G. Chaliand u.a. (Hrsg.): The History of Terrorism

Titel
The History of Terrorism. From Antiquity to Al Qaeda. Translated by Edward Schneider, Kathryn Pulver and Jesse Browner


Herausgeber
Chaliand, Gérard; Blin, Arnaud
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII, 474 S.
Preis
$ 24.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carola Dietze, German Historical Institute, Washington

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington D.C. dominieren anglo-amerikanische Beiträge zum Terrorismus die Auseinandersetzung mit dem Thema in der Öffentlichkeit wie in der Forschung. Dabei ist das Interesse an diesem Thema und die Expertise dazu – von einigen Ausnahmen abgesehen – in den USA relativ jung. Eine längere Tradition der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Terrorismus existiert hingegen in Frankreich. Bedingt durch die französische Kolonialgeschichte sowie die Ermittlungen zu Anschlägen im eigenen Land standen der Nahe Osten und Nordafrika im Fokus des Interesses. Der Rezeption dieser Forschung in Deutschland wie in den angelsächsischen Ländern waren und sind durch sprachliche Hürden oft enge Grenzen gesetzt. Der hier zu besprechende, aus dem Französischen ins Englische übersetzte Band könnte in dieser Hinsicht erste Abhilfe schaffen.1

Gérard Chaliand ist ein Doyen der französischen Guerilla- und Terrorismusforschung. Er hat nicht nur an der prestigevollen École nationale d’administration und am Collège interarmées de défence, an der University of California und der Harvard University gelehrt, sondern vor allem auch durch seine zahlreichen Aufenthalte in Konfliktzonen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas einschlägige Erfahrung sammeln können. Zusammen mit seinem Kollegen Arnaud Blin hat Chaliand nun ein Buch herausgegeben, das für die interessierte Öffentlichkeit eine gute Einführung in das Thema darstellt, aber auch für Spezialisten interessant ist.

Der Band ist breit angelegt: Auf die Einleitung der Herausgeber folgt ein Beitrag von Ariel Merari über Terrorismus als Strategie des Aufstands. Im ersten Teil („The Prehistory of Terrorism“) behandeln Chaliand und Blin in zwei Kapiteln den Widerstand der jüdischen Zeloten gegen das Römische Reich und die persischen Assassinen sowie „Manifestations of Terror through the Ages“: den Tyrannenmord in Theorie und Praxis vom antiken Griechenland und Rom über das Mittelalter bis zur Französischen Revolution. Einen besonderen Schwerpunkt legen sie auf das Thema „Terror in Warfare“ während der mongolischen Eroberungen und im Dreißigjährigen Krieg. Im zweiten Teil („Terror from 1789 to 1968“) geht es in sechs Kapiteln um die Entstehung des modernen Terrorismus (Chaliand/Blin), den anarchistischen Terrorismus des 19. Jahrhunderts (Olivier Hubac-Occhipinti), den russischen Terrorismus der Jahre 1878–1908 (Yves Ternon), das „goldene Zeitalter“ des Terrorismus der nationalen Unabhängigkeitsbewegungen von Serben, Iren, Indern, Makedoniern, Kroaten und Armeniern (Chaliand/Blin), den Staatsterrorismus in der Sowjetunion unter Lenin und Stalin (Chaliand/Blin) sowie den Terrorismus zu Kriegszeiten, hier besonders im Zweiten Weltkrieg und in den Dekolonialisierungskriegen (Chaliand/Blin).

Der dritte Teil behandelt in sieben Kapiteln die Entwicklungen des Terrorismus seit 1968. Im einführenden Abschnitt „From 1968 to Radical Islam“ liefern die Herausgeber eine Typologie der Formen politischer Gewalt in diesem Zeitraum sowie einen Überblick zu den aktiven Gruppen, deren Geschichte und den Methoden ihrer Bekämpfung. Dabei geht es auch um den revolutionären und separatistischen Terrorismus in der westlichen Welt, etwa die Weathermen, die RAF, die Brigate Rosse, die Japanese Red Army und die IRA, ETA oder Front de libération du Québec. Anschließend behandelt Philippe Migaux in drei Kapiteln die Wurzeln des islamischen Radikalismus, Al Qaeda und die Zukunft der islamistischen Bewegungen. Francois Géré geht in einem eigenen Kapitel auf die Form des Selbstmordattentats ein, Arnaud Blin analysiert den Kampf der Vereinigten Staaten gegen den Terrorismus, und Rohan Gunaratna beschreibt die aktuelle Bedrohung durch den Terrorismus in Südostasien sowie die spezifischen Schwierigkeiten in der Region, eine Antwort darauf zu finden.

Was diesen Band von vielen anderen Veröffentlichungen zum Thema wohltuend abhebt, ist seine Unaufgeregtheit, die sich in dem breiten komparatistischen Zugriff – synchron wie diachron –, in der Anwendung klarer Analysekategorien und im Verzicht auf standortgebundenes Moralisieren zeigt. Besonders hervorzuheben ist dabei die einleitende Phänomenologie politischer Gewalt von Ariel Merari. Der Direktor der Political Violence Research Unit an der Universität Tel Aviv und derzeitige Gastprofessor in Harvard verortet in seinem sehr lesenswerten Beitrag den Terrorismus als Strategie im Arsenal politischer Gewalt (das etwa den Krieg zwischen Staaten, die Gewalt von Staaten gegen Bürger, den Bürgerkrieg, den Krieg von Bürgern gegen den Staat, den Coup d’État, die Revolution, den Guerillakrieg, den Aufstand und den gewaltlosen Widerstand umfasst), um dann die Spezifika des Terrorismus zu bestimmen. Als problemorientierte und konzise Einführung zum Phänomen Terrorismus wird sich dieser Text gerade in Seminaren sicher bewähren.

Die Stärken der französischen Forschungsperspektive sowie der französischen Erfahrung mit dem Terrorismus in Nordafrika und im Nahen Osten finden sich insbesondere in den drei Kapiteln von Philippe Migaux, der am Collège interarmées de défense lehrt. Seine Beiträge setzen mit der Entstehung des Islam ein, geben einen kurzen, problemorientierten Überblick der Ideengeschichte bis zu den muslimischen Bruderschaften im Ägypten der Jahrhundertwende und zeigen auf nicht-deterministische Weise die Ansatzpunkte islamischer Terroristen in der Theologie auf. Migaux gelingt es, vor dem Hintergrund der politischen, sozialen und demographischen Geschichte des arabischen Raums die ideologischen Entwicklungen und Interdependenzen sowie die personellen Verbindungen und Überschneidungen der radikal-islamistischen Bewegungen von Indien, Pakistan und Afghanistan über den Iran und den Nahen Osten bis Tunesien, Algerien und Marokko zu analysieren und die seit Beginn der 1990er-Jahre zunehmende Orientierung dieser Bewegungen auch auf Ziele in Europa aufzuzeigen. So führt Migaux auf konzise Weise in die Entwicklung des militanten Islamismus ein, gibt dieser Entwicklung die notwendige Tiefenschärfe und bettet die Anschläge des beginnenden 21. Jahrhunderts in Europa und den USA in eine Geschichte ein, die räumlich wie zeitlich weit über den Krieg in Afghanistan gegen die Sowjetunion hinausreicht.

Nicht alle Beiträge halten dieses Niveau: Gerade bei den Kapiteln zur „Vorgeschichte“ des Terrorismus hätte man sich etwa gewünscht, dass diese Abschnitte von Historikern geschrieben worden wären und mehr von dem spezifischen Kontext und Vorstellungshorizont der jeweiligen Gesellschaften vermitteln würden. Bedauerlich ist zudem, dass etwa Migaux – vermutlich weil er vorwiegend mit Berichten und Informationen arbeitet, die als geheim klassifiziert sind – seine Quellen nicht offenlegt und auch nicht auf andere allgemein zugängliche Literatur verweist. Diese Mängel ändern jedoch nichts an der Tatsache, dass hier ein Band vorliegt, der die Auseinandersetzung lohnt. Kompetente und renommierte Autoren geben der allgemeinen Öffentlichkeit eine dichte und gut lesbare Einführung zum Phänomen des Terrorismus, und zwar in analytischer Herangehensweise und mit aufklärerischer Absicht. Für Spezialisten ist der Band aufgrund seines spezifischen Blicks und Erfahrungshintergrunds interessant – schade, dass eine deutsche Übersetzung bislang fehlt.

Anmerkung:
1 Französische Originalausgabe: Chaliand, Gérard; Blin, Arnaud (Hrsg.), Histoire du terrorisme. De l’Antiquité à Al Qaida, édition revue et augmentée, Paris 2006.

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