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Titel
Das antike Sizilien.


Autor(en)
Dreher, Martin
Reihe
Beck'sche Reihe 2437
Erschienen
München 2008: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
€ 7,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Nuss, Althistorisches Seminar, Georg-August Universität Göttingen

Man kann durchaus davon sprechen, dass das Thema „Sizilien“ in den Altertumswissenschaften derzeit Konjunktur hat: Vom 25. Januar bis 25. Mai dieses Jahres fand in Bonn eine große Sizilien-Ausstellung statt – und der dazugehörige Katalog zeugt eindrucksvoll von der elementaren Bedeutung der Antike bei dieser Veranstaltung.1 Neben dem primär archäologischen Interesse der Ausstellung sei aber auch auf die ebenfalls 2008 erschienene philologische Arbeit von Andreas Willi mit vor allem sprach- und literaturwissenschaftlichem Bezug zum archaischen Sizilien hingewiesen.2 Insofern ist es sehr begrüßenswert, dass mit dem vorliegenden Buch von Martin Dreher nun fast parallel eine althistorische Abhandlung erschienen ist, die einen Überblick über die Geschichte Siziliens im griechisch-römischen Altertum bietet. Denn selbstverständlich sind in den vergangenen Jahren diverse Einzeluntersuchungen zu den verschiedenen Aspekten der antiken Geschichte auf der Mittelmeerinsel erschienen, jedoch ist die (immer noch grundlegende) letzte Gesamtdarstellung des Themas von Moses I. Finley inzwischen vier Jahrzehnte alt 3, so dass sich eine neue Bearbeitung durchaus anbietet, auch um „die Ergebnisse der archäologischen Forschung stärker einzubeziehen“ (S. 123).

Nun stellt es generell eine große Herausforderung dar, die historischen Entwicklungen und Prozesse eines bestimmten geographischen Raumes umfassend zu beleuchten – und es vereinfacht die Lage nicht, wenn es sich dabei auch noch um eine in der Antike so bedeutende (und umstrittene) Region wie die Insel Sizilien handelt. Martin Dreher ist dieses Unterfangen gelungen, und dies obgleich die vom Verlag vorgegebene Beschränkung des Textumfanges in der Reihe „C.H. Beck Wissen“ mit 128 Seiten fast zwangsläufig zu verschiedenen inhaltlichen und thematischen Verknappungen führen muss. Dreher wird diesen Umständen dadurch gerecht, indem er die einleitenden Kapitel zur vorhellenischen Phase und zur griechischen Kolonisation bewusst knapp und überblicksorientiert gestaltet, wobei es ihm dennoch gelingt, neben der Besprechung der einzelnen Neusiedlungen, ihrer topographischen Lage sowie ihrer spezifischen Gründungssituation auch die für das Phänomen unerlässlichen Grundlagen (etwa die Fragen nach den Beziehungen zwischen Metropolis und Apoikie, der besonderen Rolle der Oikisten sowie dem Verhältnis der griechischen Kolonisten zur indigenen Bevölkerung) zu thematisieren.

Im Mittelpunkt der Darstellung in den folgenden Kapiteln stehen die historischen Entwicklungen der griechischen Poleis in den verschiedenen Zeitphasen bis zur Etablierung der römischen Herrschaft auf Sizilien. Ausgehend von den aristokratischen Regierungsformen in den Gemeinwesen – parallel zu den bekannten Strukturen in den Mutterstädten – und den Formen der Statusrepräsentation durch wertvolle Weihgeschenke und Grabbeigaben, durch welche die Vertreter dieser Oberschicht ihren ökonomischen und politischen Status eindrucksvoll zur Schau stellten, kommt Dreher rasch auf ein Phänomen zu sprechen, das für die Geschichte Siziliens von besonderer Bedeutung werden sollte – die Errichtung von Tyrannisherrschaften. Anhand einiger Beispiele (Phalaris, Theron, Gelon, Hieron) kann verdeutlicht werden, wie sich die neue Herrschaftsform rasch im ganzen griechisch-sizilischen Raum etablieren konnte – und besonders auch in Syrakus, auf das nun als wichtigste und bedeutendste hellenische Polis der politisch-historische Fokus gerichtet wird. Im Folgenden stellt Dreher klar heraus, dass es innergriechische Konflikte zwischen einzelnen Tyrannenfamilien um die Stadt Himera waren, die schließlich zur Intervention der Karthager im Jahre 480 v.Chr. und zur berühmten Schlacht von Himera im selben Jahr führten. Doch obwohl dieser Kampf – häufig als Konflikt zwischen den Griechen und den Barbaren dargestellt – „mindestens im gleichen Umfang zwischen Griechen und Griechen“ (S. 29) ausgetragen wurde, hat seine Nachwirkung vor allem durch seine ,propagandistische‘ Umdeutung durch Gelon und Hieron, dem „Meister der öffentlichen Selbstdarstellung“ (S. 33), doch dazu beigetragen, dass die Tyrannis auch nach ihrem Sturz 466 v.Chr. in Syrakus als politische Herrschaftsform nicht durchgängig als negativ eingestuft wurde, auch wenn von dort ausgehend in den folgenden Jahren auf ganz Sizilien die tyrannischen Regime zu Fall gebracht und demokratische Ordnungen eingeführt wurden.

Am Beispiel von Syrakus verdeutlicht Dreher im folgenden Kapitel, welche politischen Institutionen (wie Volksversammlung / ekklesía und Rat / bulé) nun etabliert wurden bzw. inwiefern man – in Anlehnung an das Vorbild des Ostrakismós der athenischen Demokratie – den Pentalismós als Instrumentarium einführte. Außenpolitisch schließen sich in dieser Zeitphase zunächst die militärischen Konflikte mit der expansiven athenischen Großmacht an. Vom siegreichen Abwehrkampf der syrakusanischen Demokratie schlägt Martin Dreher über die Intervention Karthagos 409 v.Chr. auf Sizilien den Bogen bis zur Machtergreifung des Dionysios, der vor dem Hintergrund des außenpolitischen Drucks erneut eine Tyrannisherrschaft in Syrakus errichtete. Hierbei geht der Autor zunächst auf die innenpolitischen Methoden der Machtergreifung und Herrschaftssicherung des Machthabers sowie auf seine dynastische Heiratspolitik ein, bevor er die für die folgenden militärischen Waffengänge gegen Karthago nötigen fortifikatorischen Maßnahmen und poliorketischen Innovationen sowie militärischen Rüstungen des Tyrannen beschreibt. Obwohl Dionysios im Laufe der militärischen Konfrontation mit der nordafrikanischen Handelsmetropole unzweifelhaft die Vorherrschaft über das ganze hellenisch geprägte Sizilien erringen konnte, plädiert Dreher hier aber dennoch dafür, nicht von einem Territorialstaat zu sprechen, da die einzelnen Poleis und Stämme zwar „in ihrer außenpolitischen Souveränität eingeschränkt“ (S. 53) waren, sich diese Abhängigkeit aber nicht direkt auf ihre inneren Verhältnisse erstreckte.

Die Regierungszeit des Dionysios II. sowie die Bemühungen zur Errichtung einer neuen politischen Ordnung durch seinen Vetter Dion vor dem Hintergrund des platonischen Staatsideals werden von Dreher nur sehr knapp behandelt, bevor anschließend die Restaurationspolitik des Timoleon in den Mittelpunkt gerückt wird: Der Autor beschreibt die Aufgaben des aus der Mutterstadt Korinth nach Syrakus gerufenen Strategen sowie das Gelingen dieser Pläne und die großen Erfolge des Timoleon, unter dem die Insel eine neue Blütezeit erlebte. Dreher hebt allerdings hier auch – neben aller Würdigung der Politik Timoleons – den Umstand hervor, dass das von ihm errichtete Bündnissystem, das auf dem Grundsatz der Autonomie der einzelnen Mitgliedstaaten basierte, an der Schwelle zum beginnenden hellenistischen Zeitalter gegenüber den sich etablierenden Territorialstaaten als antiquiert zu gelten hat. Gerade auch der Vergleich mit Dionysios I. demonstriert, inwiefern der frühere Tyrann mit der Ausformung seines Herrschaftsraumes „seiner Zeit voraus“ (S. 65) war, während Timoleons Ordnung „als retardierendes Element betrachtet werden“ (S. 65) müsse.

Der Errichtung einer neuen hegemonialen Territorialherrschaft – kurze Zeit nach dem Tod Timoleons – durch Agathokles widmet Dreher das anschließende Kapitel. Zunächst wird die schrittweise Errichtung der Tyrannis in Syrakus beschrieben; dann thematisiert Dreher den erneut ausbrechende Krieg mit Karthago, wobei besonders Agathokles’ kühnes Unternehmen – die Landung in Afrika und die Belagerung Karthagos – in den Mittelpunkt gestellt wird. Den Beginn der Epoche des Hellenismus auch auf Sizilien sieht Dreher mit der Annahme des Titels basileús nach dem Vorbild der Diadochen durch Agathokles im Jahre 304 v.Chr. einsetzen, wobei auch auf die dynastischen Verbindungen, mit denen der Herrscher in den folgenden Jahren Anknüpfungen zu den hellenistischen Monarchen herstellte, eingegangen wird. Den Zerfall auch dieses von Syrakus ausgehenden Flächenstaates kurze Zeit nach dem Ende des Agathokles zurück in den Zustand der segmentierten, autonomen Poliswelt und die damit einhergehenden Krisenphänomene skizziert Dreher im Anschluss nur umrisshaft, bevor er knapp auf den letztlich fehlgeschlagenen Versuch des Epirotenkönigs Pyrrhos eingeht, eine erneute Territorialherrschaft auf Sizilien zu errichten.

In einem weiteren Kapitel wird die Regierungszeit Hierons II. beleuchtet, in die als deutliche Zäsur die römische Einmischung in die politischen Geschehnisse auf Sizilien im 1. Punischen Krieg fällt. Nach dem anfänglichen Bündnis mit Karthago wechselt Syrakus rasch die Fronten an die Seite Roms. Das Ende des Konfliktes 241 v.Chr. – mit der Vertreibung der Karthager und der Inbesitznahme des größten Teils Siziliens – sowie die Etablierung des Herrschaftsraumes als Provinz gingen für das nach wie vor souveräne Reich Hierons II. allerdings de facto mit einem Verlust des außenpolitischen Spielraums einher, so dass Dreher besonders die inneren Entwicklungen in Syrakus hervorhebt. Mit dem Bündniswechsel unter Hierons Erben Hieronymos im 2. Punischen Krieg und der daraus resultierenden Eroberung von Syrakus 211 v.Chr. sowie der Eingliederung des syrakusanischen Gebietes in die Provinz Sicilia endet der ,Hauptteil‘ des Buches.

In den folgenden Abschnitten, in denen die Entwicklung Siziliens als Provinz zunächst in der Phase der römischen Republik und dann der Prinzipats- und Kaiserzeit sowie der Spätantike bis schließlich zum Ende der byzantinischen Herrschaft thematisiert wird, verzichtet Dreher nun auf die in den ,Hauptkapiteln‘ noch angestrebte chronologisch durchgängige Struktur der Schilderung. Vielmehr werden die in den einzelnen Epochen auftauchenden Charakteristika und Entwicklungstendenzen – wie etwa die Ausformungen der Verwaltungsstrukturen – kenntlich gemacht, wobei aber durch die Thematisierung einzelner Phänomene ,Schlaglichter‘ auf die wichtigsten historischen Ereignisse auf Sizilien in der römischen Zeit geworfen werden: So geht Dreher beispielsweise auf die Sklavenaufstände des späten 2. Jahrhunderts v.Chr. und auf Ciceros Anklage gegen den ehemaligen Statthalter Siziliens, Verres, ein und beschreibt die Herrschaftszeit des Sextus Pompeius sowie die Inbesitznahme für Octavian. Abgerundet werden die Ausführungen in den letzten beiden Kapiteln zur Spätantike bzw. zur byzantinischen Zeit mit einer Darstellung der Herrschaftswechsel auf Sizilien von der Völkerwanderungszeit über die Rückeroberung unter Kaiser Justinian und der Implementierung der Insel in das oströmische Reich bis zur arabischen Eroberung im 9. Jahrhundert.

Der einzige Kritikpunkt, der an Drehers Sizilien-Buch auszumachen ist, stellt die leider zu knapp geratene Betrachtung des karthagischen Westens der Insel dar. Zwar wird vom Autor bereits im Vorwort darauf verwiesen, dass es das Ziel sei, „einen knappen Überblick über die Geschichte Siziliens im griechisch-römischen Altertum“ (S. 7) zu bieten, und auch der vom Verlag mit insgesamt 128 Seiten bemessene Rahmen für die Gesamtdarstellung rechtfertigt mit Sicherheit einige Auslassungen in diesem Bereich. Dennoch führt dieses Desiderat leider zu dem Umstand, dass die karthagische Herrschaft auf Sizilien dem unbedarften Leser als eine Art ,Fremdkörper‘ erscheint, der in den unterschiedlichen Zeitstufen stets als ein von außen kommender Gegner auf der Insel einfällt. Selbstverständlich stellten die groß angelegten militärischen Invasionen der nordafrikanischen Metropole in den ostsizilischen Bereich hinein jeweils punktuell eine elementare Gefahr für die griechischen Poleis dar – vor allem der Vernichtungsfeldzug von 409/07 v.Chr., dem so blühende Städte wie Selinunt, Himera, Akrags, Gela und Kamarina zum Opfer fielen –, dennoch sollte nicht übersehen werden, dass die phoínikes, die von alters her und noch vor den Griechen auf Sizilien siedelten (Thuk. 6,2,6), stets auch Partner der hellenischen Poleis gewesen sind. Die Übernahme griechischer Elemente und Darstellungen in die punische Handwerks- und Kunstproduktion wäre ohne einen intensiven Kontakt, der zweifelsfrei über Sizilien erfolgte, nicht denkbar gewesen. Insofern ist es bedauerlich, dass für ein knappes Kapitel zur karthagischen Epikratie in Drehers Buch letztendlich kein Platz vorhanden war. Immerhin wird aber im Literaturanhang (S 123f.) auf das immer noch als grundlegend geltende Werk von Linda-Marie Hans verwiesen 4, so dass der an diesem Punkt besonders interessierte Leser die Möglichkeit erhält, hier weiter zu recherchieren.

Insgesamt umfasst Drehers Buch zur Geschichte des antiken Sizilien einen Zeitraum von anderthalb Jahrtausenden. Die zwangsweise dabei anfallende große Fülle an Informationen wird vom Autor in einer sehr anschaulichen Sprache vermittelt; etliche gut gelungene Abbildungen in schwarz-weiß sowie Pläne im Einband (wobei auf der Sizilienkarte die Stadt Syrakus nicht verzeichnet ist) lockern den Text zudem auf. Gleiches gilt im Besonderen für die archäologischen ,Einsprengsel‘ – wie etwa Drehers Ausführungen zu den Monumenten der archaisch-aristokratischen Poleis, den Repräsentationsbauten Hierons II. oder den Exkursen zur hellenistisch-römischen Wohnkultur sowie zu den luxuriösen Wohnsitzen und Villen der Spätantike –, die dazu beitragen, dass es das kleine Büchlein vermag, mehr als nur einen knappen chronologischen Abriss der Geschichte zu geben, sondern dabei hilft, das Bild des antiken Sizilien lebendig widerzuspiegeln.

Anmerkungen:
1 Ausstellungskatalog „Sizilien. Von Odysseus bis Garibaldi – vom 25. Januar bis 25. Mai 2008 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn“, München / Berlin 2008; von den insgesamt 287 im Katalog angeführten archäologischen Exponaten sind immerhin 147 der Epoche der Antike bzw. Spätantike sowie der byzantinischen Zeit zuzuordnen.
2 Willi, Andreas, Síkelismos. Sprache, Literatur und Gesellschaft im griechischen Sizilien (8.–5. Jh. v.Chr.), Basel 2008.
3 Finley, Moses I., A History of Sicily, London 1968.
4 Hans, Linda-Marie, Karthago und Sizilien, Hildesheim u.a. 1983.

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