Cover
Titel
Sympathie voor de RAF. De Rote Armee Fraktion in Nederland, 1970-1980


Autor(en)
Pekelder, Jacco
Erschienen
Amsterdam 2007: Mets & Schilt
Anzahl Seiten
366 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Dahlke, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Niederlande stehen aus der Sicht vieler Deutscher eher für Tulpen, Käse und Fahrräder als für politische Gewalt und Terrorismus. Die deutsch-niederländischen Beziehungen sind beiderseits geprägt von Klischees, die auf ein geringes Maß an Gemeinsamkeiten hinzuweisen scheinen. Jacco Pekelder zeigt überzeugend, dass der „Deutsche Herbst“ und der „Holländische Herbst“ (S. 275), wie er die blutige Festnahme und Haft dreier RAF-Mitglieder in den Niederlanden nennt, eng miteinander verflochten waren. Nicht zuletzt wurde Hanns Martin Schleyer auch einige Zeit in Den Haag versteckt.

Die von Vorurteilen geprägten Scheingewissheiten in den deutsch-niederländischen Beziehungen sind der übergeordnete Untersuchungsgegenstand in Pekelders Buch „Sympathie voor de RAF“. Der Autor, Mitarbeiter der Universität Utrecht, hat sich zuvor mit den niederländisch-ostdeutschen Beziehungen beschäftigt und publiziert nun seit mehreren Jahren zur politischen Gewalt in Westdeutschland und den Niederlanden.1 Die niederländischen Sympathisantengruppen, die die Vorgänge um die inhaftierten RAF-Mitglieder in Deutschland und den Niederlanden außerordentlich aktiv begleiteten, sind Pekelders Fallbeispiel dafür, wie medial gefilterte Wahrnehmungen und historische Vorurteile zu Sympathien für Terroristen führen können. Somit ist sein Buch ein gelungenes – und für Niederländischkundige zudem sehr gut lesbares – Beispiel für einen transnationalen Forschungsansatz, der trotz der vielen neueren Publikationen zur RAF und ihren Kontexten2 noch einen ganz eigenen Blickwinkel einnimmt und neue Fragestellungen auch für die deutsche Forschungslandschaft generiert.

Pekelders Buch beginnt mit einer krimiartigen und detaillierten Schilderung der blutigen Festnahmen der deutschen RAF-Mitglieder Gert Schneider, Christof Wackernagel und Knut Folkerts in den Niederlanden zur Zeit der Schleyer-Entführung 1977. Nach vielen hilfreichen, aber auch teils sehr kursorischen Kontextinformationen zu Biographien der Terroristen, Politik und Gesellschaft in Deutschland und den Niederlanden rollt Pekelder die Entwicklungen der linken Sympathisantenszene chronologisch auf. Dabei spielten zunächst der Psychiater Sjef Teuns und seine pseudo-wissenschaftliche Kritik an der „Isolationsfolter“ in den Gefängnissen der Bundesrepublik eine wichtige Rolle. Als 1973 der Niederländer Ronald Augustin in deutschen Gefängnissen einsaß, bekam diese Kritik ein niederländisches Gesicht und damit breiteren Zulauf. Institutionalisiert wurde die Kritik unter anderem im Medizinisch-Juristischen Komitee, aus dem nach Festnahme der drei Deutschen im „Holländischen Herbst“ 1977 eine Arbeitsgruppe aus Ärzten und Anwälten hervorging, die gegen die Haftbedingungen in den Niederlanden und im weiteren Sinne gegen die Einführung des „Modells Deutschland“ kämpften. Auch der informelle Kopf der Gruppe, der umtriebige RAF-Anwalt Pieter Herman Bakker Schut, konnte nach der juristisch umkämpften Auslieferung der drei Gefangenen nach Deutschland im Herbst 1978 nicht verhindern, dass sich die institutionalisierte Sympathisantenszene allmählich auflöste. Geblieben sind offene Rechtsfragen, mit denen Folkerts noch heute in den Niederlanden konfrontiert wird.

Pekelder lenkt den Blick unter anderem auf die bedeutende Rolle der Ärzte für die RAF, die, abgesehen vom Sozialistischen Patientenkollektiv (SPK) in Heidelberg, bislang kaum beachtet wurde. Die scheinbar wissenschaftliche Neutralität der Ärzte in der Beurteilung des Haftsystems bot das vielbeachtete Fundament für das Engagement vieler Sympathisanten. Ihr gesetzlich geschütztes Verhältnis zu den Patienten machte die Ärzte für die Terroristen instrumentalisierbar, ähnlich wie die Anwälte.

Zentraler ist für Pekelder jedoch die Frage, warum gerade die RAF-Gefangenen – ausländische Kriminelle – in den Niederlanden enorme Aufmerksamkeit und Unterstützung erfuhren, während die in mancher Hinsicht viel gefährlicheren Süd-Molukker, Nord-Iren und Palästinenser, die dort in den 1970er-Jahren ebenfalls kriminelle Aktivitäten entfalteten, kaum eine größere Öffentlichkeit erreichten (S. 28). Die Antwort darauf sieht Pekelder in der historisch gefärbten Wahrnehmung der Bundesrepublik. Einige Niederländer waren nur zu gern bereit, der Selbstlegitimation der RAF zu glauben, dass die Bundesrepublik nach wie vor von Alt-Nazis unterwandert sei: „Für manche Niederländer scheint die Sympathie für die RAF eine neue Ausdrucksform für das Ressentiment gegen die ehemaligen Besatzer gewesen zu sein und ein Ventil für das unbehagliche Gefühl, das Deutschlands neu gewonnener Reichtum und Macht in Europa ihnen bereitete.“ (S. 318, Übersetzung des Rezensenten)

Besonders interessant für deutsche Leser – ein Vorzug des transnationalen Ansatzes – ist die externe Sichtweise auf Deutschland, die sich auch im Kleinen manifestiert. So fiel etwa eine Wohnung der RAF in Amsterdam unter anderem durch die – typisch deutsch – zugezogenen Gardinen auf (S. 18). Mit dem gezielten Einsatz von Germanismen wie „toter Trakt“ wurde das Schreckensszenario eines auf die Niederlande übergreifenden „Deutschen Modells“ befördert (S. 243f.). Auch der Blick einer niederländischen Delegation auf deutsches Amtsdenken, das den staatlichen Umgang mit dem Terrorismus der 1970er-Jahre bestimmte, ist bemerkenswert: „Es fiel ihnen [d.h. den Besuchern] zum Beispiel auf, dass das Gefängniswesen in der Bundesrepublik noch sehr traditionell war. […] Wo in den Niederlanden immer mehr Soziologen und Psychologen ihren Dienst im Gefängniswesen versahen, bestimmten in Westdeutschland noch ausschließlich Juristen den Ton.“ (S. 134, Übersetzung des Rezensenten)

Bei den Haftbedingungen orientierten sich die niederländischen Justizbehörden trotz aller Proteste am großen Nachbarn. Etwas übereifrig, wie Pekelder urteilt, beugten sie mit enormem Sicherheitsaufwand und neuer Technik wie Überwachungskameras in Gerichtsgebäuden Befreiungs- und Vergeltungsversuchen durch die RAF vor. Letztlich aber entsprang dieses übersteigerte Sicherheitsdenken eher der diffusen Angst vor der RAF als konkreten Gefährdungshinweisen. Die Konsequenz daraus war, dass die Niederlande 1977 trotz aller öffentlichen Kritik an den Haftbedingungen in Westdeutschland ein sehr viel rigideres Haftsystem etablierten, als es in der Bundesrepublik nach über fünf Jahren Protesten noch durchsetzbar gewesen wäre (S. 308).

Einige Fragen bleiben dennoch offen: War die Sympathie-Debatte um die RAF nur eine „Szene-Debatte“ oder ein gesamtgesellschaftliches Phänomen? Warum wird für die staatliche Seite lediglich die Justizstaatssekretärin angeführt, nicht aber die Position der Minister und des Regierungschefs – wollte sich die „große Politik“ nicht mit dem Thema befassen? Da das Buch stark auf Strafe und Gesellschaft abstellt, wäre auch ein Seitenblick auf die theoretischen Debatten der Zeit sinnvoll gewesen, etwa inwieweit Michel Foucaults „Überwachen und Strafen“ (frz. 1975, dt. 1976) in der Sympathisantenszene rezipiert wurde. Insgesamt vermisst man die Vertiefung einiger Kontexte, etwa des wechselhaften Umgangs mit den süd-molukkischen Terroristen, der nur in Nebensätzen erwähnt wird, der generellen Entwicklung der Psychiatrie in den 1970er-Jahren oder der Bedeutung von Sympathisantengruppen etwa in Belgien, Frankreich oder eben auch in der Bundesrepublik.

Pekelder stützt seine Untersuchung vorwiegend auf Unterlagen der ehemaligen Anwälte und Ärzte der RAF, die er teilweise selbst für das Amsterdamer Internationale Institut für Sozialgeschichte (IISG) akquiriert hat, und ergänzt diese durch Zeitzeugeninterviews. Zumindest für deutsche Maßstäbe geht er sehr sparsam mit Textbelegen und weiterführender Literatur um. Für den wissenschaftlichen Leser sehr unhandlich sind die Endnoten; eine Literaturliste gibt es nicht. Auch wenn der Schwerpunkt des Buches auf den Sympathisanten liegt, hätte es möglicherweise noch an Aussagekraft gewonnen, wären auch staatliche Quellen herangezogen worden. Ebenso hätte die Nutzung deutscher Archive den transnationalen Blick auf die Auslieferungsverfahren und die Haftsituation in den Niederlanden abgerundet. Eine ausführlichere Diskussion der Quellenlage wie auch großer Schlüsselbegriffe (Terrorismus, Generationenkonzept, Kalter Krieg, Ölkrise) wäre wünschenswert gewesen. In die Verantwortung des Lektorats fallen störende Kleinigkeiten wie etwa die wortgleiche Dopplung von Textstellen (S. 282), falsche Daten (S. 48), mehrere Zitate mit manchmal missverständlichem Herkunftsbeleg und Tippfehler in Internetadressen (S. 358, Anm. 15).

Im Ganzen hat Jacco Pekelder eine sehr überzeugende Studie zu einem bislang weitgehend unbeachteten Themenfeld vorgelegt, die auf Grund vieler neuer Perspektiven und Fragenkomplexe sicher die Grundlage für weitere Arbeiten bilden kann. Es ist zu hoffen, dass bald auch eine deutsche Ausgabe dieses Buches erscheint.

Anmerkungen:
1 Vgl. Pekelder, Jacco, Die Niederlande und die DDR. Bildformung und Beziehungen 1949-1989, Münster 2002; ders.; Boterman, Frits (Hrsg.), Politiek geweld in Duitsland. Denkbeelden en debatten, Amsterdam 2005.
2 Vgl. die Hinweise unter <http://www.zeitgeschichte-online.de/portal/alias__rainbow/lang__de/tabID__40208488/DesktopDefault.aspx>.

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