S. Maffeis: Zwischen Wissenschaft und Politik

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Titel
Zwischen Wissenschaft und Politik. Transformationen der DDR-Philosophie 1945-1993


Autor(en)
Maffeis, Stefania
Erschienen
Frankfurt am Main 2007: Campus Verlag
Anzahl Seiten
305 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Blanka Koffer, Berlin

Die Wissenschaftsgeschichte der DDR hat zunehmend Konjunktur. Dabei werden entsprechende Arbeiten häufig nicht von Wissenschaftshistorikern vorgelegt, sondern von Forschern, die die Geschichte ihres Faches schreiben, was Vor- und Nachteile mit sich bringt. Zum einen werden die Entstehungsgeschichte fachspezifischer Termini und ideengeschichtliche Aspekte deutlicher herausgearbeitet, auf der anderen Seite bleiben genuin wissenschaftshistorische Fragestellungen nach Beziehungen und Handlungsmustern der Akteure wie nach dem historischen Kontext, in dem sich Wissenschaftswandel vollzieht, eher vernachlässigt. Umso mehr Erwartungen weckt Stefania Maffeis Arbeit über die "Transformationen der DDR-Philosophie 1945–1993", da sie sich vornimmt, Bourdieus Feldbegriff auf die Disziplin der Philosophie anzuwenden.

Die an der Freien Universität in Berlin eingereichte Dissertation, vor wenigen Monaten in überarbeiteter Form im Campus-Verlag erschienen, gliedert sich in zwei Teile: die "Genese und Entwicklung des philosophischen Feldes der DDR" und eine "Fallstudie der Nietzsche-Rezeption 1945-1994". Angelehnt an Pierre Bourdieus Studie "Homo Academicus" möchte Maffeis den "strukturellen und sprachlichen Wandel der DDR-Philosophie" anhand einer "Doppellektüre, der internen Entwicklung des Gedankens und des externen politisch-gesellschaftlichen Kontextes" (S. 14) untersuchen. Dazu wertet sie verschiedene Archivalia und Zeitzeugeninterviews aus.

Die Einleitung nennt das theoretische und methodische Instrumentarium: Feld- und Institutionsanalyse und "Interview-Methode". Die anschließende Diskussion von relevanter Sekundärliteratur zum theoretischen Rahmen beschränkt sich auf den "Forschungsstand 1989-2006". Dieses gut zwanzigseitige Kapitel bezieht sich ausschließlich auf Debatten innerhalb der Philosophie über die eigene Fachgeschichte. Eine Ausnahme bildet dabei das Kapitel über die Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestags zur Aufarbeitung der Geschichte bzw. Überwindung der Folgen der SED-Diktatur, deren zwischen 1995 und 1999 herausgegebene Materialien Maffeis als "erste, konfuse Sammlung an Daten und Meinungen über das gesamte ‚System DDR‘" charakterisiert (S. 31). Die lebhaften Diskussionen innerhalb der Wissenschaftsgeschichte zur hier adressierten Problematik der Wechselwirkung von Wissenschaft und Politik sowie entsprechende Forschungen aus der DDR-Zeitgeschichte bleiben unberücksichtigt.

Das Kapitel "Institutionsanalyse", das die genannte Methode einführen und begründen soll, beschränkt sich im Umfang einer knappen Seite auf die Nennung des eingesehenen Archivmaterials: Akten aus der Provenienz des Zentralinstituts für Philosophie der AdW, des Weimarer Nietzsche-Archivs, der Ministerien für Bildung und Wissenschaft, Hoch- und Fachhochschulwesen und Kultur. Dazu kommen Akten aus dem Bestand der Abteilung Wissenschaften beim ZK der SED, des Politbüros, des Büros Kurt Hager, der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED und des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Maffeis Verzicht auf die für die Fragestellung unbedingt notwendige Einsichtnahme der Akten relevanter Institutionen wie der Sektionen für Philosophie an den Universitäten bleibt unbegründet.

Höchst problematisch erscheint die Verwendung von Interviews als "biografische und informative Berichte" zur "Ergänzung der schriftlichen Quellen" (S. 24). Die Diskussionen der letzten Jahre über die Spezifik des Artefakts Interview und die Rolle des Zeitzeugen für die Historiographie werden an dieser Stelle gänzlich ignoriert. Maffeis führte "zwei biografisch-narrative, zehn Experten-Interviews und fünf Gespräche" mittels jeweils individuell zugeschnittener Leitfäden. Sie dienten, laut Maffeis, dem Zweck, die "spätestens ab den achtziger Jahren mündlich" zirkulierende Nietzsche-Rezeption und die "philosophische Kultur der DDR" zu rekonstruieren und andererseits die "feine Zensur- wie Selbstzensur philosophischer Texte" zu erkennen, "die nicht allein durch Archivrecherche erkannt werden können" (S. 24). Noch fragwürdiger in diesem Zusammenhang ist folgende Passage: "Bei der Durchführung und Auswertung der Interviews entstanden einige Probleme bezüglich der Rolle der Interviewpartner für die Forschung und ihrer Art und Weise, sich zu erinnern. Sie vermittelten oft Expertenwissen, wenn sie nach persönlichen Erfahrungen, und antworteten mit persönlichen Beobachtungen und Meinungen, wenn sie nach historischen Angelegenheiten gefragt wurden, die sich aus den Archiven schwer rekonstruieren ließen. Die Fragen wurden mehrmals unter Verweis auf die externe Perspektive der Interviewerin wiederholt, damit die gewünschten Gesprächsresultate erzielt werden konnten. Viele Interviewpartner hatten die Tendenz, historische Ereignisse und Tatsachen nicht korrekt darzustellen" (S. 25). Selbst diese Feststellung, von der Maffeis implizit auf Schwierigkeiten der Zeitzeugen, zusammenhängend und historisch korrekt zu erzählen, schließt, zeitigt keinerlei Konsequenzen. Im Methodenkapitel selbst löst Maffeis dieses Problem, indem sie sich vornimmt, die Aussagen der Interviewten an den Akten zu prüfen (S. 26). Im Verlauf der Arbeit selbst dienen die Interviews jedoch, wie eingangs geplant, als Zitatfundus, der Lücken in der Erzählung schließen soll.

Insgesamt wird das selbstgesteckte Ziel, die Entwicklung einer geisteswissenschaftlichen Disziplin in Wechselwirkung mit den vielfältigen Prozessen politischen Wandels in der SBZ/DDR/Ostdeutschland in der Zeitspanne von 1945 bis 1993 zu analysieren, nicht erreicht. Im Ergebnis ist eine methodisch unreflektierte, deskriptive Arbeit mit erheblichen stilistischen Schwächen entstanden. Formulierungen wie: "Hans-Christoph Rauh wurde in Folge der West-Evaluierung zunächst abgewickelt und nach einer erfolgreichen Revision des Urteils als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Greifswald wiedereingestellt" (S. 139), oder: "Bei der Abwicklung der DDR-Philosophie nach 1989 handelte es sich um eine politisch verordnete Reinigung der Philosophie vom Prinzip der Parteilichkeit und um den Sieg des Wissenschaftlichkeitsprinzips" (S. 21), durchziehen den gesamten Text ebenso wie die begrifflichen Neuschöpfungen "Inaktualität", "Nicht-Philosophie", "politisch-philosophische Produktion", "Primärquellen" und andere.

Die Zusammenstellung biografischer Angaben einiger prominenter DDR-Bürger am Ende des Buches ist auf den ersten Blick sicher verdienstvoll, entpuppt sich jedoch bei der genaueren Lektüre als reine Wiedergabe von Informationen aus Eigendarstellungen der Porträtierten, aus Lexika und sogar aus der umstrittenen Online-Ressource Wikipedia. Die unterschiedlich detaillierte Auflistung entspricht offensichtlich der Fülle des jeweils vorgefundenen Materials, nicht aber einer erkennbaren Systematik. Es stellt sich zudem die Frage, welche Funktion diese "biografischen Notizen" erfüllen sollen, da es sich bei den hier porträtierten Personen nicht ausschließlich um Vertreter der Disziplin handelt. Christa Wolf und Anton Ackermann finden hier ebenso ihren Platz wie Otto Grotewohl, Wilhelm Pieck oder Anna Seghers. Im Anschluss finden sich noch "biografische Profile" von einigen Interviewpartnern in ausschweifenderem Prosastil. Wieso nur acht der insgesamt siebzehn Zeitzeugen dergestalt porträtiert werden, bleibt unklar, ebenso die unterschiedliche Prioritätensetzung der Erzählungen.

Die Arbeit lässt den interessierten Leser mit vielen Fragen zurück.

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