeit von Burkhardt schon genügend operationalisiert worden ist: Durch die bloße Umformulierung bekannter Sachverhalte in die Sprache Bourdieus ist eben doch noch nicht alles gewonnen. Ein Erkenntnismehrwert – über die bloße Einführung einer soziologischen Metaphorik in die Mediävistik hinaus –, ist nicht immer zu erkennen.

Innovativ und weiterführend ist Burkhardts Analyse der erzbischöflichen Beratergremien und ihres "sozialen Netzes der Raumerfassung" (besonders Kap. 2.1. und 3.1.). Über eine akribische Auswertung der Zeugenlisten der erzbischöflichen Urkunden bestimmt er die relevanten Akteure und ihren spezifischen Beitrag zum politischen und Verwaltungshandeln der Erzbischöfe. Burkhardt steuert hier ein neuartiges Instrument zur Erforschung dieser Zusammenhänge bei: seine Itinerarkarten, die mit herkömmlichen Itineraren wenig zu tun haben. Zwei Typen sind zu unterscheiden – zum einen Visualisierungen der "Netzstruktur der erzbischöflichen Höfe" (Abb. 3f. und 66-80) und zum anderen die sogenannten "Empfängeritinerare" wichtiger Würdenträger (Abb. 82-174). Nur kurz erklärt Burkhardt, wie diese Graphiken zustande kommen und folglich zu lesen sind (S. 89 sowie die Anm. 659 und 676) – hier hätte man sich durchaus einige grundsätzliche Erwägungen zum Erklärungsnutzen dieser suggestiven, zugleich aber auch verwirrenden Liniengeflechte gewünscht. Der Leser muss sich selber einen Reim darauf machen, indem er Burkhardts Ausführungen auf S. 89 sowie S. 102-105 zum ersten Typ bzw. S. 105-109 und S. 303-317 zum zweiten Typ seiner Itinerarkarten liest. Zum Verständnis dessen, wie herrschaftliche Raumerfassung durch Einsatz regional oder überregional agierender Berater realisiert werden konnte und welch unterschiedlichen Erfolg die einzelnen Erzbischöfe dabei hatten, erweisen sich diese Darstellungen jedenfalls als durchaus hilfreich.

In einem anderen Punkt, in dem Burkhardt eingeführte Methoden – hier: der Arengenforschung – schöpferisch anwendet, konnte er den Rezensenten weniger überzeugen, nämlich bei seiner quasi-statistischen Auswertung der erzbischöflichen Urkundensprache (Kap. 2.3.). Sie ist mit 120 Seiten der längste zusammenhängende Abschnitt der Arbeit. In der Urkundensprache, so die Überlegung, widerspiegelt sich, wenn auch in vielfältiger Brechung, das bischöfliche Herrschaftsideal sowohl allgemein als auch in individueller Ausprägung (S. 128). Also unternimmt Burkhardt eine thematisch gegliederte, nach Pontifikaten differenzierte Bestandsaufnahme des Urkundenvokabulars. Diese präsentiert sich jedoch dem Leser letztlich nur als ein Sammelsurium von aus dem Zusammenhang gerissenen Textfragmenten. Statistische Evidenz, die Burkhardt mit diesem Trommelfeuer von Belegen offenbar herzustellen beabsichtigt, kommt so nicht zustande, und so sind denn auch die Schlüsse, die er aus dem Material zu ziehen vermag, eher vage und impressionistischer Natur.

Burkhardts Vergleich der Erzbistümer Köln und Mainz zeigt klarer und sehr viel detaillierter als je zuvor die großen strukturellen Unterschiede zwischen diesen beiden geistlichen Herrschaften im 12. Jahrhundert auf. So schneidet Köln in vieler Hinsicht besser ab. Strukturell herrschaftsstabilisierende Faktoren waren hier etwa die bessere Institutionalisierung ständischer Mitbestimmung (Priorenkolleg, Kölner Lehnshof usw.), das einigende Band eines kölnischen Landesbewusstseins, die lange Zeit bestehende grundsätzliche Interessenkonvergenz von Erzbischof und weltlichen Eliten (etwa in der Politik gegenüber Heinrich dem Löwen) sowie die Stärke des "sakralen Exzellenzclusters" (!) Köln (S. 475), wobei Rainald von Dassel mit der Translation der Heiligen Drei Könige noch einen besonderen "sakralpolitischen Coup" landen konnte. Demgegenüber sah sich der Mainzer Erzbischof – insbesondere der unglückliche Arnold von Selenhofen – in dieser Zeit nicht nur mit einem schlecht ausbalancierten innerstiftischen Machtgefüge konfrontiert, wo ihm in der Mainzer Ministerialität letztlich tödliche Gegner erwuchsen, sondern auch mit einer "geopolitisch" ungünstigeren Situierung seines langgezogenen Herrschaftsbereiches, welcher an seinen Flanken den Einflüssen mächtiger fürstlicher Konkurrenten (Welfen, Ludowinger usw.) ausgesetzt war. Der exzessive Reichsdienst eines Christian von Buch erscheint da geradezu als eine Flucht aus den heimischen Bedrängnissen, während derselbe für seinen Kölner Kollegen Rainald von Dassel nur das i-Tüpfelchen auf der dominanten Kölner Machtstellung bildet. Auch personalpolitisch waren die Probleme in Mainz größer, waren doch etwa Arnold und Christian im Hinblick auf die genannten strukturellen Probleme eine ausgesprochen schlechte Wahl. In Köln hingegen passten die strukturellen Rahmenbedingungen der Bischofsherrschaft perfekt mit den "habituellen Grundprägungen" eines Rainald von Dassel oder Philipp von Heinsberg zusammen (S. 558).

Bischöfliche Herrschaft bewegte sich im Mittelalter im Spannungsfeld zwischen dem Ideal christlicher Lebensführung und den Erfordernissen harter Tagespolitik. Die Kunst bestand darin, die Balance zwischen beidem zu halten, um weder sakralen noch politischen Bankrott zu erleiden. Wer politischen Erfolg hatte, konnte sich auch Gesten der Pietät leisten, musste sie leisten, um seine sakrale Aura nicht zu verspielen. Ein guter Erzbischof musste weinen können, auch über den Gräbern seiner Feinde – und dies tat er sicherlich sogar recht gerne, solange diese nur ja schön unten liegenblieben.

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