G. Manuwald (Hrsg.): Cicero, Philippics 3–9

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Titel
Cicero, Philippics 3–9. Edited with introduction, translation and commentary. Bd. 1: Introduction, text and translation, references and indexes; Bd. 2: Commentary


Herausgeber
Manuwald, Gesine
Reihe
Texte und Kommentare 30
Erschienen
Berlin u.a. 2007: de Gruyter
Anzahl Seiten
Bd. 1: XVI, 291 S.; Bd. 2: XXIII, 801 S.
Preis
€ 168,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Habermehl, Die griechischen christlichen Schriftsteller, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Die Philippicae sind ein politisches Dokument ersten Ranges, für das man Cicero gerne sämtliche früheren Eitelkeiten nachsieht (o fortunatam natam me consule Romam!). Denn diese Reden (gerade die ungehaltene zweite, die Königin der römischen Invektive) forcieren auf so atemberaubende wie unwiderrufliche Weise den Bruch mit Antonius. Wie bereits den Zeitgenossen klar war, schrieb sich der ergraute Staatsmann mit ihnen das eigene Todesurteil. Und er war bereit, als Märtyrer Roms zu sterben – solange nur das römische Volk die Freiheit zurückerhalte (Phil. 2,119): haec opto […] ut moriens populum Romanum liberum relinquam. Diese eminent anspielungsreichen Schlüsseltexte ohne Hilfsmittel zu lesen, ist ein dorniges Vergnügen. Doch mit solcher Hilfe stand es geraume Zeit nicht zum Besten. Die verdienstvollen Ausgaben von Long (1858), King (1868) und Halm et alii (1905–1913) sind längst in die Jahre gekommen; dies gilt auch für Dennistons historisch ausgerichtete Edition von Phil. 1 und 2 (1926 und öfter). Erst in den 1980er-Jahren und danach erschienen zu einzelnen Reden neue Kommentare, wobei es den Exegeten begreiflicherweise gerade Phil. 2 angetan hat (so etwa J.T. Ramsey, Phil. 1/2, 2003).

An eine umfassende Gesamtausgabe, die den Text auf allen Ebenen erschließt – von der Überlieferung und Textkonstitution über die prosopographischen, historischen, politischen Realien bis hin zu rhetorischer Strategie und literarischer Technik –, hat sich lange niemand gewagt. Eine solche substantielle Teiledition der Philippicae legt nun die junge Freiburger Philologin Gesine Manuwald vor, die sich bereits mit Beiträgen unter anderem zu Valerius Flaccus, Pacuvius und zur römischen Tragödie einen Namen gemacht hat. Entsprechend gespannt nimmt man die beiden gewichtigen Bände zur Hand – und die Erwartungen werden (soviel sei vorab verraten) alles andere als enttäuscht.

Der erste Band enthält auf gut 360 Seiten eine Einführung, Text und Übersetzung, Bibliographie und Indizes. Die Einführung (im Umfang einer kleinen Monographie) beginnt klassisch mit einem Abriss der Forschungsgeschichte. Eine Skizze der politischen Turbulenzen nach Caesars Ermordung liefert den Hintergrund, vor dem die einzelnen Philippicae jeweils historisch exakt verortet werden (willkommen ist die begleitende Prosopographie zum Personal der Reden). Erörtert wird ferner der (von Cicero selbst stammende) Titel der Philippicae, aber auch Architektur und Publikationsgeschichte des Corpus. Ausführlich geht Manuwald auf Ciceros politische Ziele ein und legt dar, wie er sein rhetorisches Rüstzeug (bis hin zu clausulae und Attizismen) für diese Ziele mobilisiert. Wir lesen, warum Cicero Antonius als den entscheidenden Feind der res publica ausmacht (und entsprechend plakativ, ja verzerrt porträtiert), welche Vorbehalte er hinter den Kulissen Octavian gegenüber hegte, den die Philippicae beinahe zum gottgesandten Retter Roms verklären, aber auch, welches Bild Cicero in dem Zyklus von sich selbst entwirft. Zuletzt folgt ein Ausblick auf die reiche Wirkungsgeschichte der Philippicae, die im Kielwasser der Rhetorikschulen – der kleine Nachtrag sei gestattet – sogar den lateinischen Roman erreichen (zu Phil. 2,44 vgl. Petron. 81,5).

Der eklektische Lesetext und sein kritischer Apparat basieren auf den maßgeblichen Ausgaben von Clark, Shackleton Bailey und Fedeli (alle relevanten Abweichungen verzeichnet eine Synopse; wie umsichtig Manuwald auch verlockende moderne Konjekturen wägt und im Zweifelsfall zugunsten der Überlieferung verwirft, verrät etwa S. 392 zu Phil. 3,19). Ein paar Sätze zur Rolle Norditaliens und Nordfrankreichs in karolingischer Zeit oder über den philologischen Beitrag so grundverschiedener Gelehrter wie Sedulius Scottus, Poggio oder Petrarca zur Überlieferungsgeschichte der Philippicae hätten den Vorspann zum Text abgerundet. Doch darüber kann man sich auch anderen Orts informieren.

Den entscheidenden Part des Werkes machen die weit über 700 Seiten Kommentar aus, die laut Manuwalds ehrgeizigem Programm alle Themen abdecken, die für das Verständnis der Reden von Belang sind: historische, literarische und rhetorische. Inwieweit dies gelungen ist, mag stellvertretend ein Blick auf Phil. 3 belegen: Gut 20 Seiten Einführung gehen auf den politischen Stellenwert sowie die geschichtlichen Hintergründe der Rede ein; eine einleuchtende Analyse erschließt ihre Struktur. Es folgen knapp 150 Seiten Zeilenkommentar (auf je eine Seite Teubnertext kommen also gut zehn Seiten Glossen), wobei Manuwald neuen Sinnabschnitten jeweils hilfreiche kleine Einleitungen aus Paraphrase, Realien und Exegese voranstellt. Den roten Faden ihrer Anmerkungen bildet die Diskussion der politischen Gegebenheiten, die der Rede zugrunde liegen. Auch Realien jeder Couleur weiß Manuwald zu würdigen, so etwa zu § 14 das fatale Ritual des fustuarium, zu § 15 die hitzige Diskussion um Octavians Abstammung, zu § 16 den so kurzweiligen wie kostspieligen Spleen eines alten Herrn, zu § 17 die komplizierten Familienverhältnisse im Hause Antonius, zu § 19 putative Mordanschläge, zu § 23 widerrechtliche Machenschaften im Vorfeld einer Senatsversammlung oder zu § 24 die Auslosung prätorianischer Provinzen. Ein kleiner Nachtrag zu § 10 (huius domi inter quasilla pendebatur aurum, numerabatur pecunia) sei erlaubt: einen ähnlich nonchalanten Umgang mit Gold kennt auch der Roman (vgl. Petron. 30,9 dispensatorem […] in oecario aureos numerantem eqs.). Und ist mit einem langen Katalog antiker Belegstellen zu Antonius’ angeblichem Alkoholismus (§ 12) alles gesagt?

Die Präzision im Kleinen bewährt sich auch in größeren Zusammenhängen. So wird beispielsweise die Schlüsselszene an den Lupercalia 44 v.Chr. analysiert (§ 12; wie Manuwald persönlich Antonius’ Übergriff deutet, verrät sie freilich nicht) oder die rhetorische Strategie, mit der Cicero Brutus vereinnahmt (§§ 8–12): quasi unausweichlich schreibt der historische Präzedenzfall dem Träger eines großen Namens seine Rolle als Tyrannenmörder vor. Auch für die philologischen Facetten der Rede hat Manuwald ein waches Auge. Kaum ein Stilmittel oder Wortspiel entgeht ihr (vgl. z.B. zu § 22 ex oratore arator; Erwähnung verdienten mitunter auch Kleinigkeiten wie der paradoxe Zungenschlag § 2 mea festinatio […] avida est […] celeritatis, oder § 24 die m.W. singuläre Junktur vitatio oculorum). Mustergültig erschlossen wird Ciceros boshaftes Spiel mit einigen verunglückten bon mots (sententiolae) des Antonius (§ 22). Grammatisch schwierige Konstruktionen werden zumindest summarisch aufgedröselt (z.B. § 24 Anfang); knapp skizziert wird die komplexe Syntax formeller Anträge im Senat (§§ 37–39; vgl. S. 452) – was nebenbei belegt, dass Erstsemester mit wenig Cicero-Erfahrung nicht eben zum primären Zielpublikum dieser Arbeit zählen.

Kurzum: Manuwald gibt dem Benutzer eine (mitunter erschlagende) Fülle abgewogener und ausgereifter Informationen an die Hand, die die Lektüre auf Schritt und Tritt befördern. Ihre grandiose Leistung lehrt uns einen großen Text besser, und mitunter neu zu lesen. Nicht nur Bewunderer des Marcus Tullius werden es ihr danken.

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