Titel
The New South. New Histories


Herausgeber
Harris, J. William
Erschienen
London 2007: Routledge
Anzahl Seiten
376 S.
Preis
$34.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simon Wendt, Historisches Seminar, Universität Heidelberg

Die Erforschung der Geschichte des „neuen Südens“ in den Vereinigten Staaten von Amerika, einem Begriff, der erstmals in den 1880er-Jahren von amerikanischen Journalisten verwendet worden ist, wurde jahrzehntelang von dem Historiker C. Vann Woodward geprägt. In seiner 1951 erschienenen Synthese „Origins of the New South“ beschrieb Woodward, wie eine aus Industriellen und Plantagenbesitzern bestehende Elite im Schulterschluss mit Geschäftsleuten aus den Nordstaaten die wirtschaftlichen und sozialen Geschicke der Region nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs auf Kosten armer weißer und schwarzer Amerikaner bestimmte. Beim Versuch, den Süden wirtschaftlich voranzubringen, so Woodward, wehrte diese Elite jegliche Versuche, die bestehenden Machtverhältnisse anzugreifen, erfolgreich ab. Woodwards zweites Buch, „The Strange Career of Jim Crow“ von 1955, zeigte in diesem Kontext noch deutlicher, wie die während der Wiederaufbauphase nach dem Bürgerkrieg gewonnenen Bürgerrechte der afroamerikanischen Bevölkerung im späten 19. Jahrhundert im Süden durch eben diese Elite sukzessive aufgehoben und durch ein als „Jim Crow“ bekannt gewordenes System der Rassentrennung ersetzt wurde.

Laut ihres Herausgebers John William Harris ist die Aufsatzsammlung „The New South: New Histories“ ein Beispiel für den Anbruch einer „post-Woodward“-Ära, da sich die in diesem Band versammelten Autorinnen und Autoren erstmals von den von „Origins of the New South“ so lange vorgegebenen Fragestellungen und Methoden zu lösen beginnen. Zwar hatte schon die historische Forschung der 1970er- und 1980er-Jahre Woodwards Thesen teilweise revidiert und sich im Zuge der neuen Sozialgeschichte und der Kulturgeschichte stärker den Erfahrungen marginalisierter Gesellschaftsgruppen zugewandt, dennoch blieb Woodwards Werk in der Regel der Ausgangspunkt für diese revisionistische Forschung. „The New South: New Histories“ stellt im Gegensatz dazu eine Reihe bereits zuvor publizierter und für diesen Band gekürzter Aufsätze vor, die sowohl in methodischer als auch in chronologischer Hinsicht Neuland betreten.

Methodisch orientiert sich diese „post-Woodward“-Forschung vor allem an der Geschlechtergeschichte. Elsa Barkley Brown analysiert zum Beispiel die Versuche afroamerikanischer Frauen, ihre Stimme in den politisierten öffentlichen Raum schwarzer Gemeinden im späten 19. Jahrhundert einzubringen. Jane Turner Censer erforscht im Gegensatz dazu die Einstellungen und Praktiken von weißen Frauen der gesellschaftlichen Elite in North Carolina, wobei sie Generationenunterschiede als wichtigsten Einfluss auf deren Einstellungen zum neuen Süden ansieht. Steve Kantrowitz untersucht die Rolle von „Rasse“ und Männlichkeit in den Wahlkampagnen des rassistischen Politikers Ben Tillman, der in seinen Wahlkampagnen in den 1890er-Jahren das erstarkende „Populist Movement“ weißer und schwarzer Farmer als Gefahr für die Vorherrschaft weißer Südstaatler darstellte und durch diese Appelle an die Ängste weißer Südstaatler zum Gouverneur von South Carolina aufstieg. Nancy Hewitt untersucht am Beispiel „neuer Frauen“ in Tampa, Florida, in den 1920er-Jahren die Wechselbeziehungen zwischen „Rasse“, Ethnizität, Gender und Klassenbewusstsein in der Entwicklung von lokalen Frauenorganisationen.

Aber auch die historische Erinnerungsforschung spielt eine gewichtige Rolle in der methodischen Neuausrichtung der Forschung zum neuen Süden. Jack E. Davis analysiert zum Beispiel die so genannte „Natchez Pilgrimage“, eine in den 1930er-Jahren als Touristenattraktion begonnene Tour durch das historische Natchez, Mississippi, die es den weißen Organisatoren erlaubte, eine romantisierte Version der Vergangenheit des Südens zu präsentieren, die zur Festigung von Rassen- und Geschlechterhierarchien in der Kultur der Region beitrug. Auch der Aufsatz von W. Fitzhugh Brundage über die Versuche der Acadians, einer französisch sprechenden Minderheit im südwestlichen Louisiana, durch öffentliche Erinnerungsrituale ihre Kultur als seit Jahrhunderten unverändert zu präsentieren, um ihre Gruppenidentität zu bewahren, bietet eine Perspektive, die sich deutlich von der Woodwards unterscheidet. Jacquelyn Dowd Hall zeigt in ihrem Aufsatz über Katherine Du Pre Lumpkin, die Tochter eines Kriegsveteranen der Konföderierten Staaten von Amerika, dass die Auseinandersetzung von Individuen mit kollektiver Erinnerung auch eine befreiende Wirkung entfalten kann. So entwickelte Lumpkin durch eine kritische Analyse der als „Lost Cause“ bekannten, verklärenden Erinnerung an den alten Süden eine Art von Gegenerinnerung, die ihre spätere Arbeit als Reformerin in der Region nachhaltig prägte.

Schließlich stellt die chronologische Schwerpunktsetzung der neuen Historiografie zum neuen Süden eine deutliche Verlagerung des lange vorherrschenden Fokus auf die Zeit vom Ende der „Reconstruction“ bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs dar. Die Zuwendung zur Zwischenkriegszeit ist gleichzeitig Teil eines Trends in der historischen Erforschung der Bürgerrechtsbewegung, die schon seit längerer Zeit von einer „langen“ Bewegung spricht und damit den traditionellen Fokus auf die Zeit 1955-1968 ausweitet. In diesem Zusammenhang konzentriert sich Patricia Sullivan zum Beispiel auf die 1930er-Jahre, die trotz oder gerade wegen der nachhaltigen Wirtschaftskrise immer häufiger als Dekade des Wandels im Süden interpretiert werden. Die von Sullivan beschriebenen Lebenswege von weißen und schwarzen Bürgerrechtsaktivisten, die in dieser Zeit sowohl in Gewerkschaften als auch in Bürgerrechtsorganisationen der Region den afroamerikanischen Freiheitskampf vorantrieben, verdeutlichen, dass die Massenproteste der 1960er-Jahre ohne diese wichtigen Vorarbeiten nicht zu verstehen sind. Raymond Arsenault konzentriert sich in seinem Beitrag auf die seit langem bekannte aber bisher wenig erforschte „Journey of Reconciliation“, eine im Jahr 1947 von Mitgliedern des „Congress of Racial Equality“ durchgeführte Protestaktion gegen die Rassentrennung in Reisebussen im Süden, die das Potential gewaltlosen Protests für den Kampf gegen rassistische Diskriminierung lange vor den bekannteren „Freedom Rides“ andeutete. Jane Dailey untersucht die „lange Bürgerrechtsbewegung“ schließlich aus der Perspektive weißer Südstaatler und zeigt auf, wie wichtig die Rolle von Religion im weißen Widerstand gegen die Bürgerrechtsbewegung in den 1950er-Jahren war.

Der innovative Charakter der meisten Aufsätze dieses Bandes ist unbestreitbar. Die Mehrzahl der Essays wurde zuvor in führenden Fachzeitschriften veröffentlicht oder ist preisgekrönten Monographien entnommen. Besonders die Studien von Stephen Kantrowitz, Fitzhugh Brundage, Jack Davis und Jane Dailey haben der Forschung zum amerikanischen Süden in den letzten Jahren neue Impulse gegeben. Wirklich „neu“ sind allerdings nur eine Handvoll der Aufsätze, da einige von ihnen bereits Mitte der 1990er Jahre veröffentlicht wurden. Das Ziel des Herausgebers, Studierende mit den wichtigsten Trends der Historiografie vertraut zu machen, wird mit diesem Band allerdings voll erreicht. Gleichzeitig zeigt die Zusammenstellung von Harris aber auch, dass es aufgrund der vielen neuen Themen, Fragestellungen und Methoden der letzten 20 Jahre immer schwieriger werden wird, eine neue Synthese zu schreiben, die Woodwards Meisterwerk ersetzen könnte. Wie auch in der allgemeinen US-amerikanischen Geschichte hat die zunehmende Heterogenität der historischen Forschung zum amerikanischen Süden die Chancen für eine neue Meistererzählung klar geschmälert.

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