: Leben als Konflikt. Zur Biographie Alexander Mitscherlichs. Göttingen 2007 : Wallstein Verlag, ISBN 978-3-8353-0063-7 320 S. € 29,90

: Alexander Mitscherlich. Gesellschaftsdiagnosen und Psychoanalyse nach Hitler. Göttingen 2007 : Wallstein Verlag, ISBN 978-3-8353-0187-0 480 S. € 39,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Morat, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Im Zuge der voranschreitenden Historisierung der alten Bundesrepublik ist auch deren einseitig erzählte Erfolgsgeschichte vielfach problematisiert worden. Im aktuellen Jubiläumsjahr ist nicht nur die endgültige Entmythisierung der „68er“ als Motoren der Pluralisierung und kritischen Vergangenheitsaufarbeitung zu erwarten.1 Mit der Erforschung des Terrorismus der 1970er-Jahre verdüstert sich auch über „68“ hinaus das Bild der mittleren Bonner Republik. Gleichwohl bleibt der Befund, dass sich in den 1960er- und 1970er-Jahren auch gegen ideologische Verengung, gegen RAF und Berufsverbote ein weltoffener Bürgergeist in der Bundesrepublik etabliert hat2 und dass deren demokratisches Fundament die Krisenphänomene der 1970er-Jahre unbeschadet überstanden hat. Es gilt also weiterhin, nach den Gründen für die erfolgreiche Liberalisierung der Bundesrepublik zu fragen.3

Zur Beantwortung dieser Frage ist immer wieder auf die intellektuellen Fundierungsprozesse des demokratischen Gemeinwesens verwiesen worden, nicht nur in der Frankfurter Schule, sondern jüngst auch im Liberalkonservatismus der Münsteraner Ritter-Schule.4 Die Liberalisierung der Bundesrepublik war nicht zuletzt das Werk „engagierter Demokraten“5, die als öffentliche Intellektuelle das Wort für die Etablierung einer aufgeklärten und kritischen Bürgerlichkeit ergriffen. Als ein solcher engagierter Demokrat erscheint zweifellos auch Alexander Mitscherlich (1908–1982). Mit seinen Buchtiteln „Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft“ (1963), „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ (1965) und „Die Unfähigkeit zu trauern“ (1967) gehörte er zu den wichtigsten Stichwortgebern der bundesrepublikanischen Selbstverständigung in den 1960er-Jahren sowie mit seinen zahlreichen Auftritten in Presse, Rundfunk und Fernsehen zu den prominentesten Intellektuellen der neuen kritischen Öffentlichkeit. Zugleich konnte er als Vermittler zur revoltierenden studentischen Jugend fungieren. Umso erstaunlicher ist es, dass ihm seit Hans-Martin Lohmanns rororo-Monographie von 1987 bisher keine zeithistorische Untersuchung gewidmet wurde. Diesem Umstand ist mit den beiden Veröffentlichungen von Martin Dehli und Tobias Freimüller – beide als Dissertationen entstanden – nun gleich in doppelter Weise Abhilfe geschaffen worden.

Dehlis Studie, die seit ihrer Veröffentlichung vor einem Jahr bereits einiges Aufsehen erregt hat, zielt allerdings nicht direkt auf Mitscherlich als öffentlichen Intellektuellen der Bundesrepublik. Sie setzt vielmehr früher ein und ist in erster Linie als Kritik am statuarischen Bild Mitscherlichs als „Gründergestalt“ sowohl der deutschen Nachkriegs-Psychoanalyse wie des demokratischen Bewusstseins aufgebaut. Mitscherlich sei weder „Antifaschist der ersten Stunde“ gewesen, wie Lohmann meinte, noch habe er immer schon ein „Leben für die Psychoanalyse“ geführt, wie Mitscherlich selbst in seiner Autobiographie schrieb. Um die durch diese Kurzformeln entstandene Wahrnehmung einer „Stunde-Null-Biographie“ (S. 12) zu überwinden, konzentriert sich Dehli vor allem auf die frühen Jahre Mitscherlichs und auf seinen Weg hin zum kritischen Intellektuellen der 1960er-Jahre.

Dehli bringt dabei auf mehreren Ebenen Korrekturen an dem von Mitscherlich selbst entworfenen Bild seiner Person und seines Lebenswegs vor 1945 an. Das betrifft zunächst Mitscherlichs Verhältnis zur Konservativen Revolution der Weimarer Jahre, deren Leitfiguren Ernst Jünger und Ernst Niekisch er sich zeitweise zu Ersatzvätern erkoren hatte. Diese Verbindung hat Mitscherlich nie geleugnet, aber zur jugendlichen Verirrung erklärt, während Dehli die nachhaltige Prägung Mitscherlichs durch das Gedankengut der Konservativen Revolution betont. Denn diese setzte sich nach Mitscherlichs Hinwendung zur Medizin ab 1935 auch in seiner Konzeption einer „medizinischen Anthropologie“ fort (S. 100), die er im Windschatten der „ärztlichen Vernichtungslehre“ (S. 97) seines Lehrers Viktor von Weizsäcker entwickelte und mit der er, so Dehli, „die Konservative Revolution in die Medizin verlegt“ habe (S. 90).

Noch vor seinem Studium bei Weizsäcker wurde Mitscherlich wegen seiner Kontakte zum „Widerstandskreis“ Niekischs für einige Monate ins Schweizer Exil getrieben und bei seiner Rückkehr für drei Monate inhaftiert. Diese Verfolgung durch das NS-Regime hat Mitscherlich nach 1945 mehrfach für sich ins Feld geführt. Dehli kann jedoch zeigen, dass Mitscherlich sein Verfolgungsschicksal nachträglich ausgeschmückt hat, indem er etwa von acht statt von drei Monaten Haft sprach und den Abbruch seines zunächst aufgenommenen Geschichtsstudiums falsch datierte, um ihn in den Kontext politischer und antisemitischer Repression rücken zu können. Dehli kommt deshalb zu dem Fazit: „Mitscherlich war in seiner politischen Meinung weniger eindeutig, in seinem Leben weniger verfolgt und in seinem Handeln weniger mutig, als er behauptete.“ (S. 81)

Für die Zeit nach 1945 konzentriert sich Dehli weiterhin auf Mitscherlichs „Geschichtsschreibung in eigener Sache“ (S. 211). So arbeitet er auch bei Mitscherlichs Berichterstattung vom Nürnberger Ärzteprozess 1946/47, aus der die zusammen mit Fred Mielke herausgegebenen, später viel beachteten Publikationen „Das Diktat der Menschenverachtung“ (1947) und „Wissenschaft ohne Menschlichkeit“ (1949) hervorgingen und mit der sich Mitscherlich viele Feinde in der deutschen Ärzteschaft machte, eine selbstlegitimatorische Pointe heraus. Denn indem Mitscherlich die ärztlichen Verbrechen der NS-Zeit als Auswüchse einer naturwissenschaftlich-anonymen Medizin interpretierte, gegen die er und Weizsäcker sich mit ihrem psychosomatischen Ansatz schon vor 1945 gewandt hätten, „war die Psychosomatik von der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Vergangenheit befreit“ und „in ein neues politisches Koordinatensystem überführt“ (S. 175).

Schließlich war Mitscherlich auch im Falle der Psychoanalyse um eine politisch entlastende Geschichtsschreibung bemüht. Ihr hatte er sich in Gestalt der Lehren Freuds erst seit Anfang der 1950er-Jahre ernsthaft zugewandt, kämpfte dann aber umso ausdauernder für ihre institutionelle Verankerung im Wissenschaftssystem der Bundesrepublik. Dieser Kampf ermöglichte 1960 die Gründung des (erst 1964 so benannten) „Sigmund-Freud-Instituts“ in Frankfurt am Main, deren Geschichte Dehli ausführlich beschreibt, ebenso wie die Auseinandersetzungen zwischen den konkurrierenden psychoanalytischen Standesvertretungen, der „Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft“ (DPG) und der „Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung“ (DPV). Besonders bei diesen Auseinandersetzungen war Mitscherlich daran gelegen, die „intellektuellen und personellen Kontinuitäten“ (S. 216) zur deutschen Psychoanalyse während des „Dritten Reiches“ zu überspielen – was allerdings dazu führte, „dass Mitscherlich seine Herkunft aus einer Tradition verdecken musste, die er nun wissenschaftspolitisch bekämpfte“ (S. 215).

Bei all diesen Korrekturen leugnet Dehli keinesfalls Mitscherlichs Beitrag zur Etablierung einer offenen, demokratischen politischen Kultur in der Bundesrepublik. Er beschreibt Mitscherlichs Annäherung an linke Positionen schon während des „Dritten Reichs“, seine Rolle beim Wiederaufbau der Heidelberger Universität und sein politisches Zwischenspiel in der „Provinzialregierung Mittelrhein-Saar“ sowie sein Eintreten für einen „freien Sozialismus“ nach 1945 und seine spätere Nähe zur Frankfurter Schule. Aber der Hauptertrag von Dehlis Studie liegt in dem Nachweis, dass die Mechanismen der „Verwandlungspolitik“6, die bisher in erster Linie für ehemalige NS-Eliten untersucht wurden, auch bei Intellektuellen wie Mitscherlich griffen, die sich eigentlich wenig vorzuwerfen hatten, nach 1945 aber dennoch um eine Glättung und Linearisierung ihrer politischen und intellektuellen Biographien bemüht waren. Im Falle Mitscherlichs, der mit seinen späteren Texten zur Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer Vergangenheit stets die schonungslose Anerkennung des Gewesenen und die Selbsterkenntnis als Weg zur Selbstaufklärung angemahnt hat, besitzt das freilich eine besondere Pointe.

Diese späteren vergangenheitspolitischen Beiträge Mitscherlichs, seine Auseinandersetzung mit der „Unfähigkeit zu trauern“ und das sein Leben und Werk bestimmende Motiv der „Vaterlosigkeit“ behandelt Dehli dann nur noch kursorisch. Auf seinen letzten Seiten beschäftigt er sich in essayistischer Verdichtung zwar treffend mit der Frage, „wie ursprünglich antidemokratische und antimodernistische Traditionen nach 1945 so umgeformt wurden, dass sie einen positiven Beitrag zur Entwicklung einer bundesrepublikanischen Identität leisten konnten“ (S. 275). Dehlis überzeugende Dekonstruktion von Mitscherlichs Lebensbild konzentriert sich jedoch darauf, die Herkunft von dessen Denken aus diesen Traditionen freizulegen. Wie Mitscherlich die „Modernisierung der Begriffe und Denkfiguren konservativer Kulturkritik“ (S. 254) dann im Einzelnen vollzogen hat, lässt sich in Tobias Freimüllers Studie besser verfolgen.

Obwohl auch Freimüller biographisch argumentiert, setzt er nicht nur zeitlich einen anderen Schwerpunkt als Dehli. Während sich dieser auf die innere Logik von Mitscherlichs biographischen Überschreibungen konzentriert, ist Freimüller stärker an dessen öffentlicher Biographie in der Bundesrepublik interessiert und bezieht wesentliche Elemente der Wirkungsgeschichte mit ein. Die Frühzeit bis 1945 behandelt er auf wenigen Seiten. Die größten Überschneidungen mit Dehlis Buch ergeben sich bei der Behandlung von Mitscherlichs Rolle beim Wiederaufbau der Heidelberger Universität und beim Nürnberger Ärzteprozess sowie beim institutionellen „Kampf um die Psychoanalyse“ (S. 177). Hier schildert Freimüllers (insgesamt umfangreichere) Arbeit Mitscherlichs publizistisches Eintreten für den „Freien Sozialismus“ und die Rezeption seiner Nürnberger Berichterstattung ausführlicher. Der wichtigste Mehrwert gegenüber Dehlis Studie ergibt sich jedoch aus Freimüllers Rekonstruktion der Entwicklung von Mitscherlichs Sozialpsychologie, die als Massenpsychologie in den von Dehli freigelegten kulturpessimistischen Traditionen wurzelte, Mitscherlich aber schließlich in den Kontext der Frankfurter Schule führte und zu einem der Mentoren der Studentenbewegung machte.

Mitscherlichs wichtigste sozialpsychologische Veröffentlichung war die 1963 erschienene Textsammlung „Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft“. Darin interpretierte er das „Erlöschen des Vaterbildes“ (S. 255) in der modernen Massengesellschaft als Verlust traditioneller und Orientierung gebender Autoritäten – ein Verlust, der einerseits als Krisenphänomen erscheint, andererseits aber die Emanzipation des Einzelnen ermögliche, wenn dessen „kritische Ich-Leistung“ gestärkt werde (S. 256). Wie Freimüller zeigen kann, gingen viele Elemente dieser Position von 1963 auf Mitscherlichs Beschäftigung mit dem Problem der Masse und der technischen Entfremdung schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit zurück. Doch während Mitscherlich in dieser Zeit noch vom „Standpunkt des konservativen Bildungsbürgers auf eine vermeintlich bedrohliche ‚Masse’“ blickte (S. 83), gelang es ihm durch die Orientierung an selbstaufklärerischen Idealen und nicht zuletzt auch durch den Kontakt zur Frankfurter Schule, seine Sozialpsychologie „von bloßem Kulturpessimismus zu lösen“ (S. 425) und tatsächlich „Massenpsychologie ohne Ressentiment“ zu treiben (S. 242), wie ein Aufsatz von 1953 hieß. Nach seinem „Abschied von dem raunenden existentialistischen Vokabular früherer Jahre“ (S. 248) zielte Mitscherlichs Sozialpsychologie nun auf eine „Demokratisierung der Masse“ (S. 249) und damit auf eine aktive „Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse“ (S. 255).

Mit diesem letzten Zitat ist auch Mitscherlichs intellektuelles Engagement angesprochen, das Freimüller ausführlich untersucht. Dabei geht es nicht nur um die zeitgenössische Rezeption seiner Schriften, sondern etwa auch um seine Unterstützung der Humanistischen Union, seine Kritik des modernen Städtebaus, seine mediale Präsenz und seine Auseinandersetzung mit der Studentenbewegung, die er grundsätzlich begrüßte und länger verteidigte als manch andere progressive Professoren. Eng verknüpft mit seinem gesellschaftspolitischen Engagement war sein Plädoyer für die Aufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit. Freimüller macht allerdings deutlich, dass Mitscherlich auf diesem Feld nicht nur Vorreiter war, sondern vielfach auch den allgemeinen Konjunkturen der Vergangenheitspolitik folgte. So trat das Thema nach der Auseinandersetzung mit den Ärzteprozessen in den 1950er-Jahren für Mitscherlich zunächst ebenso in den Hintergrund wie für den Großteil der Deutschen. 1960 erregte die Neuauflage von „Wissenschaft ohne Menschlichkeit“ (nun unter dem Titel „Medizin ohne Menschlichkeit“) zwar einiges Aufsehen, doch als Ende 1967 schließlich die „Unfähigkeit zu trauern“ erschien, löste dieses Buch keine gesellschaftliche Kontroverse mehr aus, weil es in vielem offene Türen einrannte und „in erster Linie bereits gesichertes gesellschaftliches Wissen ansprach und auf den Begriff brachte“ (S. 309). Zugleich enthielt das Werk auch eine „verborgene Verheißung des Schlussstrichs“, da es suggerierte, „die bislang so sträflich verdrängte NS-Vergangenheit könne – bei Befolgung der von den Mitscherlichs empfohlenen Therapie – schließlich doch erfolgreich ‚bewältigt’ werden“ (S. 314). Diese kritische Auseinandersetzung mit der „Unfähigkeit zu trauern“ überzeugt bei Freimüller ebenso wie bei Dehli. Allerdings hätte man von beiden gern mehr über die Rolle Margarete Mitscherlichs erfahren, die seit 1948 mit Alexander Mitscherlich zusammenlebte und die „Unfähigkeit“ bekanntlich mitverfasst hat, deren Bedeutung für das gemeinsame Arbeiten aber nur in wenigen Andeutungen vorkommt.

Das Privatleben Alexander Mitscherlichs wird in beiden biographischen Studien ansonsten zu Recht ausgespart, und die Tatsache, dass Mitscherlich als Vater von sieben Kindern aus drei Ehen wohl auch privat mit der Vaterrolle zu hadern hatte, wird von beiden Autoren nur mit wenigen Sätzen gestreift. Besonders Dehlis Arbeit ist auch unabhängig davon nicht unbedingt dazu angetan, Mitscherlich sympathischer erscheinen zu lassen. Dessen „Leben im Konflikt“ war nicht selten das Leben eines Streitsüchtigen und Rücksichtslosen, der in seiner von „Brüchen und Neuanfängen“ (Dehli, S. 176) geprägten Biographie manch ehemalige Mentoren und Freunde auf der Strecke ließ und zugleich sein Selbstbild als ewig Verfolgter und Oppositioneller sogar dann noch pflegte und für sich einzusetzen suchte, als er längst schon eine diskursive und institutionelle Machtposition erlangt hatte. Doch bei aller Kritik an Mitscherlich als Person sowie an seinen sozialpsychologischen und vergangenheitspolitischen Entwürfen macht besonders Freimüllers Studie deutlich, dass Mitscherlich in seiner Abwendung von der konservativen Kulturkritik einen beachtlichen Lernprozess durchlaufen hat. Durch sein Talent zur öffentlichen Rede und Auseinandersetzung, durch seine kompromisslose Haltung und sein gesellschaftspolitisches Sendungsbewusstsein hat er nicht unerheblich dazu beigetragen, dass sich dieser Lernprozess in den 1960er-Jahren als gesamtgesellschaftlicher Prozess fortsetzte.

Bei alledem ist Mitscherlich nicht schulbildend geworden. Mit seinem Ansatz einer psychoanalytisch orientierten Sozialpsychologie hat er kaum Nachfolger gefunden. Die Studentenbewegung suchte ihre Antworten auf psychoanalytische Fragen lieber bei Erich Fromm, Herbert Marcuse und Wilhelm Reich, und auf den „Psychoboom“ der späten 1960er- und 1970er-Jahre hatte Mitscherlich wenig Einfluss.7 Freimüller macht daher deutlich, dass Mitscherlichs Lebensbilanz Ende der 1970er-Jahre durchaus gespalten ausfiel. Doch für die 1960er-Jahre besteht kein Zweifel, dass Mitscherlich in diesem „Scharnierjahrzehnt“ (Freimüller, S. 7) eine zentrale Funktion für den Wandel von der kulturkritischen zur gesellschaftskritischen Öffentlichkeit zukam. Will man diesen Wandlungsprozess in seiner langen Dimension seit der Zwischenkriegszeit und auch in seiner Widersprüchlichkeit am biographischen Beispiel Mitscherlichs verfolgen, lohnt es sich, die beiden hier vorgestellten, gut recherchierten und glänzend argumentierenden Studien parallel zu lesen.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu jetzt mit überspitzter These Aly, Götz, Unser Kampf. 1968, Frankfurt am Main 2008.
2 Vgl. Knoch, Habbo (Hrsg.), Bürgersinn mit Weltgefühl. Politische Moral und solidarischer Protest in den sechziger und siebziger Jahren, Göttingen 2007.
3 Vgl. zur Liberalisierungsthese Herbert, Ulrich (Hrsg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980, Göttingen 2002; Jarausch, Konrad H., Die Umkehr. Deutsche Wandlungen 1945–1995, München 2004.
4 Vgl. Albrecht, Clemens u.a., Die intellektuelle Gründung der Bundesrepublik. Eine Wirkungsgeschichte der Frankfurter Schule, Frankfurt am Main 1999; Hacke, Jens, Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik, Göttingen 2006; daneben jetzt auch Payk, Marcus M., Der Geist der Demokratie. Intellektuelle Orientierungsversuche im Feuilleton der frühen Bundesrepublik: Karl Korn und Peter de Mendelssohn, München 2008.
5 Fröhlich, Claudia; Kohlstruck, Michael (Hrsg.), Engagierte Demokraten. Vergangenheitspolitik in kritischer Absicht, Münster 1999.
6 Loth, Wilfried; Rusinek, Bernd-A. (Hrsg.), Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Frankfurt am Main 1998.
7 Diesen „Psychoboom“ behandelt Maik Tändler gegenwärtig in seinem Göttinger Dissertationsprojekt; vgl. den Bericht zur Tagung „Neue Subjektivität. Subjektkulturen und Selbstverhältnisse“: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1917>.

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