Titel
Historische Religionswissenschaft. Eine Einführung


Autor(en)
Rüpke, Jörg
Reihe
Kohlhammer Religionswissenschaft heute
Erschienen
Stuttgart 2007: Kohlhammer Verlag
Anzahl Seiten
S. 222
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Wustmann, Religionswissenschaftliches Institut, Universität Leipzig

Jörg Rüpke legt eine Einführung in die „Historische Religionswissenschaft“ vor: Dieser Titel lässt den über aktuelle Diskurse innerhalb der Religionswissenschaft informierten Leser aufhorchen, denn der Stellenwert der Religionsgeschichte innerhalb der Religionswissenschaft wird seit einigen Jahren kontrovers diskutiert. Es ist nicht Rüpkes erster Beitrag zu dieser Diskussion; das Thema liegt dem Autor am Herzen, wie man seinem leidenschaftlichen Plädoyer für einen hohen Stellenwert der religionsgeschichtlichen Forschung deutlich anmerkt.

Laut Vorwort handelt es sich um eine Einführung für Studierende; durch Fallstudien und das Nachdenken über zentrale Begriffe solle, so Rüpke, das Feld religionsgeschichtlicher Forschung abgesteckt und Einblick in Themen und Methoden gegeben werden. Bei dem Titel „Historische Religionswissenschaft“ handele es sich, wie er zur Vermeidung von Missverständnissen eigens betont, nicht um eine Engführung, sondern um eine Aussage über die zentrale Disziplin des Faches. Daher ist es nur folgerichtig, wenn er nach der Einleitung zunächst auf die Quellen als Basis historischer Forschung eingeht.

Zunächst aber zur Einleitung, in der Rüpke ausführlich auf die titelgebende Begriffsdiskussion eingeht. So wird etwa erörtert, welchen Stellenwert die Religionsgeschichte innerhalb der Religionswissenschaft hat und wo ihre Grenzen sind (Muss sie sich auf eine Religion beschränken? Überschreitet sie ihre Kompetenzen, wenn sie vergleicht und systematisiert?). Als Beleg dafür, dass schon früh in der Geschichte des Faches die Empirie als Grundlage der Religionswissenschaft galt – auch der systematischen und auch dann, wenn diese nicht sozialwissenschaftlich, sondern phänomenologisch betrieben wird – führt Rüpke Joachim Wach an.

Störend bei diesen Ausführungen ist das recht einseitige Verständnis von Systematischer Religionswissenschaft, das auch durch die Auswahl der Zitate vermittelt wird – Systematik wird hier nur phänomenologisch verstanden, während von vielen Religionswissenschaftlern doch häufig mit sozialwissenschaftlichen Methoden gearbeitet wird, um etwa Handlungshintergründe zu verstehen. Davon, ein allgemeingültiges System „der Religion“ aufzustellen, sind die meisten mittlerweile abgekommen, zu verschieden sind die kulturellen Hintergründe bestimmter religiöser Einzelphänomene. Systematisieren hieße dann das Unterschlagen von Fakten, die nicht ins Bild bzw. in das „System“ passen. Dass „die Religion“, die man durch das Systematisieren empirischer Daten erkennen will, letztlich ein bloßes Konstrukt ist (S. 23), versteht sich von selbst und ist wohl auch den so vorgehenden Wissenschaftlern klar. Mit dem Hinweis auf die Wirklichkeitsferne solcher verallgemeinernden Darstellungen wird ein derartiges Vorgehen aber zunehmend abgelehnt; es wird kleinteiliger gearbeitet. Auch Rüpke stellt fest, dass „phänomenologische Zugänge [...] nicht zu grundsätzlich gültigen, sondern nur zu personen-, gruppen- oder zeitbezogenen Aussagen führen können“ (S.28).

Neben den Fragen nach Einzeldisziplinen innerhalb der Religionswissenschaft wird die Abgrenzung nach außen von der Theologie betont, wobei diese über die Methodik (die Religionswissenschaft sei empirischer) und nicht über den Gegenstand erfolgen solle. Auch das Christentum dürfe und solle Thema der Religionswissenschaft sein – im Gegensatz zu einer lange üblichen Arbeitsteilung, nach der man sich in erster Linie mit nichtchristlichen außereuropäischen Religionen zu beschäftigen hatte.

Nach der Einführung folgen vier Hauptteile, die sich jeweils in mehrere Kapitel gliedern: I Religiöse Texte, II Religiöses Handeln, III Religiöse Organisation, IV Religions-Wissenschaft. Hier wird dann ein Problem des Buches deutlich, das eigentlich eine Einführung für Studierende sein will: Es weist teilweise beträchtliche Niveauunterschiede auf. Einiges geht über den Rahmen einer Einführung weit hinaus, etwa der ausführliche Rückgriff auf Wach – so interessant dies auch für denjenigen sein mag, der den aktuellen Diskurs um die Benennungen religionswissenschaftlicher Teildisziplinen bzw. des Faches insgesamt und um die Abgrenzung zu bzw. die Ausgrenzung von bestimmten Disziplinen schon länger verfolgt. Anderes hingegen ist so erklärt, dass es sich an Studenten zu Studienbeginn zu richten scheint, etwa in Kapitel 1.4: Was ist Hermeneutik? Was bedeutet normativ? Studenten, die noch damit beschäftigt sind, solche Fragen zu klären, werden mit einiger Sicherheit den vorhergehenden Ausführungen nicht folgen können.

Die in Kapitel 2 erfolgende Beschreibung von Religion als Kommunikation ist plausibel und eröffnet viele interessante Forschungsansätze. Gut – und in einer Einführung sehr wichtig – dass auf S. 35 der methodische Ausgangspunkt der Religionswissenschaft deutlich gemacht wird, dass „das Göttliche“ nicht empirisch nachweisbar sei. Methodischer Agnostizismus ist eine unabdingbare Grundlage religionswissenschaftlicher Arbeit, während sowohl Atheismus als auch Theismus als methodische Voraussetzungen unwissenschaftlich sind.

Kapitel 3, Religion und Schrift, beginnt mit dem Hinweis, dass religiöse Schriften im Vergleich zu anderen Medien in der Religionswissenschaft überbewertet wurden und werden – auch hier erhält dieses Medium bezeichnenderweise mit einem eigenen Kapitel einen prominenten Stellenwert. Dies ist durchaus nicht zu kritisieren, denn damit wird letztlich nur dem Einführungscharakter der Darstellung Rechnung getragen: Im Mittelpunkt der akademischen Religionswissenschaft stehen eben oftmals Texte. Interessant ist hier besonders der Zusammenhang von Schriftlichkeit und Sektenbildung, den der Autor in Kapitel 3.4 herleitet.

Rüpke stellt die Themen der „Historischen Religionswissenschaft“, eigentlich, um sie anschaulicher zu machen, anhand von Beispielen aus der antiken Religionsgeschichte vor. Einige dieser Beispiele sind ohne Vorbildung in diesem Bereich leider schwer verständlich und deshalb vielleicht etwas unglücklich gewählt bzw. nicht auf einem entsprechenden Niveau erklärt – es handelt sich um eine Einführung für Studierende! – z.B. Kapitel 4.3 die semantische Unterscheidung verschiedener Göttergruppen in Rom oder auch Kapitel 4.4 zu den römischen Sondergöttern. In der Detailfülle des historischen Materials können die Punkte, um die es eigentlich geht – die Arbeitsweise der Religionswissenschaft betreffend – leicht untergehen.

Im übrigen spricht der Autor in der Tat – ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben – die relevanten Themenbereiche bei der Untersuchung von Religionen an: für die Religionsausübung relevante Medien, Gottesvorstellungen, Rituale als Teil religiösen Handelns – wobei die Zuordnung hier schwierig ist: Religiöse Kommunikation erscheint hier laut Gliederung auch als Bereich religiösen Handelns; sie ist aber eigentlich auch Teil des vorhergehenden Kapitels zu Religion und Medien, während man Rituale wiederum auch unter religiöse Kommunikation zählen kann – Fragen des Ortes und der Zeit, Formen der religiösen Vergemeinschaftung, religiöse Spezialisten. Etwas aus dem Rahmen fällt unter all den genannten grundsätzlichen Fragen das Unterkapitel zu Religion und Krieg, das durch seine Einordnung unter II Religiöses Handeln – wie aus der Kapiteleinleitung hervorgeht, ungewollt – eine geradezu symbiotische Verbindung zwischen diesen beiden Themenkomplexen suggeriert. Wie der Autor selbst schreibt, kann man diese „der Religion“ so pauschal nicht unterstellen, wenn es auch viele Berührungspunkte zwischen beiden gibt. Aber die gibt es freilich zwischen Religion und Frieden auch.

In Kapitel 9, Religion und Gruppe, wird zwar ausführlich auf Probleme eingegangen, die bei der Untersuchung religiöser Gruppen (oder anderer Gruppen, die unter anderem auch einen Bezug zu Religion aufweisen) auftauchen können, da es sich aber um eine Einführung für Studierende handelt, wäre es wünschenswert gewesen, wenn Rüpke zunächst stärker auf die Grundlagen der Gruppenbildung eingegangen wäre: Neben Kapitel 9.1, Abgrenzungen, vermisst man etwa ein Kapitel zu den häufigsten Formen religiöser Vergemeinschaftung.

Besonders gut gefällt Kapitel 10, Religiöse Spezialisten, da es eine gelungene Mischung aus (anspruchsvoller) Einführung für Studierende (die Vertrautheit mit dem Charismabegriff Max Webers wird vorausgesetzt) und anregender Lektüre auch für Fortgeschrittene darstellt. Schön ist auch, wie Rüpke in Kapitel 12.3 anhand der Renaissance zeigt, dass ein Nebeneinander von Religion und Wissenschaft selbstverständlich sein kann und beides durchaus kein Gegensatz ist bzw. sein muss – das ist nicht neu, das weiß man, aber meist wird es doch anhand aktueller Beispiele gezeigt, üblicherweise um die Webersche These von der Entzauberung der Welt zu widerlegen. Schön und irgendwie beruhigend, wenn man hier wieder einmal bestätigt bekommt, dass dieses Nebeneinander schon einmal da war (und also funktionieren kann). Etwas zu randständig erscheint in Kapitel 12.2 der Hinweis auf andere Funktionen des Kultes als den intendierten Dialog mit den Göttern, vor allem auf seine innergesellschaftliche Funktion. Diesen Punkt hätte man an prominenterer Stelle – weiter vorn, in den Kapiteln zum Ritual – und ausführlicher behandeln können.

Alles in allem stellt Jörg Rüpkes Einführung in die Historische Religionswissenschaft eine anregende Lektüre für diejenigen dar, die sich ebenso wie der Verfasser Gedanken über religionswissenschaftliche Teildisziplinen und deren Stellenwert innerhalb der Religionswissenschaft machen, besonders über die Rolle der Religionsgeschichte. Gemäß dem im Vorwort ausgedrückten Anspruch ist sie durchaus auch für Studierende geeignet, allerdings kaum für welche, die noch am Anfang ihres Studiums stehen. Zu denken ist hier eher an solche, die sich mit dem Gedanken tragen, einen Masterstudiengang zu absolvieren oder auf der Suche nach einem Thema für die Masterarbeit sind, wobei die ausführliche Bibliographie sich ebenfalls hilfreich erweisen dürfte. Wie auch immer, Rüpkes Buch wird zweifellos seine Leser finden und dies ist ihm auch zu wünschen.

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