T. Rohkrämer: A Single Communal Faith?

Cover
Titel
A Single Communal Faith?. The German Right from Conservatism to National Socialism


Autor(en)
Rohkrämer, Thomas
Reihe
Monographs in German History 20
Erschienen
New York u.a. 2007: Berghahn Books
Anzahl Seiten
306 S.
Preis
€ 69,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dirk Schumann, Jacobs University Bremen

Die Kulturkritik und die Staatskonzepte des deutschen Konservatismus, insbesondere in der Zeit der Weimarer Republik, sind seit den 1990er-Jahren erneut auf intensives Interesse der Forschung gestoßen. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und angesichts wachsender Skepsis gegenüber den sozialen und ökologischen Kosten des westlich-liberalen Gesellschaftsmodells erschien es zu holzschnittartig, sie nur als Wegbereiter des Nationalsozialismus zu diskutieren. Interpretiert wurden sie jetzt als Entwurf einer „anderen Moderne“, welcher die Konsequenzen von Aufklärung und französischer Revolution zwar grundsätzlich akzeptierte, sie aber im Rahmen einer anti-pluralistischen und von einer Elite geführten Ordnung wirksam werden lassen wollte.1

Mit seinem neuen Buch, das Überlegungen seiner 1999 publizierten Habilitationsschrift 2 und einer Reihe seitdem erschienener Aufsätze weiterführt, leistet Thomas Rohkrämer einen instruktiven Beitrag zu dieser Debatte. Dabei weist er den engen Konservatismus-Begriff von Panajotis Kondylis zurück und setzt stattdessen „konservativ“ im Prinzip mit „rechts“ gleich, unterscheidet allerdings eine „konservative Rechte“, die sich etwa als treibende Kraft der preußischen Reformen artikulierte, von einer „extremen Rechten“, die sich insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg herausbildete und im Nationalsozialismus ihren radikalsten Ausdruck fand. Rohkrämers Interesse gilt jenen Vertretern und Strömungen dieses breit definierten Konservatismus, die auf neuen Wegen eine von gemeinsamen Vorstellungen und Gefühlen getragene nationale Gemeinschaft schaffen wollten, um dadurch tiefgreifende gesellschaftliche Spannungen und Konflikte zu überwinden. Rohkrämer beschränkt sich dabei nicht auf die Untersuchung politischer Ideen, sondern bezieht, neueren kulturgeschichtlichen Ansätzen folgend, ausdrücklich auch Inszenierungen, Rituale und Symbole mit ein. Das verleiht seinem Zentralbegriff des communal faith eine durchaus eingeräumte Unschärfe, lässt ihn aber gerade für die Zeit der Weimarer Republik und des „Dritten Reiches“ wichtige Aspekte der politischen Kultur miteinbeziehen. Gleichzeitig setzt sich Rohkrämer vom Konzept der „politischen Religion“ ab, indem er zu Recht auf die Kompatibilität von Protestantismus und extremem Nationalismus im 19. wie im 20. Jahrhundert verweist. In dieser Breite und Differenziertheit des methodischen Zugriffs liegt ein Vorzug seiner Arbeit.

Rohkrämer entfaltet seine Argumentation in sechs Kapiteln, die sich an den klassischen Zäsuren der deutschen Geschichte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts orientieren. Den größten Raum nehmen jeweils Ausführungen zu ausgewählten intellektuellen Schlüsselfiguren ein. Wichtig im frühen 19. Jahrhundert erscheint Rohkrämer Friedrich Schellings Forderung nach einer „neuen Mythologie“, die im Einklang mit der Vernunft stehen soll. Als populäre Komplementierung dieses elitären Versuchs, einen neuartigen Gemeinschaftsglauben zu stiften, interpretiert er den Nationalismus der Befreiungskriege, dessen aggressive emotionale Aufladung gegen den französischen Feind und dessen antisemitische Untertöne seine spätere Verbindung mit dem Konservatismus anbahnte. Auch für die Zeit bis zur Reichsgründung betont Rohkrämer langfristige Kontinuitäten. Ohne die Vielschichtigkeit und politische Offenheit der Romantik zu leugnen, sieht er in „konservativen Romantikern“ wie Friedrich Schlegel und ihrer Betonung der christlichen Glaubensgemeinschaft des Mittelalters Wegbereiter späteren völkischen Denkens. Paul de Lagardes diffuser Ruf nach einer neuen Religion sowie sein virulenter Antisemitismus und Expansionismus sind für ihn vor allem wegen ihrer Wirkung weit über die gebildete Elite hinaus wichtig. Richard Wagner deutet Rohkrämer als eindeutig konservativen Künstler, der schon im „Rienzi“ eine spirituelle Revolution unter einem charismatischen Führer gefordert und dessen Entwurf einer germanischen, Juden und Marxisten ausschließende Glaubensgemeinschaft am stärksten durch seine Bilder von Erlösung und Untergang gewirkt habe. Im Kaiserreich sieht Rohkrämer eine Radikalisierung populärer Konzepte spiritueller Gemeinschaft bei den nationalen Agitationsverbänden, die nicht mehr auf deren allmähliche Herausbildung setzen, sondern sie durch Angstpropaganda erzeugen wollen. Die breite Rezeption von Houston Stewart Chamberlains Entwurf einer klar antisemitischen „nordischen“ Religion gilt ihm als Beleg für eine größer werdende Akzeptanz gewaltsamer Mittel zur Herstellung nationaler Gemeinschaft. Nietzsches Propagierung des authentischen Individuums und seine Forderung nach einem gemeinschaftsstiftenden Mythos interpretiert er nicht als Gegensätze, sondern als komplementäre Bestandteile einer elitären Gesellschaftskonzeption. Die „Ideen von 1914“ schreiben dem gegnerischen Ausland unerwünschte Aspekte der Moderne zu und verschärfen so Gemeinschaftsvorstellungen weiter.

Rohkrämer sieht im „Kriegssozialismus“ (näher behandelt werden Walther Rathenau und Johannes Plenge) eine Konkretion von Gemeinschaftskonzepten, die, verstanden als Ursache für das lange Durchhalten Deutschlands im Krieg, bei der Politischen Rechten über die Niederlage 1918 hinaus attraktiv bleibt, während die Vaterlandspartei wegen ihres zu elitären Selbstverständnisses scheitert. In der Weimarer Republik sieht Rohkrämer in den Entwürfen eines Gemeinschaftsglaubens das Bindeglied zwischen der „Konservativen Revolution“ und dem Nationalsozialismus. Während Oswald Spengler ihn allein als Resultat diktatorischer Formung von oben beschreibt, löst bei Carl Schmitt der Staat den Katholizismus als gemeinschaftsstiftende Kraft ab. Bei Ernst Jünger übernimmt die Technik eine zentrale Rolle, während Martin Heidegger die Verwurzelung in ländlicher Heimat und eine Verbindung von Kunst und Religion als Weg zu einer neuen gemeinschaftlichen Spiritualität bestimmt.

Im Nationalsozialismus unterscheidet Rohkrämer einen fundamentalistischen Ansatz, der auf die Stiftung einer neuen germanischen Religion abzielt und vor allem von Alfred Rosenberg und Heinrich Himmler repräsentiert wird, von einem vergleichsweise pragmatischen, der, vertreten von Hitler selbst und Goebbels, den Nationalsozialismus als gemeinschaftliche politische Überzeugung definiert und darunter eine auf den privaten Bereich beschränkte, nicht spezifisch definierte Religiosität durchaus zulässt. Besondere Aufmerksamkeit widmet Rohkrämer der Ästhetisierung von Politik durch das Regime. Sehr differenziert beschreibt er dessen Totenkult und andere öffentliche Inszenierungen, die zwar eine Reihe quasi-religiöser Elemente enthielten (wie die so genannte „Blutfahne“), aber als Mischung von religiöser Zeremonie und ästhetischem Schauspiel den Teilnehmern und Zuschauern eigene Interpretationsspielräume boten.

Thomas Rohkrämers Studie bietet insgesamt eine kenntnisreiche, differenziert argumentierende und sich durchweg auf der Höhe der Forschung bewegende Darstellung einer Leitidee der politischen Rechten in Deutschland. Da sie mit weniger als dreihundert Seiten den behandelten Epochen nur knappen Raum geben kann und sich überdies weitgehend bekannten intellektuellen Figuren widmet, trägt sie jedoch vornehmlich einführenden Charakter. Ihr Ertrag besteht darin, den gemeinsamen Kern der verschiedenartigen religiösen, kulturellen, ästhetischen und politischen Gemeinschaftsentwürfe freizulegen und Kontinuitätslinien hervorzuheben. Deutlich wird deren zunehmende Radikalisierung seit dem späten Kaiserreich. Gut herausgearbeitet ist die Spannung zwischen elitären und massenwirksamen Einheitskonzepten. Ausführlicher diskutiert gewünscht hätte man sich dagegen die Ausgrenzungs- und Vernichtungsphantasien, die mit Gemeinschaftsentwürfen einhergingen. Ebenfalls nur sehr knapp behandelt werden explizit auf den Abbau von Klassenspannungen zielende Aspekte von Gemeinschaftskonzepten. Am Beispiel der Debatte um die „Volksgemeinschaft“ hätte sich zeigen lassen, dass Konzepte der politischen Rechten zumindest in partieller Konkurrenz zu solchen der Linken und der linken Mitte standen und nicht unbedingt ein Monopol auf bestimmte Begriffe besaßen. Aber diese Bemerkung ist weniger als Kritik, denn als Anregung für künftige Studien zu verstehen.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Sieferle, Rolf Peter, Die Konservative Revolution. Fünf biographische Skizzen, Frankfurt am Main 1995. Zum ähnlichen Ansatz der neueren Faschismus-Forschung vgl. Payne, Stanley G., A History of Fascism, 1914-1945, Madison 1995.
2 Rohkrämer, Thomas, Eine andere Moderne? Zivilisationskritik, Natur und Technik in Deutschland 1880-1933, Paderborn 1999.

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