J. Mittag (Hrsg.): Politische Parteien und europäische Integration

Cover
Titel
Politische Parteien und europäische Integration. Entwicklung und Perspektiven transnationaler Pateienkoorperation in Europa


Herausgeber
Mittag, Jürgen
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für soziale Bewegungen (Band 37)
Erschienen
Anzahl Seiten
810 S.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Helmut Stubbe da Luz, Hamburg

Im Rahmen des von Parteipolitikern initiierten und vorangetriebenen europäischen Einigungsprozesses (zielend auf eine Art ‚Vereinigte Staaten von Europa’) haben sich, angeregt durch die ansatzweise Bildung suprastaatlicher Institutionen, insbesondere eines Parlaments mit Parlamentswahlen, transnationale Parteienkonföderationen entwickelt, übrigens mit einer geringeren transnationalen Integrationsintensität als sie im Bereich der europäischen Exekutive, Judikative und Legislative bereits erreicht worden ist. Über die Entwicklung dieser Parteienbünde sind in der Vergangenheit schon diverse Darstellungen, vor allem auch – wie hier – in Form von Sammelbänden vorgelegt worden, überwiegend dem staatlich geförderten Bereich der ‚Politischen Bildung’ zuzurechnen. Damit war häufig die Absicht verknüpft, Geschichtsschreibung (oder auch sozialwissenschaftliche Bestandsaufnahme) „zu einem Teil dieser Prozesse“ der europäischen Integration zu machen (wie dies im hier zu rezensierenden Band Dimitrij Owetschkin, S. 76, ausdrückt). Wenn Owetschkin mit dem Postulat fortfährt, Geschichtsschreibung könne, ja solle innerhalb des Prozesses, dessen vergangene Stadien sie rekonstruiere, „ein Moment der kritischen gesellschaftlichen Selbstreflexion werden“, so ist damit ein Maßstab genannt, der sich zur Beurteilung auch der hier ins Auge gefassten, voluminösen Publikation zu eignen scheint.

Die unterschiedlichen Abschnitte, in welche die nicht weniger als 32 Beiträge aufgeteilt sind, genügen dem genannten Maßstab in unterschiedlicher Weise. Die Skizzen, die dem Werden der einzelnen Parteienbünde gewidmet sind (IV, VII) sind überwiegend aus Sicht der jeweils zu berücksichtigenden Strömungen und Parteien verfasst, dienen zuvörderst der Selbstdarstellung dieser Parteienbünde, ferner der des etablierten, institutionalisierten Pluralismus „von rechts nach links“. Zusammengenommen mit dem Titelbild des Bandes, das „die Signets von sechs europäischen Parteiorganisationen im Jahre 2006“ zeigt, ergibt sich daraus der Eindruck, dass es sich hier um die Darstellung eines Teils der EU-Erfolgsstory handelt, unter besonderer Betonung und Förderung des „legitimationsstiftenden Potenzials“ (Umschlagtext) transnationaler Parteienzusammenarbeit. Abschnitt III („Die Inkubationsphase“) enthält en détail manch interessante Reminiszenzen über Wurzeln der transnationalen Parteienkooperation, wie sie sich für publikumswirksame Gedenkveranstaltungen eignen.

Den wissenschaftlich wertvolleren Teil des Bandes stellen die Abschnitte über die „Rahmenbedingungen der europäischen Parteienzusammenarbeit“ (V, S. 309-475) sowie über die „Katalysatoreffekte des europäischen Parlamentarismus“ dar (VI, S. 477-555). In diesem zuletzt genannten Abschnitt, der wohl den substantiellen Kern des gesamten Buches ausmacht, finden sich einige der wichtigsten Themen behandelt: Die Wahlen, die Fraktionen, die Finanzierung und – der Kern des Kerns (von Altmeister Thomas Jansen und Justus Schönlau) die rechtliche Einbindung der Parteien auf europäischer Ebene, wie sie auf der Erscheinungsoberfläche ihren Ausdruck erstmals im Maastrichter Parteienartikel 138a gefunden hat. Von ebensolchem Wert ist der Text eines zweiten Altmeisters, Klaus Pöhle, des ehemaligen Generalsekretärs des Europaparlaments, der sich des As und Os auch dieses politischen Themas, der Finanzen nämlich, angenommen hat – mit der abgeklärten Souveränität des akademisch versierten Praktikers. Hier geht es um eine wichtige praxisbezogene Ergänzung des Maastrichter Parteienartikels, nämlich um das europäische Parteienstatut von 2003, das Grundlagen der Parteienfinanzierung regelt.

Was Pöhle (wie auch Jansen) mit wenigen Sätzen über die Geschichte von Parlament und Parteien aussagen, beeindruckt oft stärker als das, was reine Theoretiker mit viel mehr Worten darbieten. Übrigens ist auch bei den beiden Altmeistern der Parteienproporz gewahrt worden (Jansen ist Christ-, Pöhle Sozialdemokrat), aber beide haben enge parteipolitische Standpunkte schon immer zu transzendieren gewusst. Die von Pöhle skizzierten Prozesse, die zur Etablierung einer EU-Parteienfinanzierung führten, muten „klassisch“ an: Die Fraktionen waren zuerst da, mussten sich von einem taktvoll-zurückhaltenden Rechnungshof „Querfinanzierung“ der Parteien vorwerfen lassen, sahen sich dann veranlasst oder gar gezwungen, eine explizite, ansatzweise transparente Parteien-Finanzierung zu institutionalisieren. Warum eigentlich „gezwungen“? Hätte ein Fraktionen- und deshalb auch Parteienkartell nicht derartige Kritik einfach missachten können? Abgesehen davon, dass es mit der Institutionalisierung der Parteienfinanzierung leichter fiel, die entsprechenden Geldmittel zu erhöhen, muss wohl auch berücksichtigt werden, dass es nicht nur ein „symbiotisches Verhältnis“ zwischen Parlament und Parteien, sondern auch ein gewisses Maß an Gewaltenteilung zwischen Fraktionen und (nicht nur Parlaments-) Verwaltung gibt, ferner, damit auf manchmal komplizierte Weise zusammenhängend, auch Friktionen zwischen kurz- und langfristigen Interessenträgern.

Die Themen der Innerparteilichen Demokratie, des Verhältnisses insbesondere zwischen dem Anwachsen der Parteienbürokratie einerseits, der Mitgliederpartizipation andererseits; der Aussichten auf ein detailliertes europäisches Parteiengesetz, des Verhältnisses zwischen repräsentativ-demokratischen und plebiszitären Elementen (vor dem Hintergrund diverser, Europa betreffender Plebiszite in einzelnen Mitglieds-Staatswesen), der Aussichten auf europäische Parteiführer (mit ihrer Ambivalenz) – diese Themen finden sich durch ihnen eigens gewidmete Beiträge nicht vertreten, wenngleich sich auf manchen der gut 800 Seiten einschlägige Assoziationen entdecken lassen. Die Intention des Herausgebers richtete sich hierauf weniger; er zitiert zwar – S. 15 – Winfried Steffanis nun auch nicht mehr taufrischen Aufsatz „zur politologischen Parteienanalyse“ (1988), über den der gesamte Abschnitt II („Theoretische und konzeptionelle Zugänge“, S. 61-163) kaum hinausgeht, aber Steffanis Kategorie „Parteien als Interessenvertreter in eigener Sache“ wird hier weder ausdrücklich erwähnt noch in diesem gesamten Opus implizit zur Leitlinie der Analyse gemacht, obwohl es doch gute Gründe dafür gibt, die Selbstkontrolle der kollektiven Hauptakteure des politischen Geschehens (eben der Parteien) in den Mittelpunkt einer jeden Studie zu stellen, die sich des Parteienthemas direkt und ausdrücklich annimmt.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension