P. Nadig: Zwischen König und Karikatur

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Titel
Zwischen König und Karikatur. Das Bild Ptolemaios' VIII. im Spannungsfeld der Überlieferung


Autor(en)
Nadig, Peter
Reihe
Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte
Erschienen
München 2006: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
VII, 306 S.
Preis
€ 74,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Haake, Seminar für Alte Geschichte, Westfälische Wilhelms-Universität / Kulturwissenschaftliches Kolleg Konstanz

Unter den Königen aus der von 306 bis 30 v.Chr. über Ägypten herrschenden ptolemaiischen Dynastie findet sich kaum ein Herrscher, der über einen solch langen Zeitraum regierte wie Ptolemaios VIII. Euergetes II.: Geboren wohl um 182/1, fungierte er ab 170 gemeinsam mit seinem Bruder Ptolemaios VI. Philometor und seiner Schwester Kleopatra II. als König. Nach 163 herrschte er in einer Spanne von achtzehn Jahren in Folge eines Geschwisterzwistes in Kyrene, während sein Geschwisterehepaar das ägyptische ‚Stammland’ regierte. Ab dem Tod seines Bruders 145 bis zu seinem eigenen Tode 116 war Ptolemaios VIII. – wenn auch nicht unangefochten – mit einer Unterbrechung zwischen 132 und 130, während derer er sich als ‚Exilant’ auf Zypern aufhielt, Herrscher am Nil. Nach dem Tod seines Bruders Ptolemaios’ VI. übernahm er nicht nur dessen Herrschaft, sondern machte auch dessen Witwe Kleopatra II. zu seiner eigenen Schwestergemahlin, mit der er eine alles andere als einträchtige Ehe bis zu seinem Tode führen sollte. Kurze Zeit nach der Hochzeit mit seiner Schwester heiratete Ptolemaios VIII., wohl 142/1, seine Nichte Kleopatra III., eine Tochter Ptolemaios’ VI. und seiner eigenen Frau und Schwester Kleopatra II. Nach Ptolemaios’ VIII. Tod spielte Kleopatra III. bis zu ihrem eigenen Tode 101 eine zentrale Rolle in den Machtkämpfen, die sich zwischen ihr und ihren beiden Söhnen, Ptolemaios IX. Soter II. und Ptolemaios X. Alexander I., in der Nachfolgefrage entsponnen.1

Dem Bild Ptolemaios’ VIII. „im Spannungsfeld der Überlieferung“ hat Peter Nadig seine Düsseldorfer Habilitationsschrift gewidmet, die nun in überarbeiteter Fassung publiziert vorliegt. Das Buch ist in neun Kapitel unterschiedlicher Länge gegliedert und wird von vier Appendices, einem Literatur- und Abkürzungsverzeichnis sowie einem in die Rubriken Quellen, Personen und Orte untergliederten Register beschlossen. Erklärtes Ziel Nadigs ist es „eine Analyse der Selbstdarstellung von Ptolemaios VIII. im Vergleich mit den zeitgenössischen Dokumenten und der Zeugnisse der antiken Autoren“ (S. 5) vorzulegen. Zu diesem Zweck scheidet Nadig die Quellen in zwei große Gruppen: einerseits in die Selbstzeugnisse des ptolemaiischen Königs und ‚seine amtlichen’ Verlautbarungen und andererseits in die Zeugnisse der antiken Autoren. Zeitlich beschränkt sich Nadig in seiner Untersuchung hauptsächlich auf den Zeitraum von 145 bis 116 – also diejenigen gut drei Jahrzehnte, in denen Ptolemaios VIII. nach dem Tod seines älteren Bruders Ptolemaios VI. über Ägypten – das zyprische Intermezzo eingeschlossen – herrschte.

Sich dem achten Ptolemaierkönig vermittels einer Analyse der diversen Bilder zu nähern, die von diesem selbst, vor allem aber über ihn in ganz verschiedenen Texten produziert worden sind, ist zweifelsohne ein Ansatz, der als profitabel anzusehen ist, zumal bereits zu Lebzeiten dieses Monarchen einander widersprüchliche Imagekonstruktionen in den Quellen greifbar sind, wobei sich à la longue eindeutig die negativen Bilder durchsetzten: Genannt seien an dieser Stelle exemplarisch einerseits die Inversion des von Ptolemaios VIII. in Anlehnung an seinen Vorfahren Ptolemaios III. selbst zugelegten Epithetons Euergetes (‚Wohltäter’) zu Kakergetes (‚Übeltäter’), das sich bei zwei zeitgenössischen Autoren, nämlich Menekles von Barke (FGrHist 270 F 9) sowie Andron von Alexandria (FGrHist 246 F 1), findet sowie andererseits die Charakterisierung seiner Herrschaft als tyrannisch durch Polybios (31,18 27,14) im Gegensatz zu einer wohl auf diesen Herrscher zu beziehenden Aussage Catos des Älteren (ORF 8 XLVI frg. 180), in der der Ptolemaier als ‚bester und wohltätigster König’ bezeichnet wird.

Auf einer wahrhaft umfassenden Quellenbasis, die griechische und lateinische Autoren ebenso wie griechische und demotische Inschriften und Papyri sowie hieroglyphische Texte und auch numismatische und archäologische Zeugnisse einschließt, gelingt es Nadig, seiner sich selbst gestellten Aufgabe überzeugend gerecht zu werden.

Nach einem Einleitungskapitel (S. 1-13), das eine Einführung in die Thematik und eine knappe biografische Skizze über Ptolemaios VIII. beinhaltet, wendet sich Nadig im zweiten Kapitel den von diesem Herrscher verfassten Hypomnemata zu (S. 14-23), aus denen dreizehn gesicherte Fragmente erhalten sind, die bis auf eine Ausnahme sämtlich in Athenaios’ Deipnosophistai überliefert sind (FGrHist 234 F 1-12). Wie Nadig im Rahmen seiner inhaltlichen Auseinandersetzung mit den einzelnen Fragmenten zu Recht hervorhebt, kam der schriftstellerischen Betätigung Ptolemaios’ VIII. eine ganz spezifische Funktion in der herrscherlichen Selbstdarstellung zu: Nach seinem Herrschaftsantritt 145 waren zahlreiche Gelehrte aus nicht mit Sicherheit eruierbaren Gründen aus Alexandria geflohen; diese Gelehrten waren in ihren neuen Heimstätten in der griechischen Welt zweifellos keine Multiplikatoren eines positiven Bildes des achten Ptolemaiers.2 In der Kreierung eines Gegenbildes vor der griechischen Öffentlichkeit ebenso wie in der ‚Gelehrtenrepublik’ das zentrale Movens des Ptolemaierkönigs zu sehen, ist mit Sicherheit zutreffend; darüber hinaus stellte sich Ptolemaios VIII. mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit aber auch in die Tradition des Dynastiegründers, Ptolemaios’ I., der eine Alexandergeschichte verfasst hatte (FGrHist 138 F 1-30).

In den Kapiteln III und IV setzt sich Nadig eingehend mit der Titulatur (S. 24-57) sowie den Beinamen (S. 58-72) Ptolemaios’ VIII. auseinander. Unter den im dritten Kapitel durchgeführten Analysen ist besonders Nadigs Beschäftigung mit dem eponymen Priestertitel Ptolemaios’ VIII. (S. 44-51 [5]) hervorzuheben, in deren Rahmen er dessen Rekurs auf die Vorgänger Ptolemaios I., Ptolemaios III. und Ptolemaios V. betont. Die einzelnen Unterkapitel „Euergetes“ (S. 24-30), „Der Kulttitel Euergetes ab 145 v.Chr.“ (S. 35-39), „Der Kulttitel der Theoi Euergetai nach der Heirat von Ptolemaios VIII. mit Kleopatra III.“ (S. 39-44), „Euergetes in der Münzprägung“ (S. 52-53) und „Gegenbild: Euergetes/Kakergetes in den literarischen Quellen“ (S. 54-57) wären womöglich besser in einem größeren Unterkapitel zusammengeführt worden. Das vierte Kapitel ist dem Beinamen Ptolemaios’ VIII. gewidmet, worunter Nadig den ägyptischen Königsnamen (bestehend aus Horusname, Herrinenname, Goldname, Thronname, Eigenname; S. 58-61) ebenso wie die Beinamen Tryphon, der „Prächtige“ (S. 61-66), und Physkon, der „Dickwanst“ (S. 66-72), subsummiert. So sehr die von Nadig im einzelnen herausgearbeiteten Ergebnisse zu überzeugen vermögen, so ist doch festzuhalten, dass unter der Überschrift ‚Beinamen’ sehr verschiedene Namenselemente vereint wurden, die verschiedene Produzenten und Qualitäten haben und von denen Ptolemaios’ ägyptische Königsnamen dem Kapitel über die Titulatur hätten zugeordnet werden sollen.

Den offiziellen Verlautbarungen Ptolemaios’ VIII., worunter in der vorliegenden Monografie dreizehn epigrafisch wie papyrologisch überlieferte Dekrete und Anordnungen des Königs zusammengefasst sind, bei denen es sich unter anderem um sogenannte Amnestiedekrete und Briefe an Soldaten handelt, wendet sich Nadig eingehend im fünften Kapitel seiner Arbeit zu (S. 73-121). Hierbei handelt es sich zweifelsohne um einen der zentralen Abschnitte von Nadigs Arbeit. In einer detaillierten Analyse der einzelnen Dokumente gelingt es Nadig überzeugend darzulegen, wie sich politisches Handeln für Ptolemaios VIII. gestaltete und dass bei aller Vielschichtigkeit der Motive im Einzelfall letzten Endes stets die Herrschaftssicherung der zentrale Aspekt herrscherlichen Agierens darstellte. Zu Recht betont Nadig, dass der König bei seinen politischen Handlungen nicht einer antigriechischen oder proägyptischen Einstellung folgte, sondern dass der reine Pragmatismus ihn leitete. Zugleich arbeitet Nadig auch heraus, welche vier Bereiche für Ptolemaios VIII. von größter Bedeutung waren und denen deswegen auch seine besondere Aufmerksamkeit gelten musste: Militär, Beamten- und Priesterschaft sowie Handwerk und Handel.

Im kurzen sechsten Kapitel (S. 122-137) – „Die Repräsentation des Königs“ – behandelt Nadig Münzbildnisse, rundplastische Darstellungen, bei denen es sich um drei Porträtköpfe handelt, Reliefs, die Bautätigkeit und die hieroglyphischen Ahnenreihen.3 Auch wenn in diesem Kapitel von Nadig keine grundlegend neuen Erkenntnisse generiert werden, so lässt sich hieran einerseits geradezu paradigmatisch Nadigs profunde Materialkenntnis ersehen sowie andererseits sein stetes Bemühen, in seine Untersuchung das Quellenmaterial vollständig einfließen zu lassen, um auf dieser Basis zu seinen Schlussfolgerungen zu gelangen.

Das siebte Kapitel, eines der Herzstücke der vorliegenden Arbeit, ist „Ptolemaios VIII. in der Sicht der Zeitgenossen und Nachwelt“ (S. 138-199) gewidmet: Beginnend mit Polybios und Cato dem Älteren reicht die Reihe der untersuchten Autoren über Poseidonios, Diodor, Pompeius Trogus / Iustin bis hin zur Historia Augusta und zu Orosius – insgesamt siebzehn antike Autoren sowie die apokalyptische Literatur unterzieht Nadig in einem jeweils eigenständigen Unterkapitel einer eingehenden Analyse, wobei seine Ausführungen zu überzeugen vermögen. Mit aller Deutlichkeit zeigt sich das äußerst negative Bild Ptolemaios’ VIII. in der literarischen Überlieferung, das vielfach topisch geprägt ist. Die Ursachen dieser Imagekonstruktion vermag Nadig überzeugend mit den jeweiligen spezifischen Interessen der einzelnen Autoren zu erklären.

In gewisser Hinsicht eine komprimierte Zusammenschau des vorangegangenen Kapitel stellt das achte Kapitel dar (S. 200-207), in dem Nadig eine „Tabellarische Übersicht der wertenden Begriffe bei den Autoren“ vorlegt, die in die Rubriken „Gesamtchronologie der wertenden Begriffe“, „Allgemeine Bewertungen der Herrschaft Ptolemaios’ VIII.“, „Gesinnung und Verhalten des Königs zu seiner Umgebung“, „Grausamkeiten und Verbrechen“, „Moralisches Verhalten“, das vielleicht besser mit „Charakterisierungen des Verhaltens von Ptolemaios VIII.“ überschrieben worden wäre, und „Positive Bewertungen von Charakter und Taten“ aufgegliedert sowie jeweils mit einer knappen Auswertung versehen ist.

Das Fazit in Kapitel IX (S. 208-214) beschließt die Arbeit Nadigs, wobei er neben einer prägnanten generellen Einschätzung der antiken Überlieferung verschiedene zentrale Politikfelder Ptolemaios’ VIII. jeweils einer sehr knappen, aber durchaus zutreffenden Bewertung unterzieht – nämlich die Heiratspolitik, die Innenpolitik, die Außenpolitik und die Baupolitik –, und somit eine abschließende Beurteilung dieses Herrschers vorlegt, dessen Handlungsspielräume sehr begrenzt waren. Von den das Buch beschließenden Appendices (S. 215-263) sind insbesondere die ersten beiden an dieser Stelle hervorzuheben: Sie bestehen aus einer jeweils vollständigen Zusammenstellung der demotischen respektive griechischen Aktenpräskripte mit Herrschertitulaturen aus der Zeit Ptolemaios VIII. Während in Appendix III eine Zusammenstellung des Epitheton Euergetes bei Ptolemaios VIII. sowie Kleopatra II. und Kleopatra III. vorliegt, präsentiert Nadig in Appendix IV eine Übersicht „über die ägyptischen Tempelbauten und -dekorationen“ aus der Zeit zwischen 145 und 116.

Nadig hat mit seiner detaillierten und quellenreichen Arbeit über Ptolemaios VIII. eine Studie mit grundlegendem Charakter vorgelegt, die auf Grund der Einbeziehung der ‚althistorischen’ wie der ‚ägyptologischen’ Quellen eine fundierte Basis für eine jede weitere Beschäftigung mit den späten Ptolemäern darstellt. Bedauern mag man am Ende der gewinnbringenden Lektüre dieses Buches allein, dass Nadig in den auswertenden Passagen nicht noch einen Schritt weitergegangen ist und sich etwa der Konzeptionalisierung der späthellenistischen Monarchie und insbesondere des spätptolemäischen Königtums zugewandt hat. Aber dies war nicht Gegenstand von Nadigs Bestrebungen; so ist das geäußerte Bedauern denn auch eher als ein Desiderat für zukünftige Forschungen anzusehen. Mit Nadigs Monografie liegt in dieser Hinsicht jedenfalls ein ausgezeichneter Grundstein vor.

Anmerkungen:
1 Zu diesen innerdynastischen Konflikten wäre noch zu verweisen auf die Ausführungen von Gehrke, Hans-Joachim, Prinzen und Prinzessinnen bei den späten Ptolemäern, in: Troncoso, V. Alonso (Hrsg.), Diadochos tes basileias. La figura del sucesor en la realeza helenística, Madrid 2005, S. 103-117, hier S. 104-111.
2 Vgl. in diesem Zusammenhang jetzt auch Touloumakos, Johannes, Politischer Witz und Karikatur in der hellenistischen Zeit. Ausdrucksformen und Stellenwert, Ancient Society 36 (2006), S. 111-134, hier S. 124-125.
3 Vgl. zu diesen nun auch Herklotz, Friederike, Der Ahnenkult bei den Ptolemäern, in: Fitzenreiter, Martin (Hrsg.), Genealogie. Realität und Fiktion von Identität , London 2005, S. 155-164, hier S. 156-157.

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