Titel
Unterwegs am Golf - Along the Gulf. Von Basra bis Maskat - Photographien von Hermann Burchardt.


Herausgeber
Nippa, Annegret; Herbstreuth, Peter
Erschienen
Anzahl Seiten
232 S., 90 Abb., 1 Karte
Preis
58,00 €
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Elisabeth Meyer-Renschhausen, Freie Universität Berlin

Im Winter 1903/1904 fotografierte ein reisender Privatgelehrter die Golfküste der arabischen Halbinsel. Der Reisende war der aus Berlin stammende Kaufmann Hermann Burchardt, der mit einem aus Damaskus stammenden Bediensteten jahrelang im Nahen Osten unterwegs war und seine Eindrücke „ablichtete“ – wie er sich entsprechend damaliger Gepflogenheiten ausdrückte: Häfen, Schiffe, Märkte, Händler und Scheichs. Wie die historische Karte im Innendeckel des Buches zeigt, schiffte sich Hermann Burchardt in Basra ein, fuhr nach Kuwait, weiter über Bahrain, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate bis nach Oman, um schließlich nach Muscat (= Maskat) zu gelangen, jener alten Hafenstadt, nach der unsere Muskatnüsse benannt sind.

Die Herausgeber und Autoren des Begleittextes sind die Leipziger Ethnologin, zeitweilige Direktorin des Leipziger Museums für Völkerkunde und Islamwissenschaftlerin, Annegret Nippa, sowie der Literaturwissenschaftler und Professor für Fotografie an der Universität der Künste in Berlin, Peter Herbstreuth. Die beiden Autoren hatten im Rahmen eines DFG-Projekts die Chance, die fotografischen Platten zu bearbeiten, die 1911 vom Neffen des Reisenden, Max Ginsberg, dem Berliner Völkerkundemuseum (dem heutigen Ethnologischen Museum Berlin) geschenkt worden waren. Viele der Fotoplatten waren schon unterwegs zerbrochen, und die Kontaktabzüge hatten in Folge der Witterung Schaden erlitten. Beide Herausgeber haben sich schon länger mit alten Fotografien beschäftigt und betonen, dass diese nicht als „Dokumente“, wohl aber als jeweils authentische Zeugnisse eines vergangenen Zeitalters zu betrachten sind. Der Reisende sah etwas Bestimmtes und hat es deshalb aufgenommen; anderes hat er übersehen, oder aber es gehörte sich damals nicht, davon ein Bild zu machen.

Der Fotograf Hermann Burchardt (1859-1909) war ein bescheidener Mann, einer, der in seinen Briefen das Wort „ich“ übersprang. Er war ein – wie man damals sagte – „Privatier“, der zu seinem Vergnügen reiste. Er hatte sich im Alter von nur 30 Jahren von seinem wenig geliebten Kaufmannberuf verabschiedet, als ein Erbe ihm das ermöglichte, und sich auf Reisen begeben. Er hatte eine Wohnung in Damaskus gemietet und reiste in steter Begleitung des Syrers Abu Ibrahim von Samarkand bis Tanger quer durch den Orient und hielt darüber gelegentlich während seiner seltenen Heimataufenthalte bei der Berliner Gesellschaft für Geographie Vorträge. Vor Reisebeginn hatte er am Berliner Seminar für Orientalische Sprachen systematisch Arabisch, Türkisch und Suaheli und zudem etwas Persisch gelernt. Seine letzten Publikationen befassten sich mit den Juden im Jemen.1 Und es war auch im Jemen, wo er 1909 mit nur 50 Jahren ums Leben kam. Hermann Burchardts Leidenschaft galt jedoch dem Fotografieren. Auf allen seinen Reisen führte er eine komplette Fotoausrüstung mit sich. Er nahm Landschaften und Menschen – soweit es ihm gestattet wurde – auf Glasplatten auf und fertigte am jeweiligen Abend erste Kontaktabzüge. So konnte er die Aufnahmen noch an Ort und Stelle zeigen und Abzüge davon verschenken.

Der vorliegende Band befasst sich ausschließlich mit einer einzigen Reise, nämlich Burchardts Seereise im Winterhalbjahr 1903/1904 von Basra nach Muscat, entlang der arabischen Seite des persischen Golfs. Zu dieser Reise gibt es seitens des Fotografen nur eine einzige Publikation, nämlich die Niederschrift eines Vortrags in der „Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde“.2 Burchardt ging es wie vielen Privatdozenten damals und heute: Ohne universitäre Anstellung oder ein größeres Vermögen im Hintergrund war es ihm selten möglich, seine Studien zu publizieren. Weil jedoch kaum alltagsbezogene Fotografien von den Landschaften Arabiens existierten, fanden seine Aufnahmen in den Schriften von Kollegen weite Verbreitung, insbesondere in Max Freiherr von Oppenheims Orientstudien.

Um 1900 war man auch in der arabischen Welt von der neuen Technik der Fotografie fasziniert. Dies galt insbesondere für Ägypten, wo bereits in den 1830er-Jahren erste französische Fotografen unterwegs waren, um die von den Napoleonischen Exkursionen gezeichneten Pyramiden abzulichten. Wie war das möglich, wo doch in muslimischen Gesellschaften ein religiös bedingtes Bilderverbot herrschte? Fotografen konnten sich dabei auf eine Schrift des Emir Abdel Kader aus Damaskus berufen, der bereits um 1860 geschrieben hatte, dass das Foto zum einen nur durch göttliches Licht ermöglicht werde und zum anderen als Resultat einer Art allein technischen spiegelbildlichen Wiedergabe von Menschen anzusehen sei. Daher sei die Fotografie ein Abbild ohne eigentliche Seele, daher keine Widergabe des menschlichen Wesens und folglich erlaubt. Diese Theorie leuchtete der orientalischen Oberschicht ein, die sich von Hermann Burchardt vielfach bereitwillig ablichten ließ. Anders war dies in ländlichen Gebieten: Dort war man sich – wie auch in anderen Teilen der Welt – nicht so sicher, ob ein Fotograf einem nicht die Seele stehlen könne. Dem Reisenden war es daher nicht möglich, auch diese Menschen zu fotografieren. Denn stets fragte der Privatier aus Berlin, entsprechend den Regeln des arabischen Gastrechts, höflich an, ob er fotografieren dürfe, was ihm meist erlaubt wurde.

Die beiden Bearbeiter Nippa und Herbstreuth erläutern Fotos und Reiseerfahrungen Burchardts vor dem Hintergrund eines weiten Spektrums ethnologischer Literatur. Hierdurch werden die auf den ersten Blick eher uninformativ wirkenden Fotos auch einer heutigen Leserschaft erschlossen, die an viel dramatischere Aufnahmen von Menschen in Aktion gewöhnt ist. Die beiden Herausgeber liefern Erklärungen etwa über die damalige arabische Art, Pferde zu halten, oder über die für die damalige Golfregion ökonomisch sehr bedeutsame Perlenfischerei. Durch diese Fülle an Informationen zum zeitgenössischen Leben in der Golfregion gewinnen die Fotografien erheblich an Informationsgehalt. So erfahren wir etwa, dass die Dattelhaine von Basra damals „die ganze Welt“ mit Datteln versorgten, während Bahrain als Garteninsel galt. Auf der benachbarten Halbinsel Qatar hingegen litten die osmanischen Besatzungssoldaten vielfach an Skorbut, weil dort wenig wuchs, die Einheimischen die türkische Besatzungsmacht ablehnten und Gärtnerei unter osmanischen Soldaten unüblich war.

Zur Fotografie eines vor einer Matte knienden Kamels erfahren wir, dass diese damals in Arabien nahezu nie gefüttert werden mussten. Nur bei extremen Wüstendurchquerungen, wie sie etwa die Postkamele in einem Geschwindmarsch von Hufuf nach Dohar in nur drei Tagen leisteten, wurden sie mit Datteln und kleinen Fischen versorgt. Andere Fotos sprechen für sich selbst, wie etwa das des Fischmarkts von Matrah, auf dem ein hoher Berg getrockneter Fische zu sehen ist, die auf der Erde zum Verkauf aufgeschichtet sind. Neugierig schauen die Markthändler und ihre Käufer auf die Kamera samt Fotografen.

Fotos von Frauen und Kindern im Hausarbeitsalltag fehlen weitgehend – wahrscheinlich, weil der Reisende nur selten in die Innenhöfe der Häuser und gar nicht in die Frauenräume kam, und weil es sich damals wie mancherorts bis heute in der arabischen Welt nicht schickte, Frauen zu fotografieren. Leider lässt Annegret Nippa, die sich auch mit Frauen und Familien im Orient befasst hat, diesen Umstand nahezu unkommentiert.

Der vorsichtige Umgang mit dem Instrument Kamera sowie die kenntnisreichen Kommentare der vorliegenden Landschafts- und Alltagsfotografien geben einen unaufgeregten Einblick in die ältere arabische Welt mit ihren Nomaden, einer elaborierten Seefahrerkultur, mit Händlern in dünn besiedelten Küstenstädten, die schon damals auf auswärtige Bedienstete angewiesen waren. Damals handelte es sich noch um Sklaven aus dem benachbarten Ostafrika, die laut Burchardt im Alltag ihre vormoderne Rechtsstellung kaum zu spüren bekamen. Heute wie damals machen in manchen Golfstaaten von außen geholte Hausbedienstete und andere Arbeitskräfte über die Hälfte der Einwohner aus – trotz hoher Akademikerarbeitslosigkeit. Durch den vorliegenden Bildband erhalten Orte, die in den letzten Jahren als Schauplatz etwa von WTO-Konferenzen überhaupt erst ins Bewusstsein der westlichen Welt gelangten, eine Geschichte und damit ein eigenes Gesicht aus der Zeit vor Industrie und Ölförderung. Leider wird der Bezug zur heutigen Zeit seitens der Herausgeber selten hergestellt – so fehlt beispielsweise eine aktuelle Landkarte. Insgesamt handelt es sich aber bei dem vorliegenden Werk um eine fundierte Arbeit und einen gelungenen Bildband.

Anmerkungen:
1 Burchardt, Hermann, Die Juden im Yemen, in: Ost und West 2 (1902), Spalte 337-341; sowie: ders., Reiseskizzen aus dem Yemen, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde 17 (1902), S.305-322.
2 Burchardt, Hermann, Ost-Arabien. Von Basra bis Maskat auf Grund eigner Reisen, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde 21 (1906), S. 305-322.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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