L. Eiber u.a. (Hrsg.): Dachauer Prozesse

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Titel
Dachauer Prozesse. NS-Verbrechen vor amerikanischen Militärgerichten in Dachau 1945-1948. Verfahren, Ergebnisse, Nachwirkungen


Herausgeber
Eiber, Ludwig; Sigel, Robert
Reihe
Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte 7
Erschienen
Göttingen 2007: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 20,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Löffelsender, Universität zu Köln

Der Band versammelt in zwölf Aufsätzen die um einige Beiträge angereicherten Ergebnisse des 7. Dachauer Symposiums zur Zeitgeschichte, das die Dachauer Prozesse zum Thema hatte.1 Während etwa zum Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess und den Nürnberger Nachfolgeprozessen eine umfangreiche Literatur vorliegt, sind die bisherigen Forschungserträge zu den Verfahren vor amerikanischen Militärgerichten in Dachau sehr überschaubar. Umso begrüßenswerter ist das Vorhaben, sich diesem Komplex in einer Reihe von Beiträgen anzunähern. In insgesamt 489 Prozessen wurden zwischen 1945 und 1948 vor amerikanischen Militärgerichten auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau und somit an symbolträchtiger Stätte NS-Verbrechen strafrechtlich aufgearbeitet.

Die Herausgeber betonen in einer knappen Einführung, dass der Band die Prozesse nicht in ihrer Gesamtheit thematisiert, sondern sich auf die so genannten Konzentrationslagerprozesse beschränkt. Diese bezogen sich auf Verbrechen in den KZ Dachau, Mauthausen, Flossenbürg, Mühldorf, Buchenwald und Mittelbau-Dora. Eine solche Fokussierung ist angesichts der großen Zahl der in Dachau verhandelten, inhaltlich heterogenen Verfahren sinnvoll und angebracht, zumal sich mit Blick auf die bisherigen Untersuchungen bereits auf dem ausgewählten Gebiet eine Vielzahl von Desiderata ausmachen lässt. Bedauerlich ist allerdings, dass von den Konzentrationslagerprozessen wiederum nur eine Auswahl betrachtet wird, nämlich die Prozesse zu den KZ Dachau, Buchenwald und Mauthausen. Die Verfahren zu den KZ Flossenbürg, Mühldorf und Mittelbau-Dora, die in der Historiographie bis dato nur peripher behandelt wurden, bleiben auch hier außen vor, was die Herausgeber unter anderem mit fehlenden Vorarbeiten zu diesen Prozessen begründen.2

Ludwig Eiber gibt einführend einen fundierten Überblick zu den Verbrechen im KZ Dachau und verweist somit exemplarisch auf die Verbrechensdimensionen, mit denen sich die alliierten Strafverfolgungsbehörden nach dem Krieg konfrontiert sahen. Eine Einordnung der Dachauer Prozesse in den größeren Kontext der (west)alliierten Kriegsverbrechensahndung leistet Wolfgang Form, indem er den Blick auf die Genese der Kriegsverbrecherprozesse richtet.

Den Bogen zu den Dachauer Prozessen spannen die Beiträge von Robert Sigel und Gabriele Hammermann. Während Sigel die Reaktion der deutschen Öffentlichkeit auf die Prozesse reflektiert, beleuchtet Hammermann die Verteidigungsstrategien der Angeklagten und der im Dachauer Internierungslager Inhaftierten. Hierbei sind deutliche Parallelen erkennbar: Versuche, das strafrechtliche Vorgehen der Amerikaner zu diskreditieren und als „Siegerjustiz“ zu brandmarken, sowie eine Schlussstrichmentalität auf der einen Seite, die Tendenz zur Selbstviktimisierung auf der anderen Seite waren wesentliche Reaktionen auf die Dachauer Kriegsverbrecherprozesse.

Neben der Skizzierung der verfahrens- und materiellrechtlichen Hintergründe der Dachauer Prozesse konstatiert Michael Bryant für die Verfahren zum KZ Dachau „einen allgemeinen Trend hin zu milderen Urteilen“ (S. 121) – eine Tendenz, die sich für alle Dachauer KZ-Prozesse durchaus generalisieren lässt. Wie bei vielen späteren Prozessen habe auch bereits in Dachau die weltpolitische Lage als zentraler Einflussfaktor auf die Intensität der strafrechtlichen Ahndung von Kriegsverbrechen gewirkt, so Bryants überzeugende Schlussfolgerung.

Etwas isoliert wirkt der Beitrag von Angelika Ebbinghaus und Karl Heinz Roth, die sich aus wissenschafts- und rechtshistorischer Perspektive den medizinischen Menschenversuchen im KZ Dachau widmen. Im Fokus stehen hier nicht die Dachauer Prozesse, sondern der Nürnberger Ärzteprozess der Jahre 1946/47, der als Ausgangsbasis für eine detaillierte Rekonstruktion der Versuchsabläufe dient.

Den Schwächen des amerikanischen War Crimes Program geht Katrin Greiser anhand des Buchenwald-Prozesses nach. Sie markiert drei Kritikpunkte: Erstens habe es den Ermittlern und dem Gericht aufgrund des Zeitmangels an detaillierten Kenntnissen über die Vorgänge und Strukturen des NS-Systems gefehlt. Zweitens seien die Urteilssprüche durch die folgenden Überprüfungsverfahren relativiert worden. Drittens müsse ein Scheitern der amerikanischen Zielsetzung konstatiert werden, aufklärend im Sinne einer Reeducation der deutschen Bevölkerung zu wirken.

Einsetzend mit einer prägnanten Schilderung des Dachauer Mauthausen-Prozesses von 1946 liefert Bertrand Perz einen Überblick zu den vor alliierten, österreichischen, deutschen Gerichten und Tribunalen anderer Länder geführten Prozessen zu Verbrechen im KZ-Komplex Mauthausen. Sein Fazit zum Mauthausen-Prozess in Dachau bestätigt die bereits von Bryant und Greiser betonten generellen Züge der KZ-Prozesse. Darüber hinaus betont Perz jedoch die spezifische Wirkung des Mauthausen-Verfahrens auf die österreichische Nachkriegsgesellschaft. Die Tatsache, dass die Verbrechen in Dachau und somit außerhalb Österreichs verhandelt wurden, habe den Verdrängungsmechanismus verstärkt, die NS-Verbrechen primär als ein deutsches und nicht als ein österreichisches Problem aufzufassen.

Die folgenden vier Beiträge gehen über die Geschehnisse vor den Dachauer Tribunalen hinaus; aus unterschiedlichen Perspektiven richten sie den Blick auf das Themenfeld Kriegsverbrecher- und NS-Prozesse. Elisabeth Thalhofer widmet sich der Aufarbeitung deutscher Kriegsverbrechen durch französische Militärtribunale in Rastatt. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf den Bezügen zwischen der dortigen Rechtsprechung und jener in Dachau. Dieser lohnende methodische Ansatz bringt viele interessante Ergebnisse zu Tage. Sowohl argumentativ als auch juristisch bildeten die Dachauer Prozesse einen Referenzpunkt und „wichtigen Impulsgeber“ (S. 205) für die Verfahren in Rastatt. Edith Raim rekonstruiert die westdeutschen Ermittlungen und Prozesse zu Verbrechen im KZ Dachau, während Claudia Kuretsidis-Haider in ihrem Aufsatz wiederum den Blick auf Österreich richtet und österreichische Prozesse zu Verbrechen in Konzentrations- und Vernichtungslagern im Überblick darstellt. Unter dem Titel „Von Dachau nach Den Haag“ beschreibt Christine Hess abschließend aus juristischer Perspektive die Entwicklung der völkerrechtlichen Ahndung von Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen bis in die Gegenwart. Die von Hess durch den Titel nahegelegte Entwicklungslinie wirkt jedoch konstruiert. Den entscheidenden Ausgangspunkt stellte der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess dar, was Hess in ihren Ausführungen selbst einräumt.

Wenngleich die Einzelbeiträge mehrheitlich überzeugen, mangelt es dem Sammelband insgesamt doch an Kohärenz. Eine übergreifende Fragestellung bzw. inhaltliche Leitlinie fehlt. Die von den Herausgebern einleitend betonte Fokussierung auf die KZ-Prozesse wird in den Beiträgen nicht durchgehalten. Lediglich fünf der zwölf Aufsätze befassen sich explizit mit den Dachauer Prozessen. Insofern führt der Buchtitel etwas in die Irre.

Mit Blick auf die bisherigen Forschungsergebnisse zu den Dachauer Prozessen liefern die Beiträge nur punktuell neue Erkenntnisse. Komparative Ansätze hätten weiterführende Ergebnisse zeitigen können. Übergreifende und vergleichende Analysen mehrerer Dachauer Prozesse zu unterschiedlichen Konzentrationslagern etwa könnten noch stärker Parallelen, Charakteristika und Unterschiede der jeweiligen KZ-Prozesse herausarbeiten. Vielleicht sind solche synthetisierenden Ansätze aber auch erst Aufgabe zukünftiger Forschungen zu den Dachauer Prozessen. Dafür bietet der Sammelband zahlreiche interessante Anknüpfungspunkte. So ist das Vorhaben zu begrüßen, die Dachauer Prozesse in einem breiteren historischen Kontext zu verorten. Vor allem Elisabeth Thalhofers Beitrag weist hier zukünftigen Forschungen den Weg, indem sie nach Wechselwirkungen zwischen den Dachauer und anderen Prozessen fragt. Lohnend erscheint es in diesem Kontext vor allem, die Dachauer Prozesse mit den KZ-Prozessen der übrigen Alliierten zu vergleichen. Zu denken wäre hier beispielsweise an die britischen Prozesse zu den KZ Bergen-Belsen, Neuengamme und Ravensbrück oder aber an den sowjetischen Sachsenhausen-Prozess.

Insgesamt stellt der Sammelband keineswegs den Schlusspunkt der historiographischen Analyse der Dachauer Prozesse dar. Wer sich erstmalig mit diesem Komplex beschäftigt, findet hier die um einige Aspekte ergänzten bisherigen Forschungsergebnisse in komprimierter Form vor. Dies ist für einen schnellen Zugriff durchaus positiv zu bewerten. Der informierte Leser hingegen mag ein wenig enttäuscht sein. Vor allem für die Prozesse zu den KZ Mühldorf und Mittelbau-Dora befindet sich die Forschung weiterhin im Anfangsstadium.

Anmerkungen:
1 Siehe auch den Bericht von Felizitas Raith: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1586>.
2 Vgl. aber etwa zum Flossenbürg-Prozess Schlaffer, Rudolf, GeRechte Sühne? Das Konzentrationslager Flossenbürg. Möglichkeiten und Grenzen der nationalen und internationalen Strafverfolgung von NS-Verbrechen, Hamburg 2001, S. 47-87.

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