R. Steininger: Austria, Germany and the Cold War

Cover
Titel
Austria, Germany and the Cold War. From the Anschluss to the State Treaty 1938-1955


Autor(en)
Steininger, Rolf
Erschienen
New York 2008: Berghahn Books
Anzahl Seiten
172 S.
Preis
$ 60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michaela Bachem-Rehm, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen

„Österreich ist frei!“ – Diese berühmt gewordenen Worte des österreichischen Außenministers Leopold Figl fielen am 15. Mai 1955, nachdem Vertreter der vier alliierten Besatzungsmächte und der österreichischen Regierung im Wiener Schloss Belvedere den Staatsvertrag unterzeichnet hatten. Durch diesen Vertrag erlangte Österreich nach der nationalsozialistischen Herrschaft, dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der darauf folgenden zehnjährigen Besatzungszeit seine volle staatliche Souveränität wieder. In Erinnerung an dieses denkwürdige Ereignis, das von vielen Österreichern bis heute als die eigentliche Geburtsstunde der Zweiten Republik empfunden wird, rief der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel das Jahr 2005 zum „Gedankenjahr“ aus. Wie bei solchen Jubiläen üblich, wurde eine Reihe von Neuerscheinungen zur Geschichte des Staatsvertrages auf den Markt gebracht. Während die wenigsten dieser Titel neue Erkenntnisse zu präsentieren vermochten, markiert das Buch 'Der Staatsvertrag' von Rolf Steininger1 eine bemerkenswerte Ausnahme. Steininger, Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck und ausgewiesener Kenner der europäischen Zeitgeschichte, unternimmt in seiner Darstellung den ambitionierten Versuch, die Entwicklung bis zum Staatsvertrag des Jahres 1955 multidimensional zu betrachten. Im Gegensatz zur älteren Forschung bezieht er dabei auch die Auswirkungen des „Anschlusses“ 1938 auf die österreichische Nachkriegspolitik mit ein. Überzeugend wird aufgezeigt, dass es zwischen 1945 und 1955 kaum isolierte, nur auf Österreich bezogene Entscheidungen gab: Die deutsche Frage und der Kalte Krieg beeinflussten die Verhandlungen um den österreichischen Staatsvertrag ganz zentral.

Um Steiningers Forschungsergebnisse auch für einen ausländischen Leserkreis zugänglich zu machen, liegt nun eine englische Fassung seines Buches vor. Es handelt sich um eine ungekürzte und hinsichtlich des Forschungsstands aktualisierte Übersetzung, für die einige neue Quellen ausgewertet wurden. In der Einleitung zur englischen Ausgabe fasst Steininger die Aufgabe, vor der er stand, noch einmal pointiert zusammen: „The challenge was to connect those issues: the Anschluss, the German question, the Cold War, and the Austrian State Treaty“ (S. ix). Erst eine Gesamtberücksichtigung dieser Faktoren ermögliche eine Antwort auf die Frage, warum es zehn Jahre bis zur Unterzeichnung des Staatsvertrages gedauert habe.

Die konzentrierte Darstellung ist in acht Kapitel unterteilt. Im ersten Kapitel wird die historische Entwicklung der Ersten Republik in Österreich bis zum „Anschluss“ 1938 nachgezeichnet. Deutlich wird, wie tief verankert die „Anschluss-Sehnsucht“ in weiten Teilen der Gesellschaft war – auch bei den österreichischen Sozialdemokraten, die die Ereignisse des März 1938 vielfach als Wiedergutmachung für den von den Alliierten 1919 verbotenen Zusammenschluss zwischen Österreich und Deutschland werteten. Bei vielen Österreichern trat nicht zuletzt angesichts des nationalsozialistischen Terrors bald schon Ernüchterung ein; trotzdem ist es nicht gerechtfertigt, dass sich die meisten nach Kriegsende nur als Opfer sahen und dabei antisemitische Ausschreitungen, „Arisierungen“ und die Überrepräsentation von Österreichern im NS-Terrorapparat ignorierten. Im zweiten Kapitel – einem Exkurs über die Opferthese – bezieht Steininger entschieden Stellung zur Opferstilisierung nach 1945: „Regardless of any sympathy for the new state’s difficult situation, the victim myth perpetrated, and eventually internalized, by the responsible political leaders was not then and even today is not justifiable“ (S. 14).

Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den Nachkriegsplanungen der Alliierten für Österreich. Während die Sowjetunion und die USA nur rudimentär interessiert waren, wurden im britischen Foreign Office verschiedene Modelle eines Nachkriegs-Österreichs durchgespielt. Als Vorstufe einer vor allem von Churchill favorisierten Donau-Föderation sollte Österreich wieder unabhängig werden. Am 1. November 1943 veröffentlichten die Außenminister der „Großen Drei“ die so genannte „Moskauer Deklaration“, die zur Geburtsurkunde der Opferthese wurde. Die Alliierten erklärten Österreich darin zum ersten Opfer der nationalsozialistischen Aggression und den „Anschluss“ für null und nichtig. Dass Österreich gleichzeitig auch an seine Verantwortung für die Beteiligung am Krieg auf Seiten Hitler-Deutschlands erinnert und ein eigener Anteil an der Befreiung angemahnt wurde, fiel nach 1945 – politisch gewollt – in Vergessenheit. Steininger unterstreicht in diesem Kontext, dass die „Moskauer Deklaration“ als Instrument der psychologischen Kriegsführung gedacht war, um österreichischen Widerstand zu mobilisieren. Im vierten Kapitel wird der Zusammenhang zwischen sowjetischer Deutschland- und Österreichpolitik offensichtlich. Bereits am 27. April 1945 konstituierte sich mit Billigung der UdSSR die Provisorische Regierung aus SPÖ, ÖVP und KPÖ unter dem früheren Staatskanzler Karl Renner. Bei der ersten Wahl zum Nationalrat, die bereits am 25. November 1945 stattfand, erlitten die Kommunisten eine vernichtende Niederlage und konnten lediglich 5,41 Prozent der abgegebenen Stimmen erzielen. Als Folge dieses „Österreich-Syndroms“ erhöhte die Sowjetunion den Druck auf die Sozialdemokraten in ihrer deutschen Besatzungszone und forcierte die Zwangsfusion von SPD und KPD zur SED. Da dies – wie die Wahl gezeigt hatte – in Österreich nicht möglich war, konzentrierten sich die Sowjets nun auf die wirtschaftliche Ausbeutung ihrer Besatzungszone.

Das fünfte Kapitel widmet Steininger seiner These, Südtirol sei das erste Opfer des Kalten Krieges geworden. Direkt nach Kriegsende habe es unter den Alliierten Pläne gegeben, Südtirol an Österreich zurückzugeben. Letztendlich sei es aber aus politischen Erwägungen nicht dazu gekommen: Eine Rückgabe Südtirols hätte wie eine Bestrafung Italiens gewirkt, das immerhin zwei Jahre auf Seiten der Alliierten gekämpft hatte, und vielleicht eine Destabilisierung der politischen Verhältnisse nach sich gezogen. Immerhin habe aber der alliierte Druck auf Österreich und Italien die Unterzeichnung des „Gruber-De Gasperi-Abkommens“ am 5. September 1946 bewirkt, das heute als Magna Charta Südtirols gelte.

In den Kapiteln 6-8 wird überzeugend herausgearbeitet, wie sehr der Kalte Krieg die Verhandlungen um den österreichischen Staatsvertrag beeinflusst hat. Während der amerikanische Außenminister Byrnes seinem österreichischen Kollegen Gruber im Frühjahr 1946 versicherte, dass ein entsprechender Vertrag binnen eines Jahres unterschriftsreif sein könne, musste der österreichische Außenminister nach der gescheiterten Moskauer Außenministerkonferenz im März 1947 resigniert feststellen, dass „der Schatten der deutschen Frage“ auf das österreichische Problem gefallen sei. Dies sollte sich auch in den folgenden Jahren nicht ändern. Es gab zwar 1949 und 1954 Versuche, die festgefahrene internationale Situation aufzubrechen und doch noch zur Unterzeichnung eines Staatsvertrages zu gelangen, doch machten gegenseitiges Misstrauen zwischen den Großmächten, Uneinigkeit in der amerikanischen Regierung und die geänderte weltpolitische Lage entsprechende Initiativen zunichte. Für die westlichen Alliierten diente Österreich dazu, sowjetische Initiativen in der Deutschlandfrage zu torpedieren, die Sowjets nahmen Österreich als Geisel für ihre Deutschlandpolitik. Bewegung in die Staatsvertragsverhandlungen kam erst wieder, als die neue österreichische Regierung unter Bundeskanzler Julius Raab nach Stalins Tod größere Gesprächsbereitschaft gegenüber der UdSSR signalisierte und eine militärische Neutralität ins Spiel brachte, um die sowjetischen Wünsche nach einer Anti-Anschluss-Garantie zu befriedigen. Im April 1955 wurde eine österreichische Regierungsdelegation nach Moskau eingeladen und am 15. Mai 1955 schließlich der Staatsvertrag unterschrieben, dem der Abzug der alliierten Besatzungstruppen folgte. Die Reaktion in Bonn war sehr frostig: Adenauer sprach intern von der „ganzen österreichischen Schweinerei“, und Bundespräsident Heuss sandte kein Glückwunschschreiben an seinen österreichischen Kollegen Körner. Ob die Österreich-Lösung des Jahres 1955 ein Modell für Deutschland hätte sein können 2, lässt Steininger offen. Als sicher kann aber gelten, dass „without West German Chancellor Konrad Adenauer’s consistent Westpolitik, the Austrian State Treaty likely would not come into existence“ (S. 140).

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Rolf Steininger eine überzeugende Geschichte des Staatsvertrages vorgelegt hat, die pointiert die Zusammenhänge mit der deutschen Frage und dem Kalten Krieg fassbar macht und die nun auch einem interessierten ausländischen Publikum zugänglich ist.

Anmerkungen:
1 Rolf Steininger, Der Staatsvertrag. Österreich im Schatten von deutscher Frage und Kaltem Krieg 1938-1955, Innsbruck 2005.
2 So die These von Michael Gehler, „L’unique objectif des Soviétiques est de viser l’Allemagne“. Staatsvertrag und Neutralität 1955 als „Modell“ für Deutschland?, in: Thomas Albrich u.a. (Hrsg.), Österreich in den Fünfzigern, Innsbruck/ Wien 1995, S. 259-297.

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