P. M. Coupland: Britannia, Europa and Christendom

Titel
Britannia, Europa and Christendom. British Christians and European Integration


Autor(en)
Coupland, Philip M.
Erschienen
Basingstoke 2007: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
£ 55.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Kunter, Universität Karlsruhe

„Britain was simultaneously in, and outside of, Europe“. (S. 89) Mit diesem kurzen Satz bringt der englische Historiker Philip M. Coupland das zentrale Paradox seines Buches auf den Punkt. Dass sich vor diesem Hintergrund britische Christen trotzdem immer wieder im 20. Jahrhundert für ein vereintes Europa einsetzten, erscheint aus einer kontinentalen Perspektive daher umso erstaunlicher.

Couplands Arbeit entstand im Kontext eines von 2001 bis 2004 durch die Europäische Kommission finanzierten internationalen Forschungsprojektes zu „Churches and European Integration“ unter der Gesamtleitung der Theologischen Fakultät der Universität Helsinki.1 Sie überschreitet jedoch den überwiegend theologisch und kirchenhistorisch orientierten Bezugsrahmen dieses Projektes bei weitem. Denn Coupland liefert zwar auf der einen Seite eine sorgfältige, auf breiten archivalischen Studien beruhende Darstellung des protestantischen, sich bis 1990 unter dem Dach des British Council of Churches vereinigenden institutionellen und persönlichen Europaengagements in Großbritannien seit dem Zweiten Weltkrieg und bietet damit eine Ergänzung und Weiterführung der 1995 erschienenen Studie von Jurjen Zeilstra.2 Zum anderen aber erkundet sein Werk, welche Rolle die Religion, und insbesondere der Protestantismus als „Anti-Katholizismus“, in den modernen „constructions of British national identity“ (S. 133) einnimmt. Inwieweit ist also eine Identifikation mit der Kirche und ein durch die christliche Kultur geprägter Zugang zu Europa ein signifikantes Kennzeichen von „Britishness“ (S. 133) geworden? Die Begriffe des Titels „Britannia, Europa and Christendom“ sind unter dieser Fragestellung als Chiffren nationaler Mythen und narrativer Identität zu verstehen. Damit knüpft Coupland an frühere Arbeiten von Adrian Hastings und Hugh Mc Leod an.3 Und nicht zuletzt regt Coupland zu einer Wiederentdeckung und Auseinandersetzung mit Edward H. Carrs in den 1920er-Jahren einflussreichen historiographischen Unterscheidung zwischen „realistischen“ und „idealistischen“ bzw. „utopischen“ Ansätzen an, die Coupland hier konsequenterweise auf das Christentum bezieht.4

Inhaltlich liegt der Schwerpunkt der Studie auf den 1940er- und den frühen 1950er-Jahren. Schon während der Kriegsjahre spielten Überlegungen zu einem zukünftig föderalen Europa in den Diskussionen britischer Christen, vor allem unter den Mitgliedern der British Churches' Peace Aims Group, eine zentrale Rolle. Der Einsatz und die Einbindung in das politische Establishment von Einzelpersönlichkeiten wie George Bell, dem Bischof von Chichester, William Temple, dem Erzbischof von Canterbury, auf der einen Seite, sowie von den presbyterianischen Theologen William Paton und Joseph Oldham auf der anderen Seite werden dabei überzeugend entfaltet. Nach Kriegsende konnten sich jedoch angesichts der sowjetischen Machtergreifung in Mittel- und Osteuropa die Vertreter des föderalen Gedankens nicht durchsetzen. Der Kontinent sei zu schwach, meinten daher zahlreiche Briten – unter ihnen beispielsweise Paton – und plädierten stattdessen für eine Ausweitung der Anglo-Amerikanischen Allianz (S. 47). Im Gegensatz dazu erhob Bell auch nach dem Krieg konsequent seine Stimme für die europäische Einheit (S. 71).

Aus der politischen Sicht blieben die Kirchen auch nach dem Krieg als Faktor der öffentlichen Meinungsbildung weiterhin wichtig. So betonte Churchill 1946 die nach wie vor besondere Rolle der Kirchen, im eigenen Land wie auch in ganz Europa. Ebenso setzte Außenminister Ernest Bevin auf die Kirchen als den natürlichen Partner im Kampf gegen den Kommunismus. Beiden ging es dabei um die Wiederherstellung der „spiritual unity that was once Western Civilisation and Christendom“ (S. 92), also der politischen und moralischen Stärkung Westeuropas als einer christlichen Alternative zum atheistischen Materialismus (S. 101). In den 1950er-Jahren verhinderten unter anderem protestantische Abwehrhaltungen gegen den Katholizismus ein gemeinsames Eintreten für die europäische Integration. „Catholicism was as much a threat as Communism“, hieß es da etwa (S. 134). Zwar stellte diese Einstellung keine Mehrheitsmeinung dar. Doch unverkennbar ging der gesellschaftliche Einfluss der Kirchen zurück.5 Die sich vollziehende Dekolonisation und die sich dabei entwickelnde globale Perspektive führte nun auch zu einem anderen protestantischen Bewusstsein gegenüber Europa: “We British feel we only belong in a very partial way to Europe. It is not only our island state … It is that our lines have gone out to Canada and Nyasaland, to New Zealand and India every bit as much as across the narrow straits of Dover”, formulierte etwa 1964 der British Council of Churches (S. 138). An diese mentale Veränderung knüpft schließlich das Abschlusskapitel „Christians and the Common Market“ (S. 170-200) an. Dieses enthält ein überaus gelungenes Portrait des bislang nur wenig von der Geschichtsschreibung zur Kenntnis genommenen, aus der Politik in die Kirche gewechselten Noël Salter. Salter, ein leidenschaftlicher Europäer, trug als internationaler Sekretär des British Council of Churches, wie Coupland nachvollziehbar darlegt, entscheidend zur proeuropäischen Orientierung der britischen Politik und Öffentlichkeit bei – die schließlich im EU Beitritt Großbritanniens 1973 und in der positiven Entscheidung im Referendum 1975 mündete. Leider fällt das dem letzten Kapitel vorausgehende Kapitel über „Christendom, Communism and the Division of Europe“ (S. 139-169) gegenüber den anderen instruktiven Kapiteln erheblich ab. Da Coupland nur englische Literatur verarbeitet, finden anderssprachige Forschungsergebnisse, etwa über die Gründung der Konferenz Europäischer Kirchen als einem Beitrag zur Überwindung der Teilung Europas – bei der auch britische Christen eine Rolle spielten – keine Beachtung.6

Von diesem Kritikpunkt jedoch abgesehen hat Coupland eine anregende und elegant geschriebene Geschichte über die Europavisionen britischer Christen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts vorgelegt. Sie belegt nicht nur, dass man auf der britischen Insel in der Vergangenheit manchmal europäischer dachte als zur gleichen Zeit auf dem Kontinent. Sie zeigt auch, dass das immer noch für die unmittelbare Gegenwart gilt: Denn eine vergleichbare deutsche Untersuchung ist bislang noch nicht erschienen.

Anmerkungen:
1 Vgl. die Beiträge des Forschungsprojektes mit weiteren Literaturhinweisen im KZG Themenheft: „Auf der Suche nach den christlichen Beiträgen zur Europäischen Integration – Die politische Rolle der Kirchen“, in: Kirchliche Zeitgeschichte 19 (2006), 1 sowie die zusammenfassende Darstellung von Mc Leod, Hugh; Saarinen, Risto; Lauha, Aila, European Churches. From the Cold War to Globalisation (Publications of the Church Research Institute), Jyväskylä 2006.
2 Zeilstra, Jurjen A., European Unity in Ecumenical Thinking 1937-1948, Zoetermeer 1995.
3 Vgl. Hastings, Adrian, A History of English Christianity, London 1991; ders., The Construction of Nationhood: Ethnicity, Religion and Nationalism, Cambridge 1997; sowie Mc Leod, Hugh, Protestantism and British National Identity, 1815-1945, in: van der Veer, Peter; Lehmann, Hartmut (Hrsg.), Nation und Religion: Perspectives on Europe and Asia, Princeton 1999, S. 43-70.
4 Carr, Edward H., The Twenty Years' Crisis, 1919-1939: An Introduction to the Study of International Relations, London 1939.
5 Vgl. Brown, Callum G., The Death of Christian Britain: Understanding Secularisation, 1800-2000, London 2001.
6Vgl. etwa Greschat, Martin, Der Beitrag des Protestantismus zur Einigung Europas nach 1945, in: ders., Die christliche Mitgift Europas – Traditionen der Zukunft, Stuttgart 2000, S. 145-163; weiterhin auch etwa die Fallstudien bei Greschat, Martin; Loth, Wilfried, Die Christen und die Entstehung der europäischen Gemeinschaft, Stuttgart 1994.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension