F. Kunth: Die Rothschild’schen Gemäldesammlungen in Wien

Cover
Titel
Die Rothschild’schen Gemäldesammlungen in Wien.


Autor(en)
Kunth, Felicitas
Erschienen
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
€ 39,-
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Rolinek, Museum der Moderne, Salzburg

Ausgehend von der legendären Bedeutung der Rothschilds mit ihren von Deutschland über Frankreich, Italien und Österreich bis Großbritannien verstreuten Familienmitgliedern und Unternehmungen im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts beschreibt Felicitas Kunth den Aufbau und die Geschichte der Rothschild’schen Gemäldesammlungen in Wien. Die 2006 erschienene Publikation ist eine gekürzte und überarbeite Version ihrer 2001 an der Universität Wien eingereichten Dissertation. Im deutschsprachigen Raum sind in den letzten Jahren, bedingt durch die Debatte um Raubkunst, bereits einige Veröffentlichungen über prominente Kunstsammler, deren Sammlungen und das Schicksal dieser Sammlungen während der NS-Zeit verfasst worden, die sich auch auf neue Quellen stützen konnten. Dennoch existiert immer noch ein Mangel an Wissen zu europäischen Kunstsammlern und die Entwicklung der Sammlungen zwischen den Jahren 1933 und 1945 bzw. über die Restitution der Objekte nach 1945.

Die Publikation besteht aus zwei Teilen: Felicitas Kunth gibt in Teil eins zunächst einen Überblick über die Stellung des österreichischen Familienzweiges der Rothschilds und das kulturelle und gesellschaftliche Klima in Wien, beschreibt das Schicksal der Sammlung vom „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 bis ins Jahr 1999 und umreißt anschließend noch die Entwicklung der Rothschschild’schen Sammlungen in Großbritannien, Frankreich und Deutschland. In Teil zwei rekonstruiert sie auf knapp 250 Seiten die Wiener Gemäldesammlungen, gibt Provenienzen und Quellen an.

Das Geschlecht der Rothschilds lässt sich bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts zurückverfolgen. Anfang des 19. Jahrhunderts begründeten die fünf Söhne des in Frankfurt am Main lebenden Mayer Amschel Rothschild Filialbetriebe des Rothschild’schen Bankhauses in London, Paris, Neapel und Wien. Der in Österreich ansässige Zweig der Familie baute in knapp einem Jahrhundert zwischen 1840 und 1938 eine umfangreiche Sammlung von Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Kunsthandwerksobjekten, Porzellanen, Tapisserien, Waffen, astronomische Geräten und Münzen auf. Felicitas Kunth stellt den Aufbau der Kunstsammlungen im Kontext der politischen Rahmenbedingungen in Wien dar, denn die Hauptstadt der Donaumonarchie galt als wenig judenfreundlich. Das vorherrschende Motiv, warum die Wiener Rothschilds umfangreiche und kostbare Kunstsammlungen aufbauten, war laut Felicitas Kunth nicht nur Kunst als Leidenschaft, sondern vor allem der Kampf um die Aufnahme in die obere Gesellschaftsschicht, die Schicht der „Ringstraßenbarone“. Auch die Rothschilds errichteten eindrucksvolle Familienpalais in Stile französischer Renaissance-Bauten und adaptierten eigene Themenzimmer bzw. -säle für die englische Porträtmalerei, die französische Dekorationsmalerei und die niederländischen Meister. Den Rothschilds war allerdings die Diskretion und Geheimhaltung ihrer Vermögenswerte von größter Bedeutung, sie befürchteten antisemitische Angriffe. Gerade diese Verhaltensweise machte die Rekonstruktion der Rothschild’schen Gemäldesammlungen nach 1945 so schwierig, denn die Familie ließ ihre Sammlung nicht wissenschaftlich erfassen und publizieren, die Palais wurden nicht für ein breiteres Publikum geöffnet.

Der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich und die „Arisierung“ jüdischen Vermögens bedeutete nicht nur das Ende der Wiener Gemäldesammlungen, sondern auch die unmittelbare Verfolgung der Familie Rothschild. Von den drei 1938 mit ihren Familien in Wien lebenden Brüdern hielten sich Eugène und Alphonse zum Zeitpunkt des Einmarsches der deutschen Truppen im Ausland auf. Der dritte Bruder, Louis von Rothschild, wurde in Wien von der Gestapo verhaftet und in das berüchtigte Gestapo-Hauptquartier im Hotel Metropol gebracht, das er erst ein Jahr später (nachdem ihm alle Vermögenswerte abgepresst worden waren) verlassen konnte. Er flüchtete in die USA. Die kostbaren Gemäldesammlungen der Brüder wurden „sichergestellt“, wie es im NS-Jargon hieß, und an Privatpersonen und Museen verkauft bzw. abgegeben. Auch Adolf Hitler bekundete sein Interesse an den kostbaren Stücken der Sammlungen.

1945, nach dem Ende des „Dritten Reichs“, entdeckten US-Truppen im Salzbergwerk von Altaussee 700 Gemälde der Rothschild’schen Sammlungen und restituierten die Kunstwerke. Die Familie Rothschild beauftragte einen Anwalt, um den Aufenthaltsort der übrigen Kunstwerke auszuforschen und eine Rückstellung zu beantragen. Doch die junge Republik Österreich setzte das so genannte „Ausfuhrverbot“ gezielt ein, um Restitutionen zu umgehen, wenn es sich um für Österreich bedeutende kulturelle Werte handelte. Felicitas Kunth beschreibt ausführlich, wie in diesem Zusammenhang die Verfolgung der Juden und die Enteignung jüdischen Vermögens vernachlässigt wurden. Wenn ehemalige Eigentümer ihre restituierten Kunstwerke ausführen durften, hatten sie eine „Ausfuhrabgabe“ von rund 10 Prozent zu zahlen, wobei der österreichische Staat hier den Eigentümern Kunstwerke abpresste. Auch die Rothschilds mussten österreichischen Museen insgesamt 207 Kunstwerke „widmen“ und 70 langfristige „Leihgaben“ überlassen, um andere restituierte Kunstwerke in die neue Heimat USA ausführen zu dürfen. Erst im Jahr 1998 änderte sich die Lage mit der Verabschiedung des österreichischen Restitutionsgesetzes: Die Bundesmuseen erhielten den Auftrag, ihre Bestände auf bedenkliche Erwerbungen zu überprüfen, letztendlich erhielt die Familie Rothschild 250 Kunstobjekte zurück, von denen ein Großteil im Jahr 1999 bei Christie’s in London versteigert wurde.

Felicitas Kunth stützt sich in ihrer Arbeit vor allem auf Primärquellen aus österreichischen, deutschen, britischen, russischen und US-Archiven, wie z.B. dem Österreichisches Staatsarchiv in Wien, dem Archiv des Bundesdenkmalamts in Wien, dem Archiv des Kunsthistorischen Museums in Wien, dem Bundesarchiv Koblenz, dem Rothschild Archiv in London, den Archives of the National Trust, Waddesdon Manor in Buckinghamshire, dem Russischen Staatlichen Militärarchiv in Moskau und den National Archives in Washington D.C. Bei ihrer Beschreibung der Geschichte der Wiener Gemäldesammlungen im ersten Teil der Publikation gibt Felicitas Kunth allerdings nur sehr spärlich essentielle Literatur wie jene von Frederic Morton und Thomas Trenkler an – Viktor von Fritsche zitiert sie kein einziges Mal. Über weite Strecken wird im ersten Teil nicht klar, woher die Informationen zu den Gemäldesammlungen stammen. Auch aktuelle Literatur arbeitete Felicitas Kunth in die aus dem Jahr 2001 stammende erste Version nicht mehr ein.1 Beeindruckend ist hingegen die Rekonstruktion der Inventarliste der Rothschild’schen Gemäldesammlungen in Wien. Detailliert gibt Felicitas Kunth hier Daten und Fakten zu den Kunstwerken, einschließlich der Provenienz und der Quellen an. Allein aus diesem Grund ist die Publikation über die Rothschild'schen Gemäldesammlungen in Wien für das Fachpublikum und für interessierte "Laien" unverzichtbar und von großer Bedeutung.

Anmerkungen:
1 Vgl. Morton, Frederic, Die Rothschilds. Ein Portrait der Dynastie, Wien 1961; Trenkler, Thomas; Der Fall Rothschild. Chronik einer Enteignung, Wien 1999; von Fritsche, Viktor; Bilder aus dem österreichischen Hof- und Gesellschaftsleben, Wien 1914; Lillie, Sophie; Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003.

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