C. Nonn: Das 19. und 20. Jahrhundert

Titel
Das 19. und 20. Jahrhundert.


Autor(en)
Nonn, Christoph
Reihe
Orientierung und Geschichte
Erschienen
Paderborn 2007: UTB
Anzahl Seiten
252 S., 68 Abb.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Großmann, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Universität des Saarlandes

Einführungen in das Studium der Geschichte oder in einzelne Großepochen der Geschichtswissenschaft stellen den Historiker vor besondere Herausforderungen. Einerseits sollen einem breiten Publikum ohne größere Vorkenntnisse komplexe Sachverhalte und Zusammenhänge in möglichst einfacher Sprache und in ebenso übersichtlicher wie knapper Form vermittelt werden. Das erfordert schriftstellerische Begabung, Talent zur Synthese und gegebenenfalls auch „Mut zur Lücke“ (S. 8). Andererseits muss auch und gerade einführende Literatur den Ansprüchen der Fachwelt gerecht werden, bleibt doch für die Aussicht auf breite Rezeption und wirtschaftlichen Erfolg eines Handbuchs in erster Linie das Urteil von Historikern maßgebend, die beäugen und bewerten, rezensieren und kritisieren, empfehlen oder verwerfen.

Um es vorwegzunehmen: Mit seiner Einführung in „Das 19. und 20. Jahrhundert“ ist Christoph Nonn dieser Spagat zwischen Leserfreundlichkeit und wissenschaftlichem Anspruch recht gut gelungen. Ein Vergleich mit anderen Einführungen1 zeigt, dass es sich hier – anders als der Klappentext vermuten lässt – nicht um eine weitere Einführung in die „Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft“, sondern um einen thematischen Überblick über die Neuere und Neueste Geschichte handelt, wobei Nonn den Schwerpunkt des Bandes letztlich auf das 19. Jahrhundert legt.

Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel mit systematischen Querschnitten durch beide Jahrhunderte. Politik- und gesellschaftsgeschichtliche Fragestellungen werden in gekonnter und gewinnbringender Weise miteinander verknüpft. Die einzelnen Kapitel können dabei durchaus auch getrennt voneinander gelesen werden, denn sie bieten stringente Überblicke zu den wichtigsten Themengebieten der Epoche und bewegen sich dabei durchaus auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes. Die Stärke des Bandes liegt in den ersten drei Kapiteln. Komplexe und auf den ersten Blick wenig konkrete Themenfelder wie „Europäisierung der Welt“, „Industrialisierung“ und „Gesellschaftlicher Wandel“ werden von Nonn mit Leben gefüllt und in einer Anschaulichkeit und Leichtigkeit entfaltet, die man sonst leider meist nur von angelsächsischen Historikern kennt und die so manchen Kollegen mit Neid erfüllen dürfte.

Schwächer sind die Kapitel vier bis sieben. Denn durch seine Fokussierung auf Revolutionen, Ideologien und Nationalismen suggeriert Nonn – möglicherweise ungewollt – dort scharfe Trennungen, wo fließende Übergänge beschrieben werden müssten (z.B. zwischen Sozialismus und Kommunismus, Liberalismus und Demokratie, Konservatismus und Faschismus) und lässt gleichzeitig ganze Themenbereiche außer acht, die sich eben nicht oder nur schwerlich unter die genannten Kategorien fassen lassen. Diese Feststellung gilt insbesondere für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, die denn auch wesentlich knapper behandelt wird als das „lange 19. Jahrhundert“ und letztlich insgesamt zu kurz kommt. Dass ein derzeit international so heftig diskutiertes Thema wie die sozialrevolutionären Umbrüche der 1960er-Jahre praktisch nicht erwähnt wird, sei symptomatisch als ein Beispiel unter mehreren genannt.

Die einzelnen Kapitel sind übersichtlich aufgebaut und verständlich gegliedert. Am Ende jedes Kapitels findet der Leser einige Literaturangaben, die sehr knapp gehalten sind und meist nur auf Aufsätze oder kurze Abschnitte aus entsprechenden Gesamtdarstellungen verweisen. Dass Nonn auch hier dem Einführungscharakter des Buches treu bleibt und der Übersichtlichkeit Vorrang vor einem – sowieso nicht einlösbaren – Vollständigkeitsanspruch einräumt, ist lobenswert. Eine ebenfalls kurz gefasste Liste mit allgemeinen Literaturhinweisen beschränkt sich auf Einführungswerke, Handbuchreihen und „herausragende Einzeldarstellungen“ (S. 242-245). Deren Auswahl kann zwar sicherlich hinterfragt werden.2 Aus der Perspektive eines Studienanfängers scheint es jedoch hilfreicher, auf einige wenige, dafür aber verlässliche Titel verwiesen zu werden als auf ein unüberschaubares Angebot von Spezialliteratur.

Nachvollziehbar ist der Entschluss, auf einen umfangreichen Anmerkungsapparat zu verzichten. Warum und nach welchem System dann doch insgesamt zwölf Endnoten gesetzt werden, bleibt ein Geheimnis des Autors. Andererseits würde man sich an einigen Stellen durchaus Hinweise darauf wünschen, wer nun namentlich die Vertreter bestimmter, von Nonn diskutierter Thesen sind.3 Hilfreich ist hingegen das Prinzip, die Suche nach bestimmten Themen und Thesen durch Stichworte am Rand des Haupttextes zu erleichtern. Ein knappes Orts-, Namens- und Sachregister ergänzt den Band.

Wohl eher dem Lektorat und den Drucksetzern als dem Autor zum Vorwurf gemacht werden müssen schlampige Zeilenumbrüche, bei denen Zahlen mit hartnäckiger Konsequenz von den zugehörigen Substantiven getrennt werden, und das oft wenig gediegene Layout von Schaubildern und Karten. Eher lästig als hilfreich sind kleine Schaukästchen mit vermeintlichen Definitionen zentraler Begrifflichkeiten (z.B. S. 36, S. 49 oder S. 99). Hier wird die eigentliche Stärke des Buches – nämlich die Zusammenfassung komplexer Sachzusammenhänge in knappen aber eben gerade nicht entstellenden Formulierungen – ins Gegenteil verkehrt. Erfreulich ist, dass Nonn die zahlreichen und klug gewählten Abbildungen nicht nur zu Illustrationszwecken verwendet, sondern explizit in seine Argumentation mit einbezieht. Das einzige Bild, das unerklärt bleibt, ist eine Fotografie des sich im Bau befindlichen Eiffelturms auf dem Buchumschlag.

Genau das kann jedoch als symbolischer Verweis auf meine Hauptkritik an diesem Buch gedeutet werden. Zwar konzipiert Nonn den Band bewusst und zu Recht als Überblicksdarstellung zur europäischen Geschichte und hebt sich dadurch wohltuend von anderen Einführungswerken ab.4 Umso auffälliger ist jedoch, dass die französische Forschung im Gegensatz zur angelsächsischen von Nonn praktisch gar nicht rezipiert wird. So findet sich in den weiterführenden Literaturangaben zu den einzelnen Kapiteln lediglich ein einziger – in einem deutschen Handbuch erschienener – Aufsatz aus französischer Feder. Die ausgewählten Literaturverweise am Ende des Buches nennen gar keinen französischen Autor. Dabei hätte beispielsweise ein Blick in François Furets „Le passé d’une illusion“ das Kapitel über den Kommunismus um eine entscheidende Komponente bereichern können – nämlich die Frage, warum auch in Westeuropa überraschend viele Menschen Sympathien für die marxistische Philosophie und den sozialistischen Weg in die Moderne hegten.5 Die Vernachlässigung einer gerade im 20. Jahrhundert sehr wirkungsmächtigen geschichtswissenschaftlichen Forschungstradition kann dabei nicht nur mit dem Verweis auf womöglich fehlende Sprachkenntnisse der potentiellen Leserschaft entschuldigt werden – zumal wichtige Werke französischer Historiker längst in deutscher Übersetzung vorliegen.

Ein zweiter größerer Kritikpunkt richtet sich gegen die Neigung Nonns, problematische und inhaltlich fragwürdige Begrifflichkeiten wie „Humankapital“ (S. 51), „real existierender Sozialismus“ (S. 62), „Erbfeindschaft“ (S. 228) oder „ethnische Säuberung“ (S. 219-227) losgelöst von ihrem direkten zeitlichen und thematischen Bezug als historische Analysekategorien zu verwenden. Zwar werden diese Begriffe – zumindest in den meisten Fällen – in Anführungszeichen gesetzt, was den Autor jedoch nicht von der Pflicht entbindet, sie zu erklären und in angemessener Weise zu problematisieren.

Das Fazit fällt dennoch positiv aus. Wer eine gute und leicht lesbare thematische Einführung zur Neueren und Neuesten Geschichte und insbesondere zum 19. Jahrhundert sucht, ist mit diesem Buch gut beraten. Vor allem Studienanfänger, an die sich dieser Band in erster Linie richtet, werden Christoph Nonn seine Gabe zur pointierten Zusammenfassung komplexer Sachzusammenhänge danken. Die genannten Kritikpunkte können dann ja in einer zweiten Auflage ausgeräumt werden – die man dem Autor guten Gewissens wünschen kann.

Anmerkungen:
1 Die beste Einführung in Theorie und Methoden der Neueren Geschichte bieten nach wie vor Opgenoorth, Ernst; Schulz, Günther, Einführung in das Studium der Neueren Geschichte, 6., völlig überarb. Auflage, Stuttgart 2001. Speziell zum 20. Jahrhundert sei verwiesen auf die geglückte thematisch-methodische Einführung von Metzler, Gabriele, Einführung in das Studium der Zeitgeschichte, Paderborn 2004 (rezensiert u.a. von Jan-Holger Kirsch: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-1-011>). Ein repräsentativer Querschnitt durch die aktuellere geschichtswissenschaftliche Einführungsliteratur findet sich in: sehepunkte 7 (2007), 7/8, <http://www.sehepunkte.de/2007/07/index.html>.
2 Insbesondere drängt sich die Frage auf, warum von den neun ausgewählten Überblicksdarstellungen sieben aus britischer oder amerikanischer Feder stammen und warum die verbleibenden zwei Werke deutscher Autoren an dieser Stelle angeführt und nicht unter die Kategorie „Einführungen“ gefasst wurden – es handelt sich um die bereits zitierte Einführung von Gabriele Metzler und den etwas heterogenen Band von Möller, Horst; Wengst, Udo (Hrsg.), Einführung in die Zeitgeschichte, München 2003 (rezensiert u.a. von Thomas Angerer: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-4-001>).
3 So wird beispielsweise die Rede von einem „langen 19. Jahrhundert“ inzwischen jedem Neuzeithistoriker geläufig sein. Umso wichtiger wäre es deshalb, Studierende darauf hinzuweisen, um wessen Begriffsschöpfung es sich dabei handelt.
4 Vgl. als Gegenbeispiel: Möller; Wengst, Einführung.
5 Furet, François, Le passé d’une illusion. Essai sur l’idée communiste au XXe siècle, Paris 1995. Das Buch ist auch in deutscher Übersetzung erschienen unter dem Titel: Das Ende der Illusion. Der Kommunismus im 20. Jahrhundert, München 1996.

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