M. van Tielhof: Banken und Besatzer

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Titel
Banken und Besatzer. Niederländische Großbanken 1940-1945


Autor(en)
van Tielhof, Milja
Erschienen
Münster 2007: Agenda Verlag
Anzahl Seiten
462 S.
Preis
€ 28,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Friederike Sattler, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Für die Niederlande stellt die deutsche Besatzungszeit von 1940 bis 1945 noch immer ein schwieriges Thema dar, wirft sie doch neben den Aspekten Verfolgung und Widerstand auch die Frage nach der Kollaboration mit den Besatzern auf. In den letzten Jahren sind hierzu einige wichtige neuere Untersuchungen publiziert worden: Für den Bereich der Wirtschaft und den besonders problematischen Aspekt der Beteiligung an der wirtschaftlichen Existenzvernichtung der jüdischen Bevölkerung sind vor allem die Studien von Gerald Aalders, Hein A. M. Klemann, Joggli Meihuizen und Wouter J. Veraart zu nennen.1 Angestoßen durch eine heftige öffentliche Debatte im Jahr 1999 über möglicherweise noch immer bestehende, aber ruhende „jüdische Konten“ bei Versicherungen und Banken, gab auch die niederländische Großbank ABN AMRO als Rechtsnachfolgerin der sieben wichtigsten, während der Besatzungszeit tätigen holländischen Geschäftsbanken eine Untersuchung ihrer eigenen Geschichte in Auftrag. Die von der Wirtschafts- und Sozialhistorikerin Milja van Tielhof erarbeitete Studie wurde im Frühjahr 2003 in niederländischer Sprache veröffentlicht und liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor2; sie macht es möglich, das Verhalten der niederländischen mit dem der am Finanzplatz Amsterdam ebenfalls vertretenen deutschen Geschäftsbanken zu vergleichen.3 Es sind allerdings weniger die bankgeschäftlichen, als die politisch-moralischen Aspekte, die im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung stehen: Wie reagierten die holländischen Geschäftsbanken auf die spezifischen politischen Umstände, welche die deutsche Besatzung und der Krieg mit sich brachten? In welchem Verhältnis standen ihre Vorstände zum Nationalsozialismus und zum Widerstand? Welche Rolle spielten sie bei der Judenverfolgung, das heißt vor allem bei der Entlassung des eigenen jüdischen Personals und bei der Enteignung der jüdischen Vermögen? Welche Haltung nahmen sie nach Kriegsende zum Versuch der „Wiederherstellung des allgemeinen Rechtsverkehrs“ ein?

Um diesen Fragen nachzugehen, gliedert Tielhof ihre Untersuchung in neun Teilkapitel. In den ersten beiden Abschnitten geht sie zunächst auf das Verhältnis der holländischen Banken zum Nationalsozialismus und auf die Entlassung der jüdischen Mitarbeiter ein: Aufgrund der verbreiteten antideutschen Haltung unter den Bankdirektoren waren die Mitglieder der Nationaal-Socialistische Beweging (NSB) in den Bankbelegschaften eher isoliert. Versuche der Nazifizierung durch von außen veranlasste Ernennungen entsprechender „Sozialvorsteher“ und „Betriebsführer“ schlugen bei den Handelsbanken weitgehend fehl. Dennoch rückten holländische Nationalsozialisten auf deutschen Druck hin in wichtige Positionen des niederländischen Bankwesens auf; an erster Stelle zu nennen ist der im Frühjahr 1941 neu berufene Präsident der Nederlandschen Bank Rost van Tonningen, der zwei weitere Parteigänger ins Direktorium der Notenbank holte. Trotz der schwachen Nazifizierung der Vorstände hatten die Geschäftsbanken der seit Sommer 1941 mit immer mehr Nachdruck verlangten Entlassung ihrer jüdischen Mitarbeiter nur sehr wenig entgegenzusetzen. Wirksamen öffentlichen Protest oder gar aktiven Widerstand dagegen gab es nicht, was Tielhof zu Recht mit der befürchteten Einsetzung von Besatzungsverwaltern erklärt; immerhin gestand man den Entlassenen relativ günstige Abfindungsregelungen zu.

Die Mitwirkung der Bankvorstände an der Auslieferung der jüdischen Vermögen und am Handel mit geraubten jüdischen Aktien, aber auch Versuche, Deportationen zu verhindern, selbst erlittene Geiselnahmen, unfreiwillige Arbeitseinsätze und die aktive Beteiligung am Widerstand, sind Gegenstände der folgenden fünf Teilkapitel, die das Kernstück des Buches ausmachen. Tielhof gelingt es hier, die Auseinandersetzungen und das eher widerwillige, aber dennoch erstaunlich „effektive“ Zusammenspiel zwischen Banken und Besatzungsbehörden in bisher nicht erreichter Tiefenschärfe auszuloten. Die Banken bemühten sich zunächst erfolglos, die Konten und Depots ihrer jüdischen Kunden selbst weiterführen zu dürfen und verhielten sich anschließend ausgesprochen passiv, was die verlangte Verlagerung der Vermögenswerte zu der als jüdische Bankfiliale getarnten Sammel- und Verwaltungsstelle Lippmann, Rosenthal & Co. (LiRo) in der Amsterdamer Sarpathiestraat anging; erst als sich der deutsche Druck immer mehr erhöhte (unter anderem durch die Geiselhaft leitender Bankdirektoren), waren sie bereit, unter Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht auch ohne Kundenauftrag solche Vermögenstransfers vorzunehmen. Die holländischen Banken unterstützten ihre jüdischen Geschäftskunden außerdem bei dem Versuch, gewerbliche Unternehmen möglichst in eigner Regie zu „arisieren“, bevor es zu einer amtlichen Zwangsarisierung kam: Sie übernahmen Aktienpakete, entsandten nicht-jüdische Direktoren in die Aufsichts- und Leitungsgremien und gaben Ratschläge für die Änderung der Statuten. Doch diese Versuche scheiterten so gut wie immer, denn die zugrunde liegenden Verträge wurden von den deutschen Behörden später fast sämtlich annulliert. Die meisten holländischen Banken waren allerdings nicht bereit, die amtlichen Verwalter oder neuen „arischen“ Besitzer dieser Firmen als eigene Neukunden zu begrüßen; diese wechselten in der Regel zu einer deutschen Bank, etwa zum Handelstrust West als Tochter der Dresdner Bank oder zur Rijnschen Handelmaatschappij als Tochter der Commerzbank, die sich um solche Kunden ihrerseits sehr bemühten. Wachsende Konkurrenz durch die expandierenden deutschen Banken war auch das Hauptmotiv für eine Delegation der Amsterdamschen Bankiersvereniging, sich im Sommer 1941 – ohne offizielles Mandat – um die Beteiligung am Handel mit geraubten jüdischen Aktien zu bemühen. Mit diesem nach Bekanntwerden höchst umstrittenen Angebot zur freiwilligen Kollaboration erreichten sie die deutsche Entscheidung, die „Verwertung“ der fraglichen Aktien nicht in Berlin, sondern in Amsterdam vorzunehmen. Allerdings wurden nicht, wie von der eigenmächtigen Delegation erhofft, die holländischen Banken selbst mit dem Verkauf beauftragt, sondern dieser blieb der Raubbank LiRo vorbehalten; holländische Banken und Effektenmakler erhielten lediglich das Recht, sich am Auf- und Weiterverkauf über die Amsterdamer Börse zu beteiligen – was sie denn auch in großem Umfang taten. Als wichtigste Motive für dieses moralisch fragwürdige Verhalten benennt Tielhof die anfängliche Absicht, die Bildung von größeren Aktienpaketen wichtiger holländischer Unternehmen in deutscher Hand zu verhindern, vor allem aber nicht auf Provisionseinnahmen verzichten zu müssen und schließlich, als LiRo die geraubten Aktien wegen mangelnder Nachfrage weit unter ihrem Substanzwert zu „verschleudern“ begann, auch einen allgemeinen Kursverfall zu verhindern. Der Schutz von Interessen der eigenen früheren Kundschaft, nämlich der bestohlenen jüdischen Eigentümer, spielte dagegen keine erkennbare Rolle.

Die letzten beiden Abschnitte befassen sich mit der Lage und dem Verhalten der Banken nach dem Krieg. Die von den Banken vorgenommenen Totenehrungen zeigten deutlich, dass gerade in der relativ kleinen Gruppe der früheren jüdischen Mitarbeiter besonders viele Todesopfer zu beklagen waren. Überlebende kehrten in vielen Fällen zu ihren früheren Arbeitgebern zurück und erhielten einstige Positionen und Pensionsansprüche wieder zugesprochen. Die privatrechtlichen Entschädigungsregelungen für entgangenes Einkommen fielen bei den einzelnen Banken sehr unterschiedlich aus. Da sich die politische Säuberung in den Niederlanden auf die grundsätzliche Frage der anti- oder prodeutschen Gesinnung konzentrierte, standen die vielfältigen Formen der wirtschaftlichen Kollaboration zunächst nicht im Blickpunkt. Eine eingehende Untersuchung des Bank- und Börsenwesens, die den überaus fragwürdigen Handel mit geraubten jüdischen Aktien schnell ans Licht gebracht hätte, unterblieb. Kaum ein holländischer Bankier, mit Ausnahme derjenigen, die ganz offen mit den Deutschen sympathisiert und zusammengearbeitet hatten, musste deshalb politische Säuberungsmaßnahmen wie Suspendierung, Entlassung oder Haft fürchten. Die Banken sahen sich im Zuge der Wiederherstellung des allgemeinen Rechtsverkehrs allerdings durchaus mit der Frage konfrontiert, ob sie nicht zumindest für einen Teil der von den Juden erlittenen Schäden verantwortlich zu machen waren. Die Behörden des Raad voor het Rechtsherstel sahen infolge des starken deutschen Drucks zwar keine pauschale Verantwortung der Banken für die Auslieferung des jüdischen Vermögens an LiRo, prüften aber zahlreiche einzelne Transaktionen und trafen entsprechende Schadensersatzregelungen. Als besonders heikel für die Banken erwies sich die Wiederherstellung des Wertpapierrechts. Sie versuchten zunächst – wider besseres Wissen – den Eindruck zu erwecken, der Börsenverkehr sei während des Krieges völlig „normal“ abgelaufen und die „Verwertung“ der geraubten jüdischen Aktien ausschließlich von LiRo abgewickelt worden; einige Bankvorstände scheuten dabei auch nicht vor gezielten Falschinformationen zurück. Entsprechend groß war die öffentliche Empörung, als im Zuge der Untersuchungen des Raad voor het Rechtsherstel Anfang der 1950er-Jahre die Beteiligung der holländischen Banken am Handel mit geraubten jüdischen Aktien schließlich doch zu Tage trat. Konfrontiert mit hohen Schadenersatzansprüchen, lenkten sie nun ein; durch geschicktes Verhandeln gelang es ihnen allerdings, die Hauptlast der Rückerstattung auf den Staat und die Allgemeinheit der Anleger abzuwälzen.

Tielhof beschließt den Band mit einem knappen Resümee. Darin führt sie – zunächst im Allgemeinen, dann differenziert für die einzelnen betrachteten Institute – noch einmal das gesamte Spektrum der Reaktionen holländischer Geschäftsbanken auf die Maßnahmen der Besatzungsmacht vor Augen, welches von gezielter Verzögerungstaktik bei der Auslieferung der jüdischen Vermögen und maßgeblicher finanzieller Unterstützung des Widerstandes bis hin zu Anpassung und sogar freiwilliger Kollaboration reicht. Als wichtigste Erklärung für letztere bietet Tielhof – sehr plausibel – die wachsende Konkurrenz mit den expandierenden deutschen Banken an, nicht ohne den Stellenwert individuellen Handelns und persönlicher Verantwortung der Bankvorstände zu verdeutlichen. Gerade vor diesem Hintergrund wäre es wünschenswert, wenn von ihrer insgesamt sehr gelungenen Studie der Impuls ausginge, über das politisch-moralische Verhalten hinaus auch die Geschäftstätigkeit der niederländischen und der deutschen Banken am Finanzplatz Amsterdam als solche während der Besatzungszeit noch eingehender vergleichend zu untersuchen. Warum war es gerade der Aktienhandel, nicht aber das Immobilien- oder das allgemeine Kreditgeschäft, in dem die Geschäftsmoral der holländischen Banken versagte?

Anmerkungen:
1 Gerard Aalders, Roof – De ontvreemding van joods bezit tijdens de Tweede Wereldoorlog, Den Haag 1999 (dt. Ausgabe: Geraubt! Die Enteignung jüdischen Besitzes im Zweiten Weltkrieg, Köln 2000); ders., Berooid. De beroofde joden en het Nederlandse restitutiebeleid sinds 1945, Amsterdam 2001; Hein A.M. Klemann, Nederland 1938-1948. Economie en samenleving in jaren van oorlog en bezetting, Amsterdam 2002; Joggli Meihuizen, Noodzakelijk kwaad. De bestraffing van economische collaboratie in Nederland na de Tweede Wereldoorlog, Amsterdam 2003; Wouter J. Veraart, Ontrechting en rechtsherstel in Nederland en Frankrijk in de jaren van bezetting en wederopbouw, Rotterdam/Alphen aan den Rijn 2005.
2 Milja van Tielhof, Banken in bezettingstijd. De voorgangers van ABN AMRO tijdens de Tweede Wereldoorlog en de periode van rechtsherstel, Amsterdam 2003.
3 Vgl. Christoph Kreutzmüller, Händler und Handlungsgehilfen. Der Finanzplatz Amsterdam und die deutschen Großbanken (1918-1945), Stuttgart 2005; Für die holländische Tochter der Dresdner Bank: Friederike Sattler, Der Handelstrust West in den Niederlanden, in: Harald Wixforth, Die Expansion der Dresdner Bank in Europa. Unter Mitarbeit von Johannes Bähr, Jörg Osterloh, Friederike Sattler und Dieter Ziegler, München 2006, S. 682-791.

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