S. M. Eddie: Landownership in East Germany

Titel
Landownership in Eastern Germany Before the Great War. A Quantitative Analysis


Autor(en)
Eddie, Scott M.
Erschienen
Anzahl Seiten
278 S.
Preis
$130.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Menning, Neuere und Neueste Geschichte, Universität Trier

Folgende Studie möchte der Rezensent allen empfehlen, die sich mit der Geschichte des ländlichen (Groß-)Grundbesitzes in Ostelbien und besonders mit seinem Adel beschäftigen – nicht weil die Arbeit alle Fragen beantwortet, alle Ergebnisse neu sind oder er mit allen Ergebnissen übereinstimmt, sondern weil nach der Lektüre reihenweise Fragen neu gestellt werden können und in der Arbeit Details vorhanden sind, die bei einer umfassenderen Einordnung in die aktuelle Forschung neue Türen öffnen. Die Arbeit lädt ein zum Vor- und Zurückblättern, zum Vergleichen und neuen Kombinieren der Zahlen der 133 Tabellen und 28 Grafiken. Und gerade hierin liegt eine große Leistung der Arbeit: in ihrem fast schon erschlagenden statistischen Material, dessen ausschnitthafte Vorstellung, die hier nur möglich ist, höchstens eine Anregung zur eigenen Lektüre darstellen kann.

Das Thema des ländlichen Grundbesitzes in Preußen ist in den letzten zwei Jahrzehnten durch verschiedene Arbeiten erforscht worden. Neben den Studien von Klaus Heß zum Großgrundbesitz im Preußen des Kaiserreichs stehen die regionalen Studien Ilona Buchsteiners für Pommern und René Schillers für Brandenburg.1 Die Untersuchungen zeichnen sich durch eine Verbindung von wirtschaftlicher und sozialer Perspektive auf die Bedeutung des Großgrundbesitzes aus. Dies bedeutet natürlich, dass nicht alle Ergebnisse neu sind. Vor allem bei Klaus Heß finden sich manche Ergebnisse bereits, worauf Scott M. Eddie auch hinweist. Insgesamt kann die vorliegende Arbeit aber ein dynamischeres und differenzierteres Bild als Klaus Heß zeichnen.

Das Buch selbst teilt sich in neun Kapitel. Den Ausgangspunkt bildet der Widerspruch zwischen der bleibenden Bedeutung der ‚Junker’, den die neuere Forschung feststellt, und den zeitgenössischen Klagen über den adeligen Landverlust an das Bürgertum. Die ersten beiden Kapitel resümieren vor allem die bisherige Forschung zum ländlichen Großgrundbesitz, präsentieren grundsätzliche Überlegungen zu Datenquellen für eine Untersuchung des Großgrundbesitzes und stellen das genutzte Datenmaterial, mitsamt den vorgenommenen Korrekturen, vor. Dabei dienen als Referenzjahre der Untersuchung 1882, 1895 und 1907, als Untersuchungsgebiet die preußisch-ostelbischen Provinzen.

Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der regionalen Verteilung des Großgrundbesitzes nach den Kriterien Fläche und Grundsteuerreinertrag, der Verteilung des Grundbesitzes auf verschiedenen Gruppen (Aristokratie, Bürgertum, Staat und Andere) sowie der Verteilung nach einzelnen Besitzern. Dabei zeigen sich durchaus verschiedene Bilder, wenn man den Großgrundbesitz nach Fläche und Steuerreinertrag differenziert, weil dort, wo die Flächen größer waren, meist auch der Grundsteuerreinertrag niedriger war. Die Verteilung auf Besitzergruppen wird im vierten Kapitel noch einmal differenziert. Die Gewinne und Verluste der einzelnen Besitzergruppen werden untersucht. Dabei zeigt Eddie, dass sowohl der niedere Adel als auch das Bürgertum Bodenbesitz verloren, während preußischer Staat und Hochadel hinzugewannen. Insgesamt verfügte die Aristokratie im Untersuchungszeitraum nur über etwa ein Viertel des ostelbischen (außerstädtischen) Grundbesitzes, was die quantitative Bedeutung der großgrundbesitzenden ‚Junker’ stark modifiziert, vor allem wenn man im Blick behält, dass in dieser Gruppe vom König bis zum Krautjunker mit 100 Hektar alles zusammengefasst ist. Das folgende Kapitel stellt dann die 50 größten Grundbesitzer nach Fläche bzw. Grundsteuerreinertrag und den Wechsel innerhalb dieser Personengruppe im Untersuchungszeitraum vor. Um zu dieser Gruppe zu gehören, war es fast eine Voraussetzung, dem hohen Adel anzugehören.

Im Anschluss hieran stehen Rittergüter als besondere Besitzklasse in den Fokus. Auch hier zeigt sich für das gewählte Beispiel Ostpreußen ein Ausverkauf des Bürgertums nach 1882, was der Autor auf den Verlust politischer Vorrechte bei Rittergütern zurückführt. Das siebte und das achte Kapitel untersuchen dann die Bedeutung der ländlichen Industrie und die Verteilung der Landqualität und Landnutzung. Während die Bedeutung der Industrie betont wird, zeigt das anschließende Kapitel detailreich die unterschiedliche Bodenqualität innerhalb des preußischen Ostelbien. Mancher Wald im Westen erreichte einen höheren Grundsteuerreinertrag als Äcker im Osten. Entsprechend unterschiedlich waren auch die Nutzungsprofile, die nach Region, Größen- und Besitzerklassen variierten. Im Schlusskapitel wird neben der Ergebniszusammenfassung noch die Frage nach einer systematischen Verzerrung des Grundsteuerreinertrages als Bevorzugung bestimmter Größen- oder Besitzerklassen behandelt. Die Frage wird schlussendlich verneint.

Wie bereits angemerkt, ist die Datenflut beinahe erschlagend. Allerdings wird der aufmerksame Leser mit mancherlei Detail belohnt. So kann man zum Beispiel feststellen, dass innerhalb der Aristokratie (vom kleinen Landjunker bis zum König zusammengefasst) im Jahr 1882 2321 Besitzer über Güter in den Flächen von 100-999 Hektar verfügten, 1299 über solche mit 1000 und mehr Hektar. Die erste Gruppe besaß insgesamt circa 1,16 Millionen Hektar, die zweite circa 3,85 Millionen Hektar (S. 82). Ein Indiz für die riesigen Reichtumsunterschiede innerhalb der Aristokratie, die einige Seiten weiter bestätigt werden, wenn der Leser erfährt, dass niederadlige Großgrundbesitzer 1882 über durchschnittlich 955 Hektar verfügten, und dies, obwohl zwei Drittel der Aristokratie nicht einmal 1000 Hektar Grundfläche besaßen. Der Riss verlief als nicht nur zwischen hohem und niederem Adel, sondern ging auch mitten durch die letztere Gruppe. Wenn also der Adel um 1900 über seine wirtschaftlichen Probleme klagte, so hatte dies möglicherweise einen zumindest subjektiv richtigen Kern, da eine große Gruppe Adliger mit wenig Land ein kleine Gruppe Adliger mit viel Land wirtschaftlich davonziehen sah.

Natürlich kann man aber auch Kritik an dieser Arbeit üben. So hätte man sich an mancher Stelle ein Balkendiagramm statt nicht enden wollender Zahlenreihen wünschen können, auch die eine oder andere Landkarte hätte zur Visualisierung der Ergebnisse beitragen können. Und ob der Ausverkauf des Bürgertums aus dem Rittergutsbesitz im Untersuchungszeitraum tatsächlich etwas mit dem Verlust der an Rittergüter geknüpften politischen Vorrechte zu tun hat (S. 166-167), wäre zumindest noch weiter zu untersuchen. Genauso erscheint dem Rezensenten die Frage zweifelhaft, ob der Großgrundbesitz am Ende des 19. Jahrhunderts tatsächlich noch als subsidiäres Einkommen zum Offiziersberuf diente (S. 111-116). Die große Zahl an Offizieren unter den Großgrundbesitzern deutet wohl eher auf eine temporäre Bedeutung des Militärs im Lebenslauf vor der Übernahme des Grundbesitzes hin.2 An mancher Stelle hätte zudem eine stärkere Einordnung in die sozialgeschichtliche Forschung weitere Ergebnishorizonte eröffnen können. Diese Punkte beeinträchtigen aber nicht das insgesamt positive Bild.

Anmerkungen:
1 Heß, Klaus, Junker und bürgerliche Großgrundbesitzer im Kaiserreich. Landwirtschaftlicher Großbetrieb, Großgrundbesitz und Familienfideikommiß in Preußen (1867/71-1914), Stuttgart 1990; Buchsteiner, Ilona, Großgrundbesitz in Pommern 1871-1914. Ökonomische, soziale und politische Transformation der Großgrundbesitzer, Berlin 199;. Schiller, René, Vom Rittergut zum Großgrundbesitz. Ökonomische und soziale Transformationsprozesse der ländlichen Eliten in Brandenburg im 19. Jahrhundert, Berlin 2003.
2 Buchsteiner, Ilona, Pommerscher Adel im Wandel des 19. Jahrhunderts, in: GG 25 (1999), 343-374.