J. Hasecker: Die Johanniter und die Wallfahrt nach Jerusalem

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Titel
Die Johanniter und die Wallfahrt nach Jerusalem (1480-1522).


Autor(en)
Hasecker, Jyri
Reihe
Nova Mediaevalia 5
Erschienen
Göttingen 2008: V&R unipress
Anzahl Seiten
323 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kristin Skottki, Universität Rostock

Wer hätte gedacht, dass Pilgern und Wallfahren zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine solche Renaissance erleben würden? Eine Umfrage für die Zeitschrift P.M.-Guide hat ergeben, dass 14 Prozent der Deutschen sich eine Pilgerreise vorstellen könnten, bei den unter 30-jährigen waren es sogar 29 Prozent: "Jeder Fünfte verspricht sich vom Pilgern Rat und Rettung aus einer Krisensituation oder die Linderung und Heilung von einer Krankheit. Als häufigste Beweggründe werden genannt: Religion (ein Weg, sich dem Glauben zu nähern), Entspannung und Abenteuerlust."1 Die drei ersten genannten Gründe dürften neben anderen auch die Menschen im Mittelalter zur Pilgerfahrt bewegt haben, die Abenteuerlust spätestens die Menschen seit der Frühen Neuzeit. Da verwundert es kaum, dass Pilger- und Wallfahrten in ihrer historischen Dimension auch im akademischen Bereich wieder von größerem Interesse sind.2 Gerade die Jerusalemwallfahrt, die stets den Kulturkontakt mit Muslimen implizierte, weckt in Zeiten der neu entfachten Debatte um das Zusammenleben der Religionen und Kulturen das Interesse der akademischen Forschung.

Jyri Hasecker widmet seine Dissertation dem Verhältnis des Johanniterordens zur Jerusalemwallfahrt zwischen 1480 und 1522. Dabei steht allerdings weniger der Kontakt mit Anderen im Vordergrund als die Selbstwahrnehmung und Außendarstellung des Ordens als Wallfahrtsinstitution. Der gewählte Zeitraum ist durch die Johanniterherrschaft auf Rhodos zwischen 1309 und 1522 bestimmt, wobei der Beginn des Untersuchungszeitraumes durch die erste osmanische Belagerung der Insel gekennzeichnet ist. Hasecker wendet sich der wenig bearbeiteten Frage zu, welche Rolle die Fürsorge ('caritas') für die Jerusalempilger nach der Vertreibung der Johanniter aus dem Heiligen Land (1291) für den Orden spielte. Zwar sind die Johanniter auf Rhodos und Malta politisch, militärisch, verfassungs- und strukturgeschichtlich bereits gut erforscht, aber die Frage nach der spirituellen und ideengeschichtlichen Verortung des Ordens an der Wende vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit erscheint innovativ.3 So weist Hasecker darauf hin, dass allein die Krankenpflege im karitativen Bereich erforscht ist, deren Verhältnis zum Orden als Wallfahrtsinstitution jedoch noch nicht problematisiert wurde.4 Diese Forschungslücke zu schließen, gelingt Hasecker vor allem im letzten Kapitel (IV). So kann er durch fundierte Quellenarbeit nachweisen, dass sich konzeptionell etwa ab dem letzten Drittel des 12. Jahrhunderts der Empfängerkreis der 'hospitalitas' des Ordens änderte. Dabei weist Hasecker überzeugend auf die Gerichtsrede Jesu in Mt 25,31-46 hin, die den Begriff der 'pauperes' wesentlich erweitert fasst als die in der Forschung übliche Verkürzung auf ökonomisch Arme. Die 'pauperes Christi' waren zugleich Kranke und Fremde, die keineswegs immer ökonomisch arm sein mussten, wie die vielen wohlhabenden Jerusalempilger im Spätmittelalter vor Augen führen, die ebenfalls unter die Hilfsbedürftigen gezählt wurden. So bestimmte am Anfang die Beherbergung und Fürsorge für die Jerusalempilger die karitative Arbeit des Ordens, später trat die Krankenfürsorge in den Mittelpunkt. Hasecker kann dafür mehrere gut belegte Gründe präsentieren. In erster Linie ist es der Widerspruch zwischen "Heidenkampf" (der in der Programmatik des Ordens die erste Stelle einnahm) und Pilgerfürsorge, der die Johanniter in ihrer Tätigkeit für die Jerusalempilger behinderte. So verbat ihnen der kontinuierliche Kampf gegen die "Ungläubigen" Bündnisse zum Schutz der Pilger mit muslimischen Herrschern einzugehen. Anstatt Pilger zu beschützen, sorgten sie mit ihrer Politik häufig genug dafür, den Pilgerverkehr gar noch zu erschweren. Stattdessen hatten sich seit dem 12. Jahrhundert vor allem die Venezianer der Aufgabe des Transports und Schutzes der Pilger verschrieben, da ihnen in der Zusammenarbeit mit den Muslimen keine schwerwiegenden ideologischen Schranken im Wege standen. Im Heiligen Land selbst übernahmen die Mendikantenorden, allen voran die Franziskaner, Beherbergung und Verpflegung der Pilger. Der Pilgerverkehr hatte sich auch ohne die Johanniter gut entwickelt, pendelte sich aber im Spätmittelalter auf einem niedrigen Stand ein, so dass die Beteiligung an diesem Geschäft darüber hinaus keine finanziellen Vorteile für die Johanniter versprach. Zudem, so betont Hasecker, sei der Wert der Krankenpflege gegenüber der Pilgerfürsorge im 'commercium salutare' höher angesiedelt gewesen, und habe so auch spirituell die Akzentverschiebung in der karitativen Tätigkeit des Ordens legitimiert.

Am Ende bleibt jedoch ein Befund ungeklärt, der in den ersten Kapiteln den Leser ein wenig zu frustrieren vermag und offenbar auch Hasecker selbst unbefriedigt lässt: Es scheint, als hätten die Johanniter im 15. und 16. Jahrhundert geradezu das Interesse an der Jerusalemwallfahrt verloren. Auch da, wo sie trotz aller widrigen Umstände hätten aktiv werden können, blieb ihr Engagement auf weniger als symbolische Gesten reduziert. Die Erkenntnis, dass der Orden zu Beginn der Frühen Neuzeit geradezu einen Traditionsabbruch hinsichtlich seiner Funktion als Wallfahrtsinstitution durchlebte, hätte mutiger und eindeutiger formuliert werden können, bestimmt dieses negative Ergebnis doch weit mehr als die Hälfte der Untersuchung (vor allem Kapitel II und III).

Den Unterschied zwischen dem IV. Kapitel und den vorangegangenen macht vor allem die Quellenbasis aus: Ist sie im letzten Kapitel sehr ausgewogen mit Fremd- und Selbstdarstellungen, narrativen und normativen Quellen untersetzt, so basieren die vorherigen Kapitel in erster Linie auf der Lektüre und Interpretation von Reiseberichten. Hasecker gibt an, rund 90 Reiseberichte konsultiert zu haben, was eine differenzierte, quellenkritische Betrachtung des einzelnen Berichts schwierig macht. Tatsächlich sehe ich hier die größte Schwäche der gesamten Arbeit. Fraglos sind Reiseberichte eine kultur- und mentalitätsgeschichtliche Fundgrube ohne Gleichen, was ihre Beliebtheit im aktuellen akademischen Diskurs besonders der Früh-Neuzeit-Forschung erklärt.5 Doch bieten sie gattungsspezifische Besonderheiten, die von Hasecker leider nur im Einleitungsteil theoretisch berücksichtigt wurden. Die als Krise der Repräsentation umschriebene Einsicht in die Literarizität dieser Texte macht einen vorsichtigen Umgang mit Themen wie Abbildung der Wirklichkeit, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Affirmation und Skepsis notwendig. Dies scheint aber leider an manchen Stellen zu wenig beachtet, wenn etwa topische Wendungen als Urteile einzelner Autoren ausgegeben werden wie etwa im Falle der angeblich mangelnden Skepsis der Pilgerautoren gegenüber den Erzählungen der Johanniter (S. 222f.) oder des rein rezipierenden Charakters Caoursins, der ein von "Ungläubigen" bezeugtes Wunder "dankbar" in seinen Bericht aufgenommen hätte (S. 220). Auch werden die Chronisten von Hasecker fast ausschließlich als Rezipienten der von den Johannitern inszenierten Außendarstellung gezeichnet, wohingegen sie an der Konstruktion des Bildes von den Johannitern wesentlich mehr beteiligt gewesen sein dürften als ihre Berichte glauben machen. So gewinnt die Darstellung zwar durch die vielen Zitate aus den Reiseberichten eine Lebendigkeit und Farbigkeit, die den Leser zu fesseln vermag, doch der Gewinn für die Fragestellung erscheint an vielen Stellen enttäuschend. Insgesamt gesehen, vor allem durch die Schlussfolgerungen am Ende, bietet die Arbeit dennoch einen spannenden Einblick in die Geschichte des Johanniterordens im 15. und 16. Jahrhundert und dessen Veränderung von einer Wallfahrtsinstitution zum Krankenpflegeorden. Auch wenn die Arbeit in erster Linie institutionsgeschichtlich ausgerichtet ist, bietet sie bereits Ansätze für eine kultur- und mentalitätsgeschichtliche Aufarbeitung der Geschichte des Johanniterordens an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Wünschenswert wäre eine ähnliche Untersuchung für die Legitimationsstrategie des Ordens als Institution des Heidenkampfes, die nach wie vor Bestand hat, und heutzutage sicherlich einer kritischen Aufarbeitung mehr denn je bedarf.

Anmerkungen:
1 Hans-Hermann Sprado, Editorial. Und wohin gehen sie?, in: P.M.-Guide: Die schönsten Pilgerziele der Welt, 1 (2008), S. 3; Vgl. auch die STERN-Sonderausgabe: Pilgern, 60 (2007).
2 Vgl. nur Judith Specht, Menschen - Wege – Regionen. Eine qualitative Studie zum Fernwandern und Pilgern in Europa, Göttingen 2008; Markus Schauta, Die ersten Jahrhunderte christlicher Pilgerreisen im Spiegel spätantiker und frühmittelalterlicher Quellen, Frankfurt am Main 2008; Herbert Kraume, Auf heiligen Wegen. Geschichte, Mythos und Kultur des Pilgerns, Ostfildern 2008; Andrea Rottloff, Stärker als Männer und tapferer als Ritter. Pilgerinnen in Spätantike und Mittelalter, Darmstadt 2007.
3 Vgl. nur die einschlägigen Publikationen der Johanniter-Experten Jürgen Sarnowsky, Hamburg [http://www1.uni-hamburg.de/Mittelalterforschung/SarnowskyText.htm] und Anthony Lutrell, Bath. Und aktuell: M. Losse, Die Kreuzritter von Rhodos. Bevor die Johanniter zu Maltesern wurden, Ostfildern 2007.
4 So etwa Susan Edgington, Medical Care in the Hospital of St. John in Jerusalem, in: Helen Nicholson (Hrsg.), The Military Orders 2. Welfare and Warfare, Aldershot 1998, S. 27-33; Die neueste Veröffentlichung zum Thema kommt aus den Reihen der Johanniter: Jakob Eisler, Das Johanniterhospiz in Jerusalem, München 2008. (Wobei schon die Begriffswahl 'Hospiz' anstelle von 'Hospital' aufhorchen lässt.)
5 Siehe etwa: Joan-Pau Rubiés, Travellers and Cosmographers. Studies in the History of Early Modern Travel and Ethnology, Variorum collected studies series 888, Aldershot 2007; Desanka Schwara, Unterwegs. Reiseerfahrung zwischen Heimat und Fremde in der Neuzeit, Göttingen 2007.