Cover
Titel
"Tor zur Welt". Hamburg-Bilder und Hamburg-Werbung im 20. Jahrhundert


Autor(en)
Amenda, Lars; Grünen, Sonja
Reihe
Hamburger Zeitspuren 5
Erschienen
Anzahl Seiten
205 S., 40 SW-Abb.
Preis
€ 10,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christopher Görlich, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

„Tor zur Welt“ – noch bevor der Leser das Buch aufschlägt, weckt der Titel eine Reihe von Assoziationen und Vorstellungen über die norddeutsche Hafenstadt: Hamburg steht in den Köpfen vieler Menschen für Hafen, Landungsbrücken und Reeperbahn, aber auch für Kultur und Erholung. Nun haben sich Lars Amenda und Sonja Grünen der Entstehung, Entwicklung und Wirkung von Hamburg-Bildern in zwei langen Aufsätzen zugewandt. Während sich Amenda auf knapp hundert Seiten mit der Vorstellung und Selbstdarstellung der Stadt Hamburg befasst, wendet sich Grünen Hamburg als Touristenmetropole zu, um das Thema aus dem spezifischen Blickwinkel der Touristen sowie der Tourismusindustrie und der städtischen Fremdenverkehrswerbung zu untersuchen. Leider stehen beide Beiträge im Buch unverbunden nebeneinander, ohne eine zusammenfassende Einleitung und ein gemeinsames Schlusswort.

Amenda verfolgt die zentrale Fragestellung, „wie sich eine Handelsmetropole ‚verkaufte‘ und von der Öffentlichkeit gesehen wurde“ (S. 10). Im nicht weiter präzisierten Anschluss an Kevin Lynchs Buch „The Image of the City“ (zuerst Cambridge 1960) betont Amenda den Unterschied zwischen „Selbstdarstellung“ und „Vorstellung“. Unter „Selbstdarstellung“ versteht der Autor vor allem die Hamburg-Werbung seitens der Politik und privater Fremdenverkehrsunternehmen, als „Vorstellung“ begreift er die Wahrnehmung und Rezeption Hamburgs in Medien und Gesellschaft. Nicht immer sind „Vorstellung“ und „Selbstdarstellung“ deckungsgleich: „Den urbanen Raum eignen sich dessen Bewohner trotz dezidierter Ziele von Architekten, Stadtplanern und Politikern durchaus eigensinnig an“, schreibt Amenda (S. 11). Um diese an sich nicht sonderlich überraschende These zu belegen, entfacht er ein wahres Feuerwerk. Die Lektüre bereitet großes Vergnügen.

So beginnt Amenda seinen Aufsatz unter dem Titel „‚Tor zur Welt‘. Die Hafenstadt Hamburg in Vorstellung und Selbstdarstellung 1890–1970“ mit einem kurzen historischen Überblick zur Geschichte Hamburgs. Er beschreibt die wirtschaftliche Geschichte des Hafens ebenso wie die Entwicklung der Reeperbahn. In einem eigenen Kapitel geht es um die Entstehung des Topos „Tor zur Welt“, der noch heute den Inbegriff der Hansestadt darstellt. Dieser Begriff kam in den 1920er-Jahren auf, in der Krisenzeit zwischen Erstem Weltkrieg und Weltwirtschaftskrise, als sich die (damals noch nicht so bezeichnete) Globalisierung für Hamburg mehr als je zuvor bemerkbar machte. Im nationalsozialistischen Deutschland als „Aus- und Einfallstor“ verstanden und zusätzlich als „deutsch“ tituliert, konnte Hamburg mit Hilfe dieses Begriffs auch in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg noch eine gewisse Weltoffenheit suggerieren, wenngleich die realwirtschaftliche Bedeutung der Stadt und ihres Hafens wegen der Autarkiebestrebungen des „Dritten Reichs“ eher zurückging. In der Nachkriegszeit schließlich knüpfte man erneut an das Image der Weltoffenheit an und nutzte den Begriff verstärkt zur Tourismuswerbung. Im Folgenden schreibt Amenda über die Bedeutung des Hafens für das Selbstbild der Stadt und erörtert seine architektonische Gestaltung. Tourismus und Fremdenverkehrswerbung sind weitere Themen (wobei die Abgrenzung zum Aufsatz von Grünen etwas unklar bleibt). Auch die massenmediale Inszenierung Hamburgs in Fotos, Zeitungen, Film und Schlagermusik, Rock und Pop fehlt nicht.

Amendas Schilderung kann den Leser streckenweise mitreißen. Doch so informationsreich die Lektüre ist, so beeindruckt der Leser auch sein mag von der Fülle der Einzelheiten, Fakten und Kuriositäten, die Amenda zusammenbindet, so bleibt am Ende dennoch das Gefühl zurück, dass es nicht möglich ist, „Hamburg und die Welt“ auf weniger als 100 Seiten zu beschreiben. Sowohl das einleitende Postulat, lokale, nationale und globale Ebenen zu unterscheiden sowie zugleich schicht- und geschlechterspezifische Differenzierungen einzuführen, als auch der Anspruch, bei der Analyse von Bildern, Musik und Geräuschen neue Wege zu gehen, müssen zwangsläufig zu kurz kommen. Angesichts des knappen Raumes hätte eine stärker zugespitzte Fragestellung dem Aufsatz sicherlich gut getan. Gleichwohl macht der knappe Überblick Appetit auf Amendas weitere Arbeiten.

Nicht weniger beeindruckend ist der etwas kürzere Aufsatz von Sonja Grünen unter dem beinahe barocken Titel „Touristenmetropole Hamburg. Die Entwicklung des Hamburger Städtetourismus, des Hamburg-Images und der touristischen Werbebilder in den Jahren 1955–1975“. Auch hier gilt, was bei Amendas Text bereits gesagt werden musste: Grünen will viel und erliegt zum Teil der Gefahr, dass manches allzu kurz geraten musste. So beginnt sie mit äußerst knapp gehaltenen einführenden Worten zur Entwicklung des Tourismus im Allgemeinen, zur Entstehung des Stadttourismus und seinen sozialen Strukturen. Hauptsächlich thematisiert Grünen sodann erstens das „Fremdenverkehrsaufkommen und Image der Stadt Hamburg“ sowie zweitens die „Organisation und Gestaltung der Hamburger Fremdenverkehrswerbung“.

Zunächst setzt Grünen statistische Erhebungen über das Fremdenverkehrsaufkommen in Beziehung zu den Vorstellungen und Erwartungen der Besucher. Zwar können kausale Zusammenhänge dabei kaum sichtbar werden, doch ergibt die Aneinanderreihung von Prozentzahlen einen zentralen, wenn auch wenig überraschenden Befund: Hamburg wurde für den Städtetourismus zu einer der wichtigsten Destinationen in der Bundesrepublik, und so nahm der Tourismus nach Hamburg bis in die 1970er-Jahre eine stetige, wenn auch oft schwierige und nicht gerade stürmische Entwicklung. In den 1970er-Jahren stagnierten jedoch die Besucherzahlen. Auch für Hamburg war nun die „Krise des Städtetourismus“ spürbar, die andere Touristenmetropolen der Bundesrepublik ebenso erfasst hatte. Ungeachtet dieser quantitativen Entwicklung blieb das Hamburg-Bild der Touristen über den Untersuchungszeitraum hinweg sehr konstant: Hamburg erschien in erster Linie als Hafen- und Vergnügungsstadt.

Sehr gründlich zeigt Grünen im Folgenden auf, dass dieses durchgängige Image Hamburgs nicht immer mit den Leitbildern korrelierte, die die Hamburger Stadtwerbung verbreiten wollte. Für die Vermarktung Hamburgs arbeitet Grünen mittels quantitativer Inhaltsanalyse zahlreicher Werbematerialien heraus, dass Hamburg vor allem als Kultur- und Erholungsstadt, als moderne Stadt sowie schließlich als Erlebnis- und Naturstadt erscheinen sollte. Erstaunlicherweise scheinen die Bezugnahmen auf den Hafen und das „Tor zur Welt“, die Amenda in seinem Aufsatz nachzeichnet, in den Texten der Werber, die Grünen analysiert, kaum eine Rolle gespielt zu haben. Erst in den Bildern der Werbeprospekte und auf Plakaten tauchte der Hafen als Symbol für das „Tor zur Welt“ wieder auf.

So wird der Leser in der beachtlichen Fülle der Materialien und Quellen auf das partielle Auseinanderklaffen zwischen textlicher und visueller Repräsentation sowie zwischen Hamburg-Images der Besucher und Leitbildern der Werbung gestoßen. Auch wenn Grünen diesen Widerspruch nicht explizit diskutiert, gelingt doch der eindrückliche und verdienstvolle Nachweis, wie sich die Stadtwerbung allmählich professionalisierte. Die heute altbacken wirkende Fremdenverkehrswerbung der 1950er-Jahre wurde im Untersuchungszeitraum zunehmend durch modernes Stadtmarketing ersetzt. Insofern ist Sonja Grünens Aufsatz weit mehr als eine Lokalstudie und für alle diejenigen Historiker interessant, die sich mit Fragen des Tourismus und seiner Vermarktung befassen.

Abschließend bleibt noch auf den ausführlichen Anmerkungsapparat und das umfangreiche Literaturverzeichnis zu verweisen, das den insgesamt gelungenen Band abrundet und dem Leser Anregungen gibt, manches zu vertiefen, was in diesem handlichen und preiswerten Buch zu kurz kommen musste.

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