R. Johannsen: Friedrich Wilhelm IV.

Titel
Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Von Borneo nach Rom. Sanssouci und die Residenzprojekte 1814 bis 1848


Autor(en)
Johannsen, Rolf
Erschienen
Kiel 2007: Verlag Ludwig
Anzahl Seiten
352 S., 159 Abb.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marc Schalenberg, Universität Zürich

Das 19. Jahrhundert war nicht nur ein bürgerliches, sondern auch ein monarchisches Jahrhundert, wie die jüngere historische Forschung zunehmend herausarbeitet. Die spezifische Dialektik aus „Restauration“ und Modernisierung, gerade auch in medialer Hinsicht, die seit 1814/15 in weiten Teilen Europas einsetzte, bescherte den Monarchen eine durchaus zeitgemäß auszulegende Definitionsmacht. Einen greifbaren Ausdruck als räumlich-bauliche Manifestation von Herrschaftsvorstellungen fand sie in neu errichteten, umgestalteten oder auch nur geplanten Residenzen. Hier wäre ein ideales Feld für interdisziplinäre Zusammenarbeit gegeben, doch anders als für frühere Epochen verlaufen die Forschungen zum 19. Jahrhundert von (Politik-, Sozial- oder Kultur-)Historikern auf der einen und Kunsthistorikern auf der anderen Seite bisher leider weitgehend unverbunden nebeneinander her. Wie fruchtbar der gegenseitige Austausch sein könnte, offenbart – in ihren Stärken wie in ihren Auslassungen – auch die zu besprechende Kieler Dissertation des Architekturhistorikers Rolf H. Johannsen.

Auf die Person Friedrich Wilhelms IV. von Preußen konzentriert, der sich seit früher Kindheit für Zeichnungen und Architektur begeisterte, zeigt die Studie exemplarisch, dass bei einer derartigen Veranlagung die angenommene Verantwortung für den „Aufbau“ des Staates und einzelner paradigmatischer Gebäude(anlagen) eng zusammenhängen können. Johannsen legt seine Untersuchung de facto als intellektuelle Biographie des preußischen Kronprinzen und Königs an und ordnet die dargestellten Bauprojekte – die verwirklichten wie die lediglich geplanten – weitgehend chronologisch an. Große Bedeutung misst er den Begegnungen seines Protagonisten mit dem Pariser Architekten Fontaine 1814/15 zu, unter anderem Verfasser der Entwürfe für den napoleonischen Palais du Roi de Rome am Hügel von Chaillot (dem späteren Trocadéro), der dem jungen Thronfolger noch vor Schinkel die entscheidenden Impulse für seine Residenzprojekte gegeben habe, allen voran für das auf dem Tornow geplante Belriguardo. Noch umfassender und mit „Manifestcharakter“ (S. 249) seien die Idealvorstellungen des Prinzen in der von ihm selbst kurz darauf verfassten, Anfang 1817 abgeschlossenen Erzählung „Die Königin von Borneo“ enthalten; seine Maßnahmen zur Umgestaltung des Schlossparks von Sanssouci seien mindestens bis zu seinem Romaufenthalt, aber auch noch darüber hinaus in dieser kaum verklausulierten literarischen Vision einer idealen Stadt bzw. Residenz angelegt gewesen.1 Erst in den 1840er-Jahren gewännen die Orientierung am antiken Rom im Denken und baupolitischen Handeln des Königs endgültig die Oberhand.

Als Zwischenetappe werden die Umgestaltung von Charlottenhof seit 1826 und die drei großen Residenzprojekte der 1830er-Jahre gedeutet: die Palastanlagen für die Akropolis in Athen, der Hauptstadt des neuen, bayerisch-griechischen Königtums, Orianda auf der russischen Krim, sowie die wiederum ideal konzipierte, landschaftlich unkonkrete „Residenz eines Fürsten“. Zu allen dreien legte Friedrich Wilhelm, in enger Zusammenarbeit mit Schinkel, eigene Zeichnungen vor. Hier wäre jedoch nachzufragen, ob die Vorschläge für befreundete Monarchen umstandslos mit denjenigen für das eigene Königreich in eine Linie zu stellen sind. Vielleicht allzu deutlich geht der Blick des Verfassers durch die fürstliche Brille, auch bezüglich der Frage nach den genauen Anteilen seiner Hauptarchitekten (erst Schinkel, später Persius und Stüler) an den Residenzplanungen, die in ungleichem, freilich auch durch die Quellenlage bedingtem Maße beleuchtet werden.

Ihre eminente Quellennähe ist indes die eigentliche Stärke der Arbeit. Johannsen geht von den in Berlin und Potsdam aufbewahrten Nachlässen aus und erstellt einen „Katalog der datierten und datierbaren Zeichnungen und Skizzen“ Friedrich Wilhelms IV. (S. 312-322), die etwa ein Zehntel der gesamten Überlieferung ausmachen. Den in der Darstellung mitunter zum „Positivismus“ verführenden Ausgang von diesem reichhaltigen grafischen Material, das ausführlich, exakt, aber auch ziemlich technisch beschrieben wird, und die Tendenz zum „Überbelegen“ (1.209 Fußnoten auf 252 Textseiten!) werden vermutlich nicht alle Historiker goutieren, zumal Fragen der Herrschaftspraxis weitgehend ausgeblendet werden. Die im Band reproduzierten, treffend ausgewählten Abbildungen, 159 an der Zahl, sind aber durchweg qualitätvoll und im Verbund mit den Erläuterungen des Autors eine gute Grundlage für weitere, auch im Hinblick auf die politischen Implikationen detailliertere Untersuchungen.

Immerhin angedeutet wird die für das 19. Jahrhundert so prägende Rolle der dynastischen Verbindungen und Konkurrenz für die fürstliche Selbstdarstellung. Friedrich Wilhelm war unter anderem der Schwager des bayerischen und des sächsischen Königs sowie des russischen Zaren, und die seit 1834 nachweisbaren Pläne für ein Friedrichsdenkmal in Sanssouci seien ein direkter Reflex auf Friedrich Wilhelms kurz zuvor in München erworbene Kenntnis der Pläne für die Walhalla (S. 201ff.). Die geschichtspolitischen Entwicklungen seit der Thronbesteigung, die gerade für die Instrumentalisierung Friedrichs des Großen aufschlussreiche, auch an den Planungen für den Schlosspark von Sanssouci ablesbare Veränderungen mit sich brachte, werden ebenfalls thematisiert.2

Johannsen kommt mit der vorliegenden Studie unzweifelhaft das Verdienst zu, den „Baukünstler“ Friedrich Wilhelm in einem neuen, konsistenten und empirisch gesicherten Licht zu sehen, plakativ zugespitzt in der These „von Borneo nach Rom“ für seine persönliche Entwicklung. In einem nächsten, die Biografik transzendierenden Schritt wäre das für Monarchen im 19. Jahrhundert Typische vom Besonderen zu trennen. Warum konzentrierte sich etwa der ebenfalls architekturbegeisterte Ludwig I. von Bayern so viel stärker auf Projekte innerhalb seiner Residenzstadt München (und nicht auf Nymphenburg, Schleißheim oder gar Neuschwanstein)? Inwiefern war königliches Bauen – so wie es die vorliegende Untersuchung nahe legt – hauptsächlich legitimistische Reaktion zur Dokumentation des eigenen Herrschaftsanspruchs und inwiefern, gerade durch den Einbezug führender zeitgenössischer Architekten, auch ein visionäres Instrument räumlicher wie sozialer Ordnung? Und wie wäre die monarchische Baupolitik in zuletzt von der historischen Forschung favorisierte Deutungsmuster wie „Gedächtnisorte“, „symbolische Kommunikation“ oder „Historische Politikforschung“ einzufügen? Das „bürgerliche Zeitalter“ bietet der Residenzenforschung noch viel Raum und manchen (gebauten oder geplanten) Ort zum Nachfragen.

Anmerkungen:
1 Ediert und interpretiert in: Kroll, Frank Lothar (Hrsg.), Friedrich Wilhelm IV. Die Königin von Borneo. Ein Roman, Berlin 1997. Angesichts der weithin akzeptierten Bedeutung dieses Werkes für die Entwicklung des Prinzen erstaunt ein wenig der Nachdruck, mit dem der Autor ein ums andere Mal darauf insistiert. Zum weiteren Kontext: Polaschegg, Andrea, Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert, Berlin u.a. 2005.
2 Hierzu auch: Kohle, Hubertus, Adolph Menzels Friedrich-Bilder. Theorie und Praxis der Geschichtsmalerei im Berlin der 1850er Jahre, München 2001. Ebenfalls unberücksichtigt: Hasenclever, Catharina, Gotisches Mittelalter und Gottesgnadentum in den Zeichnungen Friedrich Wilhelms IV. Herrschaftslegitimierung zwischen Revolution und Restauration, Berlin 2005. Leider hat Johannsen auf eine Aktualisierung des Literaturverzeichnisses zu seiner sieben Jahre zuvor verteidigten Dissertation verzichtet. Die Literatur bis ins Jahr 2001, auch die ältere, ist hingegen sorgfältig ausgewertet, wobei die biografischen Untersuchungen zu Friedrich Wilhelm IV. von Ernst Lewalter (1938) und Ludwig Dehio (1961) besonders stark zu Rate gezogen wurden.