H. Berger: Deutsche Historikerinnen 1920-1970

Cover
Titel
Deutsche Historikerinnen 1920-1970. Geschichte zwischen Wissenschaft und Politik


Autor(en)
Berger, Heike Anke
Reihe
Geschichte und Geschlechter 56
Erschienen
Frankfurt am Main 2007: Campus Verlag
Anzahl Seiten
330 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Etzemüller, Institut für Geschichte, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Die Geschichte der Geschichtswissenschaft war lange Zeit eine männliche Angelegenheit. Historiker würdigten das Werk anderer Historiker und deren Bedeutung für die Geschichtsschreibung. Historikerinnen kommen in den gängigen Wissenschaftsgeschichten kaum vor. Das liegt zum einen an einem verengten Begriff von Geschichtsschreibung, der fast ausschließlich auf die Wissenschaft abhebt und damit quasi naturgemäß auf Männer, die die Wissenschaft als Professoren dominiert haben. Zugleich liegt es aber an einer spezifischen Geschichtspolitik, nämlich der Nachlasspolitik in den Archiven. Bedeutende und weniger bedeutende Professoren legen oft bereits zu Lebzeiten einen Nachlass an, den die Universitäts- bzw. staatlichen Archive in der Regel auch annehmen und der Forschung zugänglich machen. Diese Nachlässe bilden dann eine wichtige Grundlage für die Geschichte der Geschichtswissenschaft, und so trägt die archivalische Überlieferung dazu bei, das überkommene Bild zu zementieren. Die Nachlässe von Frauen finden weit seltener den Weg in die Archive. In den Quellen tauchen zwar immer wieder Frauen auf: als Ehefrauen von Kollegen, die mit einem handschriftlichen Zusatz im ansonsten maschinengeschriebenen Brief gegrüßt werden, als Sekretärinnen sich habilitierender Ehemänner oder als Studentinnen, die abgewimmelt werden. Liest man diese Quellen gegen den Strich, kann man viel über Frauen in der Wissenschaft herausfinden. Aber es ist ein mühseliges Geschäft. Die Bestände, die einen einfachen Zugriff auf Frauen in der Geschichtswissenschaft ermöglichen, sind dagegen vergleichsweise selten.

Mittlerweile wird das Feld jedoch von den Rändern her aufgerollt. Angelika Epple analysierte in ihrer 2003 veröffentlichten Dissertation weibliche Geschichtsschreibung des 18. und 19. Jahrhunderts; Steffen Kaudelka und andere haben die Historikerin Hedwig Hintze gewürdigt; und mit der Dissertation von Heike Berger liegt nun ein Versuch vor, am Beispiel von fünf Historikerinnen die Möglichkeitsräume von Frauen in der deutschen Geschichtswissenschaft zu erkunden. Irene Grüning, Hedwig Fleischhacker, Hildegard Schaeder, Ellinor von Puttkamer und Herta von Ramm-Helsing verkörpern unterschiedliche Typen, an denen ausgelotet werden kann, welche Laufbahnen – dieser Begriff ist offener als der teleologische Karrierebegriff – Historikerinnen von der Weimarer Republik bis in die Zeit der Bundesrepublik offenstanden oder versperrt waren. Berger will „mittels eines biographischen Ansatzes den Zusammenhang von Geschichtswissenschaft, Geschlecht und Politik im 20. Jahrhundert“ untersuchen. Die Studie „fragt nach geschlechtersegregierenden und -hierarchisierenden In- und Exklusionsmechanismen in der Geschichtswissenschaft sowie nach der geschlechtlichen Codierung des Berufsbildes Historiker“ (S. 14). Als Untersuchungsfeld dient Berger die historische Osteuropaforschung.

Die Autorin gliedert ihr Buch in vier Kapitel. Das erste schildert Zugänge und Sackgassen in der Weimarer Republik. Mit Grüning, Fleischhacker und Schaeder werden drei unterschiedliche Wege herausgearbeitet: Die vielversprechende Nachwuchswissenschaftlerin Grüning gerät ins wissenschaftliche Abseits, weil sie erfolglos mit Fleischhacker um eine Assistentenstelle konkurriert. Fleischhacker fasst als Schülerin und Lebensgefährtin eines Ordinarius in der Wissenschaft Fuß; ihre wissenschaftliche Qualifikation wird deshalb aber angezweifelt. Die Professorentochter Schaeder wiederum kann auf einen erprobten Habitus und eine weitreichende familiale Vernetzung zurückgreifen, um sich in der Wissenschaft zu etablieren. Die NS-Herrschaft, das macht Berger deutlich, behinderte die Frauen dabei nicht grundsätzlich. Im Gegenteil, in Fächern wie der Osteuropaforschung oder der Prähistorie eröffnete das Regime Frauen durchaus neue Handlungsräume der wissenschaftlichen Arbeit. Oft war das freilich die inhaltlich wichtige, von etablierten Historikern aber zumeist geringgeschätzte Arbeit in Fachbibliotheken und den Redaktionen der Fachzeitschriften. Am Beispiel Schaeders, Grünings, von Puttkamers und von Ramm-Helmsings untersucht Berger im zweiten Kapitel, wie Frauen die Ressourcen der institutionell sich ausdifferenzierenden Ostforschung nutzen konnten – und wie dies in geschlechtsspezifische Laufbahnen mündete, denn für die meisten Männer stellten solche Institutionen nur eine Durchgangsstation auf dem Weg zur Professur dar.

Das dritte Kapitel behandelt „biographische und geschichtswissenschaftliche Verarbeitungsstrategien während der nationalsozialistischen Diktatur“. Am Beispiel Schaeders wie von Puttkamers wird deutlich, dass auch die Historikerinnen keine grundlegend oppositionelle Haltung zum „Dritten Reich“ einnahmen und dass selbst Schaeder, die wegen ihres kirchlichen Engagements im KZ gesessen hatte, nach 1945 keine adäquate Sprache fand, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu beschreiben. Beide galten nach Kriegsende in der Öffentlichkeit rasch als Expertinnen für das „Dritte Reich“ und meldeten sich intensiv in der Diskussion um eine Erneuerung der deutschen Gesellschaft zu Wort. Die Ambivalenz dieser (durchaus unreflektierten) Haltung und ihre entlastende Funktion für die deutsche Nachkriegsgesellschaft arbeitet Berger deutlich heraus.

Schließlich werden die Übergänge in die Nachkriegszeit analysiert und die Versuche, sich in der westdeutschen Wissenschaft zu re-etablieren (die DDR ist aufgrund der gewählten Beispielfälle in dieser Studie nicht von Bedeutung). Einerseits spielte dabei die Perzeption der Frauen durch die männlichen Professoren eine Rolle: Grüning ging als Schülerin des Osteuropa-Historikers Otto Hoetzsch ein guter Ruf voraus; ihre Habilitation sah man als durch den Nationalsozialismus verhindert an. Schaeder galt als NS-Gegnerin und KZ-Opfer, Fleischhacker hingegen als zu politische Wissenschaftlerin – und außerdem als durch die Pension ihres Mannes „versorgt“. Alle verfügten über gute Kontakte in die Wissenschaft, aber eine dauerhafte Etablierung gelang ihnen nicht. Die untersuchten Historikerinnen forschten und publizierten zwar weiterhin, und sie wurden rezipiert; sie blieben aber an den Rändern der Wissenschaft angesiedelt.

Methodisch ist Bergers Arbeit, wie die meisten historiographiegeschichtlichen Untersuchungen, eher konventionell angelegt. Es werden Texte referiert und dokumentierte Handlungen erzählt. Die elaborierten Instrumente, die die Wissenschaftssoziologie mittlerweile zur Verfügung stellt, kommen kaum zur Anwendung. Einmal wird der Denkstilbegriff Ludwik Flecks erwähnt, ohne weiteren Zusammenhang mit dem Text; zentraler Bezugspunkt ist eher ein Aufsatz von Mitchell G. Ash über „Wissenschaft und Politik als Ressourcen füreinander“.1 Das führt dazu, dass Berger zwar fünf wohl typisch weibliche Wege durch die Geschichtswissenschaft nachzeichnen kann, die eine gute Grundlage für weitere Untersuchungen bilden. Doch die Mechanismen, mit denen eine männlich dominierte Wissenschaft Frauen ausschloss und in untergeordneten Positionen hielt (oder hochkommen ließ), werden nicht hinreichend deutlich. Statt der fünf Frauen könnte man männliche Außenseiter der Wissenschaft wählen und käme zu ähnlichen Geschichten. Berger deutet zwar immer wieder eindeutig geschlechtercodierte Verhaltensweisen an – etwa wenn Historiker sich bei dienstlichen Auseinandersetzungen in ihrer Soldatenehre verletzt fühlten –, aber diese Befunde werden nicht vertieft.

Vielleicht hätte man den eingangs erwähnten Kreislauf untersuchen müssen, wie Historikernachlässe entstehen und die Geschichtsschreibung vorprägen, wie also Historiker, Archivare und Historiographiehistoriker gemeinsam durch ihre professionellen Praktiken Geschichte gestalten, ohne dass ihnen der Ausschluss von Frauen in irgendeiner Weise auffallen würde. Ein anderer Ansatz wäre es gewesen, männliche Außenseiter systematisch mit den Frauen zu vergleichen, um geschlechterspezifische Differenzen genauer bestimmen zu können. Dazu hätten dann auch die Briefe und Akten einer sprachanalytisch genaueren Analyse unterzogen werden müssen. Auch wäre es interessant gewesen zu erfahren, wie „männlich“ die wissenschaftlichen Texte der Frauen ausfielen, wie stark (und bewusst?) sich die Frauen also sprachlich, inhaltlich und methodisch in eine männlich determinierte Wissenschaft einschrieben und dadurch ein „männliches“ Bild der Geschichte zementierten.

Bergers Anspruch, „Erkenntnisse über den Stellenwert von Geschlecht für die Konstituierung von Geschichtswissenschaft und ihre wissenschaftlichen Wandlungsprozesse“ zu gewinnen (S. 15), bleibt uneingelöst, da die Geschichtswissenschaft sich von diesen fünf Beispielfällen in ihrer Konstitution nicht beeindrucken ließ. Doch kann die Autorin veranschaulichen, wie ein begrenzter Kreis von Akteuren über einen langen Zeitraum hinweg und systemunabhängig aushandelte, welche Frau wie intensiv die sich erweiternden Ressourcen nutzen und in der Wissenschaft Fuß fassen durfte. Dass die Geschichtswissenschaft geschlechtsspezifisch segregiert war und ist, steht außer Zweifel. Für die Untersuchung dieser Differenz hat Heike Berger eine erste Studie vorgelegt, die anregend ist, zugleich aber einiges verschenkt. Wie die Differenz nicht nur das Verhältnis von Männern und Frauen in der Wissenschaft regulierte, sondern auch deren wissenschaftliche Produkte in Form ihrer Geschichtsschreibung – das zu untersuchen steht für das 20. Jahrhundert also noch aus.

Anmerkung:
1 Ash, Mitchell G., Wissenschaft und Politik als Ressourcen füreinander. Programmatische Überlegungen am Beispiel Deutschlands, in: Büschenfeld, Jürgen (Hrsg.), Wissenschaftsgeschichte heute. Festschrift für Peter Lundgreen, Bielefeld 2001, S. 117-134.

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