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Titel
Die Gregorsmesse. Funktionen eines spätmittelalterlichen Bildtypus


Autor(en)
Meier, Esther
Erschienen
Köln 2006: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
335 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Zozmann, Universität Bielefeld

Die sogenannte „Gregorsmesse“ war eines der wichtigsten und am weitesten verbreiteten sakralen Bildmotive im nordalpinen Raum des Spätmittelalters. Kernelement der verschiedenen so bezeichneten Bildwerke ist die Erscheinung Christi – zumeist als Schmerzensmann dargestellt – vor Papst Gregor dem Großen. Diese Szene konnte durch weitere Personen, die arma christi oder das vera icon ergänzt werden. In ihrer im Herbst 2003 an der Philipps-Universität in Marburg angenommenen Dissertation macht es sich Esther Meier zur Aufgabe, „dem uns unbekannt gewordenen Bildtypus seinen einstigen Sinngehalt zurückzugeben.“

Die Verfasserin arbeitet in der Einleitung und dem Forschungsüberblick die Ungereimtheiten zwischen dem vorhandenen Bildmaterial und den (Forschungs-)Legenden, die sich seit dem 18. Jahrhundert um die „Gregorsmesse“ ranken, prägnant heraus. Auch die Entwicklung der visio Gregorii aus der imago pietatis in der römischen Kirche S.Croce in Gerusalemme sowie die Ausbreitung der dazugehörigen Legende entlang der Pilgerwege durch Stiche und Einblattdrucke wird aufbauend auf ältere Einzelforschungen schlüssig auf den Punkt gebracht und leitet in das erste der drei Hauptkapitel über.

Der zentrale Teil der Arbeit besteht aus drei Einzelkapiteln, in denen die Verbreitung (bis 1450), die Etablierung (1450-1520) und der Niedergang des Bildmotivs (nach 1520) behandelt werden. Meier räumt bereits in der Einleitung ein, dass die Gliederung der Einzelkapitel von Inkonsequenzen nicht frei ist. So orientieren sie „sich weitgehend an den Bildgattungen, umfassen jedoch auch Funktionskategorien“. In der Praxis führt dies zu einer Abfolge von Unterkapiteln, in denen einzelne „Gregorsmessen“ getrennt nach Bildgattungen untersucht werden. In diese flicht Meier die theoretischen und theologischen Grundlagen oder synthetisierende Absätze ein. Zwar dient diese eher assoziative Komposition der Lesbarkeit, nicht aber der Übersichtlichkeit. Inmitten der oft ausführlichen, zumeist gelungenen und immer von großer Literaturkenntnis geprägten Einzelinterpretationen hätte gerade ein klarer Aufbau der Arbeit zur Orientierung des Lesers beigetragen.

Die kenntnisreichen Deutungen der einzelnen Kunstwerke verstellen so den Blick auf den Gesamtzusammenhang, zumal eine prägnante Fragestellung innerhalb der einzelnen Kapitel fehlt. Dazu trägt auch die etwas willkürliche Dreiteilung des Untersuchungszeitraums bei. Eine Untersuchung entlang der Motivvariationen oder Fragen nach Kontinuität und Wandel des Motivs „Gregorsmesse“ innerhalb der einzelnen Gattungen hätten einige Thesen Meiers besser belegt, so etwa „die direkte Beziehung zu Tod und Auferstehung“. Gleichzeitig hätte eine solche Perspektivierung die Möglichkeit eröffnet, den vielfältigen Bedeutungs- und Verständnisebenen, welche diesem Bildtypus innewohnen, auf die Spur zu kommen.

Meier betont zu Recht immer wieder die Gottesschau als zentrales Bedeutungselement der „Gregorsmessen“, jedoch wird eine Verengung auf diesen Aspekt dem Bildtypus nicht gerecht. Ausgehend von der Dekonstruktion der populären Legende von der frommen Bäckerin verwehrt sich die Verfasserin mit guten Gründen gegen die oft begegnende Interpretation der „Gregorsmesse“ als bloße bildliche Erklärung der Transsubstantiation. Die auch von der Autorin nicht geleugneten und zum Teil selbst festgestellten Bedeutungsschichten, die in engem Zusammenhang mit dem Problem der Wandlung von Brot und Wein stehen, werden so jedoch weitgehend ausgeblendet. Dieser nur schwer nachvollziehbare horror transsubstantiationis, der sich in zahlreichen Abschnitten und Fußnoten äußert, führt mitunter zu unnötigen argumentativen Verrenkungen. Meier macht plausibel, dass der Bildtypus von seiner ursprünglichen Komposition her „nie die Lehre der Transsubstantiation belegen wollte“, bleibt aber jede Erklärung dafür schuldig, dass viele Bildelemente dem Betrachter ein solches Verständnis nahelegen konnten: Die auf manchen Werken vorkommende starke Gleichsetzung der Oblate mit dem erscheinenden Christus oder das Blut, das aus den Wunden in den auf dem Altar stehenden Kelch läuft, sind theologisch gesehen zwar als Verbildlichung der eigentlich nicht darstellbaren Wandlung problematisch, für den einfachen Gläubigen jedoch ein anschauliches Bild, das eine eindeutige Aussage transportiert. Einen kreativen Ansatz, mit diesem komplexen Problemfeld umzugehen, führt Claudia Gärtner im von Thomas Lentes und Andreas Gormans herausgegebenen Sammelband „Das Bild der Erscheinung – Die Gregorsmesse im Mittelalter“ vor, in dem auch die Verfasserin mit einem Aufsatz vertreten ist. 1

Neben den knapp dreihundert Seiten des Textteils enthält das ansprechend gestaltete Buch ein Orts-, Personen- und Graphikregister sowie einen umfangreichen Bildanhang, bei dem die Reproduktionsqualität der Bilder jedoch sehr unterschiedlich ist. Bei allen Einwänden im Einzelfall, dem problematischen Verhältnis zur Frage der Transsubstantiation und einigen sprachlichen Unebenheiten bleibt eine materialreiche und belesene Arbeit, die die für kurze Zeit sehr populäre „Gregorsmesse“ von vielen überkommenen und bislang unreflektiert übernommenen Legenden befreit und bislang nicht beachtete Gebrauchskontexte dieses Bildtypus aufdeckte.

Anmerkung:
1 Gärtner, Claudia, Die Gregorsmesse als Bestätigung der Transsubstantiationslehre? Zur Theologie des Bildsujets, in: Lentes, Thomas; Gormans, Andreas (Hrsg.), Das Bild der Erscheinung. Die Gregorsmesse im Mittelalter, Berlin 2007, S. 125-153.

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