P. Panayi: Life and Death in a German Town

Cover
Titel
Life and Death in a German Town. Osnabruck from the Weimar Republic to World War II and Beyond


Autor(en)
Panayi, Panikos
Erschienen
London u.a. 2007: I.B. Tauris
Anzahl Seiten
360 S.
Preis
€ 90,55
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Weitkamp, Universität Osnabrück

Die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der selbsternannten „Friedensstadt“ Osnabrück beschränkt sich zumeist auf den in Auschwitz ermordeten Maler Felix Nussbaum sowie den Schriftsteller Erich Maria Remarque. Hinzu gekommen ist in jüngster Zeit der umstrittene Judenretter Hans Calmeyer, der mit posthumen Ehren bedacht wird. Abseits dieser prominenten Söhne der Stadt wird die Aufarbeitung der NS-Zeit vielfach privat getragenen Vereinen engagierter Bürger überlassen.

Umso wertvoller erscheint die 2007 erschienene Studie des Leicester Professors Panikos Panayis, die aus einem längeren Aufenthalt am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien an der Universität Osnabrück resultiert. Als zentrale Zielsetzung des Buches sollen die Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Alltagsleben ethnischer Gruppen in Osnabrück von 1929 bis 1949 beschrieben werden, wozu der Migrationswissenschaftler insbesondere die Erfahrungen von christlichen und jüdischen Deutschen, Flüchtlingen, Sinti und Roma sowie Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen untersuchen möchte. Vielversprechend ist dabei der zeitliche Rahmen der Untersuchung, der nicht – wie oft üblich – auf die Zeit des Dritten Reiches beschränkt bleibt, sondern bewusst den Bogen schlägt von der Krise der Weimarer Republik bis in die ersten Nachkriegsjahre. Panayi begründet dies damit, dass alle genannten Gruppen in dem angegeben Zeitrahmen enormen Umbrüchen und Transformationen im Individuellen wie im Gesellschaftlichen ausgesetzt waren. Nichtsdestotrotz ist der Epoche des Nationalsozialismus der größte Teil des Textes gewidmet.

Panayi verfolgt weniger eine dezidiert wissenschaftliche Fragestellung als vielmehr eine Darstellung der Ereignisse. Dies mag in mancher Hinsicht ein Manko sein, aber es ist zu erwähnen, dass die Studie Pioniercharakter hat, da ein umfassendes Werk zu Osnabrück im Nationalsozialismus bislang noch aussteht. An diesem Desiderat können auch die jüngst erschienene Stadtgeschichte und die Vielzahl von Publikationen mit zumeist speziellen Themen nichts ändern, zumal letztere nicht immer wissenschaftlichen Ansprüchen genügen.

Panayi verortet seine Studie in der Alltagsgeschichtsschreibung und sieht sich in der Tradition von Detlev J.K. Peukert und Robert Gellately. Vor der Frage, wie sich im Fokus der Stadt nationale Ereignisse im lokalen Rahmen abbildeten, möchte Panayi eine Fallstudie entwerfen, wie sich das Leben in einer deutschen mittelgroßen Stadt in den genannten zwei Dezennien abspielte. Warum gerade Osnabrück im Zentrum eines solchen Vorhabens steht, begründet Panayi damit, dass die Stadt eine gemischt konfessionelle Bevölkerung aufweise und verhältnismäßig isoliert liege. Die nächsten Nachbarstädte Münster und Bielefeld seien jeweils gute 50 Kilometer entfernt. Vollkommen überzeugen können seine Ausführungen hierzu nicht.

Das Buch ist in drei Hauptkapitel unterteilt, wobei sich Panayi dafür entschieden hat, seine zu behandelnden Gruppen nacheinander zu untersuchen. Der erste Teil ist eine allgemeine Einführung in die Geschichte der Stadt, die Zeit der Weltwirtschaftskrise und den Aufstieg der Nationalsozialisten. Nach den relativ ruhigen 1920er-Jahren „nazifizierte“ sich Osnabrück zu Beginn der 1930er-Jahre recht schnell und lag damit vollauf im reichsweiten Trend.

Der zweite Abschnitt behandelt die ethnischen Majoritäten, also die christlichen Deutschen und die Lebensbedingungen in den 1930er-Jahren, im Krieg und in den ersten Friedensjahren. Hierbei wird auch auf die deutschen Flüchtlinge eingegangen, die die Stadt in großer Zahl aufnahm. Obwohl Panayi bereits einschlägig über Nationalsozialismus und Weimarer Republik publiziert hat, ergeben sich doch stellenweise kleine Unstimmigkeiten. Zum Beispiel verschränkt er die Organisation von NSDAP und staatlicher Verwaltung, wenn er den Regierungspräsidenten dem Gauleiter unterstellt (S. 53). Die Leiter der lokalen Gestapo werden fälschlicherweise zu Chefs der allgemeinen Osnabrücker Polizei. An anderer Stelle wird ein „ss-report“ genannt (S. 83), der sich bei Quellenprüfung als SD-Bericht herausstellt, was einen kleinen, aber wichtigen Unterschied macht. Das kurze Kapitel zur Anatomie der Osnabrücker NSDAP kann somit leider keine neuen Impulse geben und das bestehende Desiderat zu diesem Thema nicht annähernd beheben.

Den zu Recht konstatierten, relativ schnellen Zusammenbruch eines organisierten Widerstands von links bis Mitte der 1930er-Jahre erklärt Panayi mit der isolierten Lage der Stadt, weswegen sich anders als im Ruhrgebiet oder in Berlin keine resistenten Netzwerke hätten aufbauen können. Hierbei scheint er jedoch die Nähe zu den Niederlanden zu unterschätzen, die bis zum Kriegsbeginn eine wichtige Basis gerade für die KPD bildeten, auch wenn deren Aktionen immer vereinzelter wurden.

Der dritte Teil beschäftigt sich mit den ethnischen Minderheiten, wozu Panayi zunächst die Verfolgung der Juden sowie der Sinti und Roma beschreibt. Dabei ist gerade eine nähere Sicht der Forschung auf die im Dritten Reich rassisch verfolgten „Zigeuner“ bis heute vielfach unterblieben. Ebenfalls wird die Thematik der in der Stadt seit den Kriegsjahren lebenden Zwangsarbeiter und ausländischen Kriegsgefangenen in den Blick genommen.

Panayi hat für sein Buch ein weites Spektrum an Quellen abgesucht und internationale Archive für seine Studie herangezogen. Zudem hat er 26 Zeitzeugeninterviews geführt, von denen aber 21 Gesprächspartner nicht bereit waren, ihre Identität öffentlich zu machen. Auch dies ist ein besonderes Merkmal vieler regionaler Studien. Das Buch enthält drei Karten, 18 Tabellen und einen Sach-, Personen- und Ortsindex, der die Suche wesentlich erleichtert. Die umfangreichen Belege sind allerdings nicht als Fuß-, sondern als Endnoten-Apparat konzipiert, was den Lesefluss und den inhaltlichen Zugang zu den Quellenverweisen unhandlich macht.

Wer sich über die deutsche Alltagsgeschichte zwischen 1929 und 1949 informieren möchte, wird in Panayis Studie kaum überraschend Neues finden. Osnabrück war eben eine ganz und gar durchschnittliche Stadt. Der Erkenntnisgewinn liegt daher stärker in der dargestellten Geschichte der Stadt selbst. Bei aller marginalen Kritik gibt Panayi jedoch einen sehr fundierten, quellengesättigten Überblick über diese Jahre, zu denen bisher kaum etwas Vergleichbares vorliegt.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension