D.-C. Kim: Der Korea-Krieg und die Gesellschaft

Titel
Der Korea-Krieg und die Gesellschaft.


Autor(en)
Kim, Dong-Choon
Erschienen
Anzahl Seiten
324 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
You Jae Lee, Universität Bonn, Institut für Orient- und Asienwissenschaften

Lange hat die Frage: „Wer hat zuerst geschossen?“ die wissenschaftliche und öffentliche Debatte zum Koreakrieg geprägt. Der Westen behauptete, dass Nordkorea Südkorea überfallen habe, und der Osten warf Südkorea dasselbe vor. Die Schuldzuweisung diente der politischen Propaganda. Die einseitige Fixierung auf den Auslöser des Krieges suggerierte, dass das Entscheidende am frühen Morgen des 25. Juni 1950 passiert sei. So spricht man in Südkorea noch heute vom „25. Juni-Krieg“. Nach dem Ende des Kalten Krieges und den dadurch möglich gewordenen Zugang zu den Archiven in Russland konnte zumindest die Frage nach dem Auslöser geklärt werden: Es war vor allem Kim Il Sung, der zielstrebig den Krieg vorbereitete und Stalin sowie Mao von seinen Plänen überzeugte. Damit schien die wichtigste Frage bezüglich des Koreakrieges gelöst zu sein.

In der westlichen Bevölkerung war der Krieg bereits vor längerer Zeit in Vergessenheit geraten, worauf vor zwei Jahren ein Buchtitel noch einmal nachdrücklich hinwies.1 In Südkorea allerdings ist der Krieg immer präsent geblieben, niemals vergessen worden. Offiziell befindet sich Korea sogar immer noch im Kriegszustand, da bis heute ein Friedensvertrag nicht unterzeichnet wurde. Doch seit der Demokratisierung treten die Jahrzehnte lang unterdrückten individuellen und familiären Erinnerungen und deren Schicksale nun verstärkt an die Öffentlichkeit. Die Opfer drängen auf Rehabilitierung und Entschädigung. Die Fixierung auf den 25. Juni sowie den Ursprung und Ausbruch des Krieges erweist sich als eine fatale Irreführung, die den Verlauf und die Folgen des Krieges ausblendet.

Genau bei diesem Problem setzt das Buch von Dong-Choon Kim, Professor für Soziologie an der Sungkonghoe-Universität in Seoul und zurzeit Mitglied des ständigen Ausschusses der südkoreanischen „Kommission für Wahrheit und Versöhnung“, an. Er macht die Kriegserfahrungen der Bevölkerung zum Thema, um so zum „Wesen und Charakter“ des Koreakrieges vorzustoßen. Drei zentrale Themen gliedern das Buch und werden in Beziehung zueinander gesetzt: Flucht, Besatzung und Massaker. Motive und Zeitpunkte der Fluchtbewegungen und der Massaker hängen ursächlich mit dem Wechseln der jeweiligen Besatzungsherrschaft und den Erfahrungen und der Wahrnehmung der vorherigen Besatzung durch die Zivilbevölkerung ab. So stuften beispielsweise die US-Armee und die südkoreanische Nationalarmee bei der Rückeroberung von Gebieten die Mehrheit derjenigen, die zuvor nicht vor der nordkoreanischen Volksarmee geflohen waren, als Kollaborateure oder als Kommunisten ein und ermordeten sie. Der nordkoreanischen Volksarmee werden hingegen weniger Massaker angelastet. Diese Massaker wurden nicht nur vom Militär und Polizei begangen. Die eigentliche Tragik sieht Dong-Choon Kim darin, dass die Zivilbevölkerung selbst zum Akteur der Massaker wurde und die Morde als Vergeltungsmaßnahme für erlebte Gewalt während der Besatzungszeit beging. Mehr als die Hälfte der 200.000 Opfer dieser Massaker dürften als persönlich motivierte Racheaktionen einzustufen sein. Obwohl Dong-Choon Kim sich mit Kritik an den koreanischen Staaten und den Supermächten (besonders an den USA) und dem kolonialen Erbe keineswegs zurückhält, wird die Beteiligung der Zivilbevölkerung an den Massakern in einem Ausmaß offen gelegt, das bisher noch nicht bekannt war. Dabei wurden die Opfer oft selbst zu Tätern. Somit ist eine eindeutige Schuldzuweisung nicht möglich. Diese Wunde in der Vergangenheitsbewältigung Südkoreas wird so schnell nicht verheilen.2

Abschließend setzt Dong-Choon Kim den Koreakrieg mit den Staatsbildungsprozessen in Beziehung. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Massaker und die Kriegserlebnisse in der Bevölkerung zu einer Identifizierungen mit dem jeweiligen Teilstaat führten. Aber damit war der Krieg nicht beendet, sondern er setzte sich innerhalb der beiden Teilungsgesellschaften fort, und zwar in dem Sinne, dass die politischen Gegner im eigenen Land mit den Methoden der Kriegsführung ausgeschaltet wurden. Das Nationale Sicherheitsgesetz in Südkorea ist ein solches Instrument der politischen Verfolgung. Diese Verfolgungen im Inneren wurden mit der Bedrohung von außen gerechtfertigt. Deshalb fordert Dong-Choon Kim eine nachhaltige Friedensordnung für die koreanische Halbinsel.

Insgesamt muss man Dong-Choon Kims Studie als eine wichtige Perspektivenverschiebung in der Koreakriegsforschung betrachten, in der die konstitutive Rolle der Gewalt in den Staatsbildungsprozessen der beiden koreanischen Teilungsgesellschaften überzeugend herausarbeitet wird. Insofern bleibt nur zu wünschen übrig, dass diese bedeutende Studie aus Südkorea auch viele deutsche Leser finden wird.

1 Siehe zuletzt für Deutschland: Steiniger, Rolf, Der vergessene Krieg. Korea 1950-1953, München 2006.
2 Das Thema der Massaker wurde in den letzten Jahren auch von der Literatur aufgegriffen. Siehe z.B. den Roman von Hwang, Sok yong, Der Gast, München 2007.

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