S. M. Maul (Hrsg.): Das Gilgamesch Epos

Titel
Das Gilgamesch Epos.


Herausgeber
Maul, Stefan M.
Erschienen
München 2007: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Neef, Sächsische Akademie der Wissenschaften

Mittlerweile etwas länger liegt eine Neubearbeitung des Gilgamesch-Epos durch den Heidelberger Assyriologen Stefan Maul vor, die sich an ein breiteres Publikum richtet. Diese Neuausgabe war insofern vonnöten, als dass zum einen die vormals wissenschaftliche Übersetzung ins Deutsche durch Albert Schott1 nunmehr über sechzig Jahre alt ist (mehrfach durchgesehen und herausgegeben durch Wolfram von Soden bei Reclam) und einiges nun doch veraltet war, und zum anderen eine Fülle neuer Textfunde den Gilgamesch-Korpus erweitert hat – bzw. die Assyriologen einige Textlücken zu füllen imstande waren. Letzteres erlebte einen Quantensprung mit der 2003 erschienenen, zweibändigen kritischen Textedition Andrew Georges2, auf die sich nun auch Stefan Maul als positio ex qua bezieht. Sie spiegelt unangefochten den augenblicklichen Standard unseres Wissens um das Gilgamesch-Epos. Allein, sie ist nur für Fachkundige und Philologen interessant, da George minutiös alle möglichen Textzeugen rezipiert und in einer Partitur aufführt. Das streckt den Text ungemein, außerdem übersetzt er den babylonischen Text ins Englische, was insgesamt den Lesegenuss des deutschsprachigen Lesers bremst. Mauls Ausgabe des Epos füllt also tatsächlich eine Lakune im Bücherschrank des interessierten Lesers – die gebundene Ausgabe verleiht ihr zudem einen ästhetischen Wert (wie erwähnt erschien Schotts Übersetzung als Reclam Ausgabe).3

Formal ist das Buch stark gegliedert: Nach einer kurzen Einleitung, die eigentlich nur zu kurz und unausführlich sein kann (dazu sind das Thema, die Forschungsgeschichte und die neuzeitliche Wirkungsgeschichte des Epos viel zu komplex), werden kurze Zusammenfassungen der zwölf Teile (das heißt Tafeln) des Epos gegeben. Es folgen die metrische Übersetzung und der Kommentar in Endnoten; die Übersetzung selbst nimmt den bei Weitem größten Teil des Buches ein. Diese Dreiteilung zeitigt allerdings einige kleinere Schwierigkeiten, die hier nur aufgeführt werden: Zum einen vermischt die vorangesetzte Zusammenfassung inhaltliche, erörternde und interpretative Momente, was die Spannung im Text etwas auflöst. In der Übersetzung selbst wird nicht auf kommentierte Teile verwiesen, sodass man ständig zwischen den Seiten blättert, um Text und Kommentar abzugleichen. Letztlich haben sich zwischen Zusammenfassung und Kommentar sowie innerhalb des letzteren einige Redundanzen eingeschlichen, die sich unschön lesen.4

Die Zeichnungen, die jeder Tafel vorangestellt sind, sind gut gewählt; allein die elfte Tafel, deren Konfliktpotential in der neuzeitlichen Wirkungsgeschichte enorm war, fand keinerlei Illustrierung, hier wird lediglich ein Stück der Tafel abgebildet. Bekanntlich wird dem Gilgamesch darin erzählt, wie Uta-napischti zum ewigen Leben gelangte – nämlich nachdem er eine Sintflut in einem Schiff überlebte, dessen Bau ihm der Gott Ea be/empfohlen hatte. Dass diese Geschichte nun frappant der biblischen Überlieferung ähnelt, führte bekanntlich Ende des 19. Jahrhunderts zu weit mehr, als Maul anführt, nämlich der Erkenntnis, „dass die Verflechtungen des biblischen mit dem uralten mesopotamischen Gedankengut weitaus enger waren, als man es je zuvor angenommen hatte“ (S. 9). Das untertreibt die Wirkung dieses Textes bei Weitem: Nicht von Verflechtung war in der Folgezeit die Rede, sondern von chronologisch bedingter Abhängigkeit des biblischen von mesopotamischem Gedankengut. Und das wiederum war (neben den Darwinschen Thesen) ein Sargnagel des Biblizismus: nicht Geoffenbartheit durch den alttestamentlichen Gott, sondern kulturelle Determiniertheit und historische Chronologie. Das Gilgamesch-Epos ist also nicht nur einer der ältesten belletristischen Texte der Menschheit, dessen sprachliche Form und inhaltliche Tiefe die Kenntnis des Textes jederzeit rechtfertigt, sondern es ist ebenso ein relevanter Beleg für Forschungen zum Modernisierungskontext. Und gerade vor dem Hintergrund des Erstarkens kreationistischer Bildungsansprüche gerät die „Schablone Gilgamesch-Epos“ als kulturkontextueller Beleg wider die wortwörtliche Geoffenbarheit der Bibel erneut zu aufklärerischer Brisanz. Auf derlei Bezüge geht Maul nicht ein, was wiederum der Zeitlosigkeit der Übersetzung freilich gut tut; solche Überlegungen sind anderswo sicherlich besser platziert. An der Stelle sei in diesem Kontext auf eine kleine sprachliche Unstimmigkeit hingewiesen: Es ist nämlich nicht der altorientalische König, der „wie ein Bischof einen Hirtenstab“ (S. 154) als Würdezeichen trägt, sondern der Bischof, der dieses Würdezeichen in Anlehnung an das Alte Testament (und somit an diesen Kulturkontext) trägt. Das mag wortklauberisch klingen, doch reflektiert es eben ein kulturelles Selbstverständnis, das den Alten Orient als etwas völlig Fremdes und weniger als eine seiner (vielen!) Wurzeln begreift.5

Alles in allem liegt eine sehr empfehlenswerte Ausgabe des Gilgamesch-Epos vor, die sowohl schön gestaltet als auch inhaltlich gut verfasst ist. Die mitunter recht altmodisch anmutende Sprachlichkeit erfüllt recht gut den Zweck, poetisch zu klingen und dem Metrum Geltung zu verschaffen. Der Kommentar ist weitenteils instruktiv und erklärt dem Laien die mitunter ungewohnte Ausdrucksweise des Epos.

Abschließend sei eine Lakune angemerkt, die sehr bedauerlich ist und leider völlig unkommentiert bleibt: Im Gegensatz zu den älteren Übersetzungen fehlt den neueren (auch George) eine der prägnantesten Stellen des Epos, der Rat der Siduri. Die Schenkin rät nämlich dem Gilgamesch, der auf der Suche nach ewigem Leben völlig abgekommen ist, jenes:

„Das [ewige] Leben, was du suchst, wirst du sicher nicht finden!
Als die Götter die Menschheit erschufen,
Teilten den Tod sie der Menschheit zu,
Nahmen das Leben für sich in die Hand.
Du, Gilgamesch – dein Bauch sei voll,
Ergötzen magst du dich Tag und Nacht!
Feiere täglich ein Freudenfest!
Tanz und spiel bei Tag und bei Nacht!
Deine Kleidung sei rein, gewaschen dein Haupt,
Mit Wasser sollst du gebadet sein!
Schau den Kleinen an deiner Hand,
Die Gattin freu’ sich auf deinem Schoß!
Solcherart ist das Werk der Menschen!“ 6

Anmerkungen:
1 Schott, Albert, Das Gilgamesch-Epos. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen (Hrsg. Wolfram von Soden), Stuttgart 2001 (EA 1958).
2 George, Andrew, The Babylonian Gilgamesh Epic. Introduction, critical edition and cuneiform texts, Oxford 2003.
3 Als weitere deutsche Ausgaben wäre noch Hartmut Schmökels rhythmische Übersetzung des Epos anzuführen, das seit 1966 mehrfach aufgelegt wurde; damit ist der Text allerdings auch mittlerweile vierzig Jahre alt: Schmökel, Hartmut, Das Gilgamesch-Epos. Eingeführt, rhythmisch übertragen und mit Anmerkungen versehen, Stuttgart 1992 (EA 1966). Ferner sind noch einige Prosaübersetzungen erhältlich, wovon Georg Burckhardts Ausgabe im Inselverlag (Burckhardt, Georg, Das Gilgamesch-Epos. Eine Erzählung aus dem Alten Orient, Wiesbaden 1958 [EA 1916]) die zierendste ist und Nicole Leurpendeurs Version von 2006 (Leurpendeur, Nicole, Das Gilgamesch-Epos, Abensberg 2006) an Stefan Mauls Ausgabe anlehnt. Letztere sind durch ihre Form allerdings sehr frei.
4 Vgl. S. 26 (Zusammenfassung Tafel II): „Mächtige Baumstämme stehen in dem waldarmen Mesopotamien kaum zur Verfügung und werden dennoch [...] für die Dachkonstruktion großer Bauwerke und für die Herstellung monumentaler Türen benötigt.“ S. 165 (Kommentar V, 7) gibt dasselbe in zwei Sätzen. Ferner repliziert der Kommentar V, 295f. den Kommentar zu I, 52-58 (Längenmaße), während im Kommentar zu III, 88-93 auf die Parallelstelle V, 137-143 verwiesen wird, und diese lediglich auf III, 88-93 zurückverweist – kommentiert wird leider keine von beiden Stellen.
5 Selbiges gilt für VII, 199 „Vikare“; dies ist eine Ergänzung, die eher irreleitet als erläutert, indem sie hier einen christlichen Terminus einführen, der dem Sachverhalt nicht gerecht werden kann. Das im Text gegebene la-ga-ru bezeichnet eine Priestergruppe, von der es im Alten Orient eine ganze Menge gab, die aber in keinem zentralistisch-hierarchischem Gefüge standen – wie die Vertreterfunktion des Vikars vermuten lässt.
6 Zit. nach Schott, S. 81f.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension