Cover
Titel
To the Threshold of Power, 1922/33. Origins and Dynamics of the Fascist and Nationalist Socialist Dictatorships. Volume 1


Autor(en)
Knox, MacGregor
Erschienen
Anzahl Seiten
448 S.
Preis
₤ 40.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kiran Klaus Patel, Europäisches Hochschulinstitut, Florenz

Nach mehreren Vorstudien zur Geschichte von Nationalsozialismus und Faschismus hat MacGregor Knox nun den ersten Band einer großen, vergleichenden Studie zu diesen beiden Bewegungen und Diktaturen vorgelegt. Während der vorliegende Teil Vorgeschichte und Bewegungsphase umfasst, wird ein zweiter, noch nicht erschienener Band sich der Regimephase zuwenden. Knox geht es hier darum, Ursprünge, Ideologien, Strukturen, Dynamiken und Ziele der beiden Bewegungen miteinander zu vergleichen und auf der Grundlage seiner breiten Kenntnis beider Gesellschaften einen nuancenreichen, multidimensionalen Vergleich vorzulegen.

Herausgekommen ist in der Tat ein immens gelehrtes Buch, das die Geschichte beider Gesellschaften tief auslotet. Knox setzt im Zeitalter der französischen Revolution ein und unterzieht die “verspäteten” Nationalstaaten einer ausführlichen Analyse. Insgesamt betont er die Parallelitäten zwischen den beiden Gesellschaften – von denen sich viele jedoch erst auf den zweiten Blick zeigen: “Versailles” und “vittoria mutilata” zum Beispiel hatten zwar einerseits sehr unterschiedliche Folgen, da in Deutschland die politische Ordnung und die Gesellschaft stark fragmentiert aus dem Krieg traten, während in Italien Monarchie und Staat intakt blieben, in manchen Fragen sogar gestärkt wurden. Bei näherer Betrachtung durchzogen jedoch andererseits tiefe Bruchlinien und Konflikte auch die italienische Gesellschaft. So bildeten etwa das Übergewicht der Exekutive im politischen System sowie die anhaltende (Deutschland) oder neu gewonnene (Italien) Bedeutung der militärischen Elite hier wie da Faktoren, welche den Niedergang der demokratischen Ordnung mit erklären.

Besonders bemerkenswert an dem Buch sind die militärhistorischen Ausführungen – etwa Knox’ überzeugende Gegenüberstellung von Esprit de corps, gesellschaftlicher Stellung und Kampfkraft des Wilhelminischen und des italienischen Heeres. Diese Ausführungen werden zugleich in überzeugender Weise in allgemeine Entwicklungen eingebettet. Sie sind nicht nur Ausdruck von Knox’ militärhistorischer Expertise (es handelt sich nicht nur um theoretisches Wissen – diente der Autor doch in Vietnam als Zugführer einer Luftlandebrigade und gehört zu den wenigen hierzulande gelesenen Autoren, der kein Problem damit hat, ein Buch den US-Streitkräften zu widmen), sondern auch des hohen Stellenwerts militärhistorischer Fragen in der anglo-amerikanischen Historiographie. Auch in vielen anderen Fragen gelingt dem Autor eine nuancierte Gegenüberstellung des Aufstiegs von italienischem Faschismus und Nationalsozialismus.

Wirklich überzeugt hat mich das Buch jedoch nicht. Knox basiert sein Werk auf der alten Sonderwegsthese, ohne dieser Debatte neue Argumente hinzuzufügen. Immer wieder (im Verlauf des Buches jedoch leider immer weniger) wird die Entwicklung Deutschlands und Italiens mit der von Frankreich und Großbritannien gegenübergestellt. Warum dieser Vierervergleich ausreicht, um einen langen Sonderweg seit dem 19. Jahrhundert zu konstatieren, wird ebenso wenig explifiziert wie die sonderwegskritische Forschung angemessen diskutiert wird. Häufig scheint sich die Studie dann am wohlsten zu fühlen, wenn sie sich auf Studien der 1970er- und 1980er-Jahre bezieht – vieles des Neueren wird eher additiv für die empirische Ebene herangezogen oder aber in konzeptioneller Hinsicht in ebenso lakonischer wie grundsätzlicher Form verworfen. Mehrere der jüngeren Debatten, etwa um den Stellenwert des Kolonialismus und insbesondere des Völkermords in Deutsch-Südwest für den Weg in den Nationalsozialismus, werden nicht systematisch aufgegriffen. Für Italien richtet sich der Fokus weitestgehend auf dem Norden, während der Mezzogiorno kaum behandelt wird. Das stärkt den Vergleich zu Deutschland, wird der italienischen Geschichte aber nicht ganz gerecht. Wovon das Buch handelt – und wovon nicht – legt auch das Register offen. Ganze zwei Frauen sind hier vertreten, Hannah Arendt und Maria Theresia. Dafür zieht sich der Eintrag zu “army” über drei Spalten hin und umfasst rund 50 Unterbegriffe, Reichswehrminister Groener bringt es auf über 30 Eintragungen. Allgemein bleibt hier die Geschichte des Faschismus und des Nationalsozialismus im Wesentlichen auf Staatsmänner, Militärs und Denker konzentriert. Etwas kokett nennt Knox selbst sein gewichtiges Buch “unfashionable” (S. XI) – letztlich muss jeder Leser entscheiden, ob er dies als “unmodisch” oder als “altmodisch” übersetzen möchte.

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