D. Braund u.a. (Hrsg.): Classical Olbia

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Titel
Classical Olbia and the Scythian World From the Sixth Century BC to the Second Century AD.


Herausgeber
Braund, David; Kryzhitskiy, Sergei D.
Reihe
British Academy 142
Erschienen
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
£ 45.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roxana Kath, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Obwohl die politische Wende in den Ostblockstaaten schon einige Jahre zurückliegt, sind die Ergebnisse der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Schwarzmeergebiet und den Skythen durch russische und ukrainische Forscher im Westen vor allem aufgrund sprachlicher Barrieren bisher nicht in ausreichender Form zur Kenntnis genommen worden. Dem vorliegenden Sammelband „Classical Olbia and the Scythian World“ kommt das Verdienst zu, diese Arbeiten einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Der Sammelband selbst hat eine lange Vorgeschichte. Er geht zurück auf eine gemeinsame Konferenz von Wissenschaftlern der ‚British Academy’ und des ‚Archäologischen Instituts der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine’ im November 2001 in Kiew. Aus ursprünglich thematisch breit angelegten Konferenzbeiträgen britischer und ukrainischer Forscher sind schließlich Artikel hervorgegangen, die sich auf die Schwarzmeerstadt Olbia und deren Hinterland konzentrieren und aus archäologischer und historischer Perspektive insbesondere den Kontakt zwischen Griechen und indigener Bevölkerung in der Zeit von circa 600 v.Chr. bis circa 500 n.Chr. beleuchten.

Im Anschluss an David Braunds „Einleitung“, die die Besonderheit und den Anspruch des Unternehmens – nämlich die Annäherung dieser getrennten Wissenschaftslandschaften 1 – hervorhebt und die Konzeption des Bandes vorstellt, behandelt Sergei D. Kryzhitskiy zunächst die Geschichte der archäologischen Erforschung Olbias und gibt einen kleinen Einblick in die Breite des Materials, das er und seine Kollegen andernorts publiziert haben.2 In einem zweiten Beitrag beschäftigt er sich mit der Frage, ob sich anhand der archäologischen Befunde verschiedene Ethnien in der Region differenzieren lassen. Gegen K. K. Marchenko vertritt er die Auffassung, dass eine Zuordnung der Hinterlassenschaft zu Griechen oder Skythen nicht möglich sei und dass dabei auch Erklärungsansätze zur Herkunft von Keramik, Waffen und anderen Gütern (Handel, Akkulturation bzw. Kulturvermischung u.a.) oder zur Eigenart von Bestattungsformen nur bedingt weiter helfen: „... we have no real grounds for making conclusions about ethnicity” (S. 18). Eine ähnliche Position vertritt Sergey B. Buyskikh in seinem Beitrag, in dem er den Kontakt griechischer und indigener (skythischer) Kultur behandelt (S. 31).

Dieser Befund ist natürlich auch relevant für die Interpretation und Kontextualisierung unserer Textquellen – zuvorderst Herodot – und die Hoffnung, bestimmte Aussagen der Texte mit Hilfe des epigraphischen und archäologischen Materials verifizieren zu können (S. 37). Diesem komplexen methodischen Problem widmen sich die Beiträge von David Braund und Stephanie West, die sich beide mit Herodots Historien beschäftigen, dabei aber zwei konträre Zugänge wählen. Während Braund an der Möglichkeit einer Überprüfbarkeit einzelner Aussagen Herodots festhält, steht West eher für jene Seite der Herodotforschung, die die literarische Tradition und die fiktionale Komponente hervorhebt. Dabei verengt sich die Perspektive insgesamt etwas zu stark auf die grundsätzliche Opposition von „Lügenhistorie“ versus Kenntnis bestimmter Orte aus eigener Anschauung (hier vor allem Olbia und Ägypten). Dagegen hat David Asheri jüngst die Komplexität des herodoteischen Werkes betont und darauf hingewiesen, dass schriftliche Quellen teilweise als mündliche präsentiert oder Quellen sogar vollständig fingiert werden.3 Die Beiträge von Braund und West machen aber deutlich, dass neben der je persönlichen Bewertung der Eigenart der Historien – als Voraussetzung einer weitergehenden Interpretation historischer Befunde – mit Blick auf Olbia und den Schwarzmeerraum weitere methodische Herausforderungen bestehen. Dies ist einerseits die zeitliche Diskrepanz zwischen den frühen archäologischen Funden aus dem 6. Jahrhundert v.Chr. und der – teilweise auch recht unterschiedlichen – zeitlichen Einordnung von bestimmten Teilen des herodoteischen Werkes. Andererseits stellt sich die Frage, wie beispielsweise die späteren Funde aus dem 4. Jahrhundert v.Chr. zu bewerten sind. Ist es zulässig, anhand von Herodot gewonnene Einschätzungen zeitlich nach vorn zu projizieren? In Kombination mit den archäologischen Beiträgen von Kryzhitskiy und Buyskikh wird dabei deutlich, wie fragil unsere Rekonstruktionen der frühen Geschichte des Schwarzmeerraumes sind.

Die folgenden Beiträge des Sammelbandes nehmen die religiöse (A. S. Rusyayeva) und die ökonomische (Nina A. Leypunskaya und Nadezhda A. Gavrilyuk) Dimension des Kontakts zwischen Griechen und Nicht-Griechen in den Blick und richten den Fokus auf das Hinterland Olbias, wobei sowohl wirtschaftliche Austauschprozesse als auch die permanente Bedrohung durch Angriffe aus der Steppe thematisiert werden (Yuri V. Boltrik und Elena E. Fialko). Abschließend berichten Balbina Bäbler, Valentina V. Krapivina und Vitalii M. Zubar über Olbia in der Zeit des Imperium Romanum. Der Fokus liegt wiederum auf dem Kontakt zwischen Griechen und Nicht-Griechen. Bäbler beschreibt beispielsweise in diesem Kontext anhand von Dio Chrysostomos die Transformation des Skythenbildes hin zu einer Vorstellung vom Skythen als „Edlem Wilden“ (S. 151) und einer Betrachtung Olbias als nostalgischer Suche nach dem verlorenen Paradies (S. 159).

Problematisch erscheint dabei eine terminologische Unschärfe in der Bezeichnung der behandelten Ethnien, die fast alle Beiträge des Bandes kennzeichnet, vor allem eine durchgehende Vermischung von Nomaden und Barbaren. Bäbler betont zwar die Sonderstellung der Skythen bei Herodot und verweist auf deren Funktion als Spiegel- bzw. Vorbild für die Athener, allerdings ohne die nomadischen Skythen von den barbarischen Persern zu trennen: „In that sense Herodotus had already provided a kind of ‚model barbarian’. Of all the barbarian lands described by Herodotus, Skythia had a special place; it is a genuinely wild, natural place, where even the Persian Great King was bound to fail. So the Scythians are also a kind of model for the Greeks in the Persian wars.“ (S. 150) Demgegenüber haben jüngste Untersuchungen gezeigt, dass das Nomadenbild deutlich früher entstanden ist, als das von ihm zu unterscheidende Barbarenbild.4

Die Bedeutung des von Braund und Kryzhitskiy herausgegebenen Sammelbandes liegt vor allem in der eingangs betonten Initiative, die Arbeiten russischer und ukrainischer Wissenschaftler der westlichen Forschungslandschaft zugänglich zu machen. Daneben ist der interdisziplinäre Zugang – archäologische Befunde in Relation zu literarischen Quellen zu setzen – von besonderem Wert. Für künftige Untersuchungen bleibt der Wunsch, einer genaueren Auswertung der archäologischen Quellen eine intensivere Betrachtung der naturräumlichen Bedingungen sowie der Besonderheiten sesshafter und nomadischer Lebensformen hinzuzufügen.

Anmerkungen:
1 Den gleichen Anspruch hat eine weitere Publikation von Braund, David, Scythians and Greeks, Cultural Interactions in Scythia, Athens and the Early Roman Empire (sixth century BC - first century AD), Exeter 2005.
2 Kryzhitskiy, Sergei D. (Hrsg.), The Ancient History of the Ukraine (auf Russisch), Kiev 1999.
3 Vgl. Asheri, David; Lloyd, Alan; Corcella, Aldo, A Commentary on Herodotus Books I-IV. Edited by Oswyn Murray and Alfonso Moreno, Oxford 2007.
4 Vgl. unter anderem die Beiträge in Weiß, Alexander (Hrsg.), Der imaginierte Nomade, Formel und Realitätsbezug bei antiken, mittelalterlichen und arabischen Autoren, Wiesbaden 2008.

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