E. Lappin u.a. (Hrsg.): Frauen und Frauenbilder

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Titel
Frauen und Frauenbilder in der europäisch-jüdischen Presse von der Aufklärung bis 1945.


Herausgeber
Lappin, Eleonore; Nagel, Michael
Reihe
Die jüdische Presse – Kommunikationsgeschichte im europäischen Raum 3; zugleich: Presse und Geschichte – Neue Beiträge 29
Erschienen
Bremen 2007: Edition Lumière
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ellinor Forster, Universität Innsbruck

Der vorliegende Tagungsband ging aus der 2004 vom „Institut für jüdische Geschichte in Österreich“ in Zusammenarbeit mit dem „Institut für Deutsche Presseforschung der Universität Bremen“ in Wien organisierten 14. Internationalen Sommerakademie hervor. Die Aufnahme des Buches in zugleich zwei Reihen der Kommunikations- und Pressegeschichte weist bereits darauf hin, dass es sich hierbei nicht nur um die Untersuchung von Frauen und Frauenbildern in jüdischen Periodika handelt, sondern zugleich um ein Stück Pressegeschichte.

Die chronologisch angeordneten Beiträge reichen vom Gründungsjahr der hebräischsprachigen Zeitung „Ha-Meassef“ 1783 über den New Yorker „Aufbau“ während der NS-Zeit bis 1945. Der zeitlich umfassende Untersuchungsraum wird auch geografisch breit angelegt: Die Aufsätze behandeln Mittel- und Osteuropa, Palästina und die USA.

Frauen werden sowohl als Journalistinnen und Redakteurinnen als auch als Zielpublikum jüdischer Periodika in den Blick genommen. Johannes Valentin Schwarz geht beispielsweise der Frage nach, in welcher Form Frauen in Deutschland vor 1850 mit jüdischen Periodika in Berührung kamen. Während es Redakteurinnen jüdischer Presse vor 1850 nicht gab, waren jüdische Frauen jedoch als Abonnentinnen präsent, beispielsweise bei der ab 1806 in Dessau erscheinenden „Sulamith“.

Drei Journalistinnen des Prager zionistischen Wochenblatts „Selbstwehr“, das von 1907 bis 1937 erschien, greift Miroslava Kyselá in ihrem Beitrag heraus. Während sich die Ärztin und Schriftstellerin Miriam Scheuer für Zionismus und Feminismus einsetzte, erstreckte sich die journalistische Tätigkeit Marie Schmolkas vor allem auf karitative Aktionen für Palästina und Karpatho-Russland. Zu den Forderungen Hannah Steiners – ab 1927 Redakteurin der „Selbstwehr“ – gehörte beispielsweise das Recht der Frauen auf eine gute Ausbildung. Mit Blick auf die Rolle von Journalistinnen und ihre Themen untersucht Dieter J. Hecht jüdische Periodika in Österreich von 1919 und 1932. Während 1919 vor allem Politik und Soziales im Vordergrund standen, dominierten 1932 Kultur und Religion. Hecht sieht darin ein Zeichen der zunehmenden Verdrängung von Frauen aus der Politik und öffentlichen Sphäre.

Eng mit der Frage nach dem Zielpublikum war in jüdischem Kontext die Wahl der Sprache und Schrift verbunden. Während der „Ha-Meassef“ noch in Hebräisch erschien und somit bewusst Frauen und Nichtgebildete ausschloss, verwendete die Prager „Jüdisch-deutsche Monatsschrift“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts die deutsche Sprache, jedoch in hebräischen Lettern. Dadurch erweiterte sich der innerjüdische Adressatenkreis. Dementsprechend findet Louise Hecht erst in der zweiten Zeitschrift häufiger Inhalte, die sich auf das Frauenbild bezogen. Zunehmend wurde Hausfrauen und Müttern Verantwortung für die religiöse Erziehung ihrer Söhne und Töchter zugeschrieben. Das bestätigt Johannes Valentin Schwarz in seiner Analyse der „Sulamith“. Frauenbezogene Inhalte nahmen jedoch in den 1820er-Jahren wieder ab, was Schwarz mit der allgemeinen Krise der jüdischen Presse in Deutschland zu diesem Zeitpunkt in Zusammenhang bringt.

Während die „Sulamith“ bereits in deutscher Sprache und Schrift erschienen war, spielte in Osteuropa und Russland das Jiddische noch im 19. Jahrhundert eine große Rolle. In den Werken der in Litauen und Polen geborenen Schriftstellerinnen Judika, Rosa Gutman und Rivke Kope findet Esther Jonas-Märtin einen Zusammenhang zwischen der Identität jüdischer Dichterinnen, ihrem Frauenbild und der von ihnen verwendeten jiddischen Sprache. In ähnlicher Weise fordert die von Susanne Marten-Finnis untersuchte Esther Frumkin in ihrer Rebellion gegen das zaristische Regime und gegen die jüdische Tradition zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dass das Jiddische als die nationale Sprache des jüdischen Volkes anerkannt werden sollte.

Bewusst die polnische Sprache wählte hingegen die Frauenzeitschrift „Ewa“ 1928 in Warschau, die im Mittelpunkt von Katrin Steffens Beitrag steht. Damit sprach die Zeitschrift vor allem die sprachlich polonisierten Jüdinnen an. Die ideale Rolle der Frau wurde zunächst in der Mutter und dienenden Hausfrau, darüber hinaus aber auch im moderneren Bild einer außer Haus arbeitenden und selbständigen Frau gesehen.

Aus der traditionellen Rolle der jüdischen Frau wurden verschiedene neue Modelle entwickelt. In der ungarischen jüdischen Presse um die Jahrhundertwende findet Brigitta Eszter Gantner zwei verschiedene Tendenzen. Während die traditionelle Presse am alten Frauenbild der Hausfrau, Mutter und guten jüdischen Ehefrau festhielt, versuchten die progressiveren Zeitschriften, die Neuerungen einer – auch universitären – Berufsausbildung und eigenen Arbeitsstelle in das Frauenbild zu integrieren.

Konservativer agierte die jüdische Presse im Wien der Jahrhundertwende gegenüber dem Antisemitismus. Alison Rose arbeitet heraus, dass Antisemitismus bei christlichen Frauen gravierender wahrgenommen wurde als bei Männern, denn Frauen würden dabei ihre wahre Natur verleugnen. Dem konnte die ideale jüdische Frau mit weichem Herzen und noblem Gemüt gegenübergestellt werden.

Rassenideologische Einflüsse konstatiert Claudia Prestel in der jüdischen Diskussion über weibliche Sexualität in den 1920er-Jahren, die vor dem Hintergrund des beklagten Rückganges der jüdischen Bevölkerung geführt wurde. Die Rückkehr der Frauen zu jüdischen Ritualen würde eine bessere Gesundheit garantieren. Man betonte die frühere Geschlechtsreife der jüdischen Mädchen und empfahl die Frühehe mit einem erhofften einhergehenden Kindersegen zum Wohl des jüdischen Volkes.

In Zusammenhang mit einer besonderen jüdischen ‚Rasse‘ wurde auch die Dichterin Else Lasker-Schüler gebracht, die im Mittelpunkt von Stefanie Leuenbergers Beitrag steht. Aufbauend auf der Rezension ihres ersten Gedichtbandes von Samuel Lublinski 1904, der ihre Lyrik vor dem Hintergrund seines kulturzionistischen Umfelds als typisch jüdisch bezeichnete, weil ihr Naturempfinden die alte jüdisch-orientalische Prägung zeige, wurde jahrzehntelang in der Forschung ein dementsprechendes stereotypes Bild der Dichterin fortgeschrieben.

Mit der aufkommenden Idee des Zionismus ließ sich ein weiteres Frauenbild konstruieren. Aus der sechssprachigen Frauenzeitschrift „bat ami“ (Tochter meines Volkes), die ab 1930 in Jerusalem erschien, kristallisiert Malgorzata Maksymiak-Fugmann zwei mögliche Frauenrollen heraus. Als Pendant zum muskelbepackten männlichen Juden konnte die ideale Frau entweder stärker als Mutter und Erzieherin einer neuen starken Nation oder als Pionierin dargestellt werden, die in Palästina die Aufbauarbeit tatkräftig unterstützte. Dabei war als Mutter und Erzieherin eher die deutsche Jüdin gedacht, während das Rollenmodell der Pionierin für ostjüdische Frauen vorgesehen wurde. In ähnlichem Kontext steht der von Martina Steer untersuchte historische Fortsetzungsroman über die Geschichte von Esther, der Tochter der im 17. Jahrhundert lebenden Glückel von Hameln, im „Israelitischen Familienblatt“ von 1936. Mit Esthers abenteuerlichem Weg in den Osten ließ sich der Appell verknüpfen, dass auch Frauen den Sprung ins kalte Wasser wagen und sich auf den Weg nach Palästina machen sollten.

Der Zionismus spielte auch in Kinder- und Jugendzeitschriften eine Rolle. Aus zwei zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Kontext der Jugendkulturbewegung entstandenen Zeitungen arbeitet Eleonore Lappin die offene Diskussion über die Erneuerung der Familie und Sexualmoral, denen die Frauenemanzipation als Voraussetzung galt, heraus. Ab 1933 kam eine neue Komponente hinzu. Michael Nagel findet in den Kinderbeilagen der deutsch-jüdischen Presse von 1933 bis 1938 das Bestreben, den Leserinnen und Lesern angesichts des zunehmenden gesellschaftlichen Ausschlusses Hilfen zur Neuorientierung zu bieten. Während die Jugendbeilage der konservativeren „CV-Zeitung“ dabei den Mädchen traditionelle Rollen in der tätigen Teilhabe am religiös-familiären Leben zuwies, stellte die Kinderbeilage der zionistischen „Jüdischen Rundschau“ die Mädchen schon in den Kontext des Palästinaaufbaus.

Von mittel- und osteuropäischer Sicht aus gesehen schon in der Fremde – nämlich im New York der 1930er- und 1940er-Jahre – reagierte der dort seit 1934 erscheinende und von Lothar Mertens analysierte „Aufbau“ auf die – aufgrund von Integrationsschwierigkeiten der Männer in die neue Arbeitswelt – veränderte familiäre Rollenverteilung. Der anfänglich traditionelle „Aufbau“ bot zunehmend Frauenportraits von erfolgreichen Emigrantinnen, die als Identifikation dienen konnten.

Die einzelnen Aufsätze bieten einen sehr guten ersten und differenzierten Einstieg in die konstruierten und rezipierten Frauenbilder und Rollenmodelle in der jüdischen Presse. In ihrer breiten zeitlichen und geografischen Streuung wird zudem stets der Zusammenhang mit der politischen und gesellschaftlichen Situation reflektiert und ermöglicht so ein klareres Bild von Entwicklungen und Abhängigkeiten der unterschiedlichen jüdischen Frauenentwürfe.

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