G. Notz: Sozialdemokratinnen im Deutschen Bundestag

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Titel
Mehr als bunte Tupfen im Bonner Männerclub. Sozialdemokratinnen im Deutschen Bundestag 1957-1969


Autor(en)
Notz, Gisela
Erschienen
Anzahl Seiten
390 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Birgit Sack, Stiftung Sächsische Gedenkstätten

Gisela Notz, wissenschaftliche Referentin der Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte des Historischen Forschungszentrums der Friedrich-Ebert-Stiftung, schließt mit „Mehr als bunte Tupfen im Bonner Männerclub“ chronologisch und thematisch an eine Studie zu „Sozialdemokratinnen im Parlamentarischen Rat und im Deutschen Bundestag 1948/49–1957“ an, die sie 2003 vorgelegt hat.1 Im Zentrum des „biographisch orientierten Buches stehen zwölf Porträts derjenigen sozialdemokratischen Frauen, die während der dritten und fünften Wahlperiode (1957–1969) für die SPD neu in den Deutschen Bundestag gewählt wurden“ (S. 7).

Fragestellungen der Frauen- und Geschlechtergeschichte aufgreifend, möchte Notz wissen, „in welcher Form und in welchen Zusammenhängen“ diese Parlamentarierinnen „auf frauenpolitisch brisante Politikbereiche […] Einfluss nehmen konnten“. Sie geht aber auch ihrem Wirken „in angeblich geschlechtsneutralen Politikbereichen, wie Wirtschafts- und Finanzpolitik“ (S. 7) nach. Ihre Studie steht im Kontext einer schon länger andauernden Konjunktur der historisch-wissenschaftlichen Biographie in der deutschen Geschichtswissenschaft. Zwar stellte Angelika Schaser noch im Jahr 2000 in ihrer Doppelbiografie über Helene Lange und Gertrud Bäumer fest, dass in der deutschen historischen Frauenforschung biografische Arbeiten weitgehend fehlen, so als „sei noch nicht sicher, ob das Leben von Frauen auch bedeutsam genug für eine Monographie wäre“.2 Zwischenzeitlich sind jedoch weitere (gruppen-)biographische Arbeiten erschienen. Das gilt auch für die in der historischen Frauenforschung bisher eher unterbelichtete Nachkriegszeit, dem „Bindeglied“ (S. 10) zwischen „alter“ und „neuer“ Frauenbewegung.3

Einem Abriss der wirtschafts-, frauen- und familienpolitischen „Situation in der Bundesrepublik Deutschland während der Jahre 1957–1969“ (Teil 1), folgen im Hauptteil biographische Porträts von Elfriede Eilers, Ilse Elsner, Brigitte Freyh, Ingeborg Kleinert, Edith Krappe, Ursula Krips, Dorothea Lösche, Hedwig Meermann, Hildegard Schimschock, Elfriede Seppi, Helene Wessel und Else Zimmermann (Teil 2). Innerhalb ihrer Untersuchungsgruppe möchte Notz „gerade die beinahe ‚namenlosen Frauen’ ans Tageslicht“ rücken: „Die Lebensgeschichten der wenigen bekannten Politikerinnen sind daher in eine Form gebracht, die geeignet erscheint, die Frauen, über die bisher nichts oder nicht viel bekannt war, weil ihr politisches Vermächtnis auf den ersten Blick unbedeutend erscheint, nicht in den Schatten zu stellen.“ (S. 18)

Der Schwerpunkt der einzelnen biographischen Darstellungen soll auf Leben und Arbeiten der SPD-Politikerinnen in den Jahren 1957 bis 1969 liegen. Ihren sich selbst gestellten Anspruch, die Politik der weiblichen SPD-Bundestagsabgeordneten anhand der neu gewählten Parlamentarierinnen für die dritte bis fünfte Wahlperiode fortzuschreiben, kann Gisela Notz jedoch nur bedingt einlösen. Nicht nur über die Abgeordnetentätigkeit etwa von Else Zimmermann konnte sie wenig ermitteln. Vielmehr „waren und blieben“ die meisten untersuchten Parlamentarierinnen Hinterbänklerinnen“ (S. 346), die sich vornehmlich im sozialen Bereich engagierten und dafür wenig Anerkennung fanden. Offenbar traten vornehmlich einige der SPD-Politikerinnen, die schon vor 1957 im Bundestag gesessen hatten, namentlich Marta Schanzenbach und Käte Strobel, politisch stärker in Erscheinung.

Gisela Notz hat in akribischer Recherchearbeit – hervorzuheben sind insbesondere die strukturierten Interviews, die sie mit nahezu allen ehemaligen Abgeordneten bzw. deren Angehörigen führen konnte – den Lebensweg ihrer Protagonistinnen nachgezeichnet. Dass die Porträts dennoch „unterschiedlich umfangreich und auch in ihren inhaltlichen Gewichtungen äußerst heterogen“ (S. 11f.) ausgefallen sind, ist der disparaten Quellenlage sowie der unterschiedlichen Dauer und Intensität des jeweiligen politischen Engagements geschuldet.

In der abschließenden Zusammenfassung (Teil 3) resümiert Notz, dass es für ihre Untersuchungsgruppe im Unterschied zu den SPD-Parlamentarierinnen bis 1957 keine übergreifenden lebensgeschichtlichen Gemeinsamkeiten mehr gegeben habe, wie etwa die Sozialisation in Arbeiterfamilie und Arbeiterjugendbewegung oder ein ausgeprägter Wissensdrang bei gleichzeitiger Diskriminierung durch das Bildungssystem. Ihr Lebensweg sei zwar „weniger steinig“ als der ihrer Vorgängerinnen, weise aber dennoch „viele Diskontinuitäten und Brüche“ auf (S. 340). Die „wesentlichen Schwachstellen sozialdemokratischer Frauenpolitik“ sieht Notz in der Bereitschaft von Politikerinnen, sich der Fraktions- bzw. Parteimehrheit zu fügen und die übernommene Position bedingungslos nach außen zu vertreten. Frauenpolitik sei „heute notwendiger denn je, wenn die Hoffnung auf eine ebenbürtige Gesellschaft nicht aufgegeben werden soll“ (S. 351).

Gisela Notz bringt den porträtierten Frauen, mit Ausnahme von Helene Wessel, viel Sympathie entgegen. Die „konvertierte Konservative“(S. 345) nimmt in ihrer Darstellung eine gewisse Sonderrolle ein, nicht nur wegen ihres politischen Lebenswegs, der sie von der Zentrumspartei über die Gesamtdeutsche Volkspartei in die SPD führte, sondern auch wegen Wessels’ konservativen Familienvorstellungen, ihres Verhaltens im „Dritten Reich und ihres Engagements für ein „Bewahrungsgesetz“. Notz hätte Wessels politische Positionen in der Nachkriegszeit besser einordnen können, wenn sie die handlungsleitenden Wertvorstellungen der Windthorstbunde, der politischen Jugendorganisation der Zentrumspartei4, berücksichtigt hätte. Dort hatte Wessels politische Karriere begonnen und an diese knüpfte sie nach 1945 wieder an, als sie sich nicht der CDU, sondern dem wieder gegründeten Zentrum anschloss.

Kritisch anzumerken ist, dass die gut geschriebenen Biographien immer wieder mit teils banalen, teils apologetischen Ausführungen „angereichert“ werden. So heißt es etwa über Elfriede Eilers, an „ihren Geburtstagen nehmen das Händeschütteln und die Umarmungen der Genossinnen und Genossen kein Ende.“ (S. 52) Brigitte Freyh war wie andere Abgeordnete auch, „nicht in der Lage, die Unmengen an Papier […] zu lesen“ (S. 86). Von Edith Krappe erfahren wir ihre Ansicht, „dass ein Etat eine außerordentlich interessante Lektüre sei, denn er vermittele einen umfassenden Überblick über die Probleme des Staates“ (S. 149). Ein reichlich nichts sagendes Grußwort des damaligen hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner soll die erfolgreiche Arbeit des von Ingeborg Kleinert geführten „Büros für staatspolitische Frauenarbeit in Hessen“ belegen. Tendenzpublikationen, namentlich die SPD-Parteipresse werden kommentarlos zitiert, so wenn der „Der Sozialdemokrat“ Ingeborg Kleinert 1964 „hervorragendes politisches Fachwissen und bestechenden Geist“ attestiert (S. 129). Eine strengere Auswahl, stärkere Gewichtung und Kommentierung des zur Verfügung stehenden Materials wäre wünschenswert gewesen.

Mit Blick auf die von den Porträtierten vertretene sozialdemokratische Politik fehlt es bisweilen an kritischer Distanz. Notz verlässt die Binnenperspektive ihrer Protagonistinnen wie auch der SPD-Bundestagsfraktion kaum. So stützt sie sich neben den Interviews hauptsächlich auf Zeitungsartikel und Parteimitteilungen. Eine vergleichende Einordnung der Positionen der SPD-Parlamentarierinnen fehlt. Notz hebt zwar eingangs unter Berufung auf die damalige CDU-Abgeordnete Helene Weber, die die angeblich „naturgegebenen“ Unterschiede zwischen den Geschlechtern betont hatte, die großen frauen- und allgemeinpolitischen Gegensätze zwischen konservativen und sozialdemokratischen Frauen hervor. Allerdings weisen einige Äußerungen von SPD-Politikerinnen darauf hin, dass diese ebenfalls von der Polarität der Geschlechtscharaktere ausgingen (Eilers, Zimmermann). Auch kommt Notz selbst zu dem Schluss, ihre Untersuchungsgruppe hätte „Politik für Frauen“ gemacht, aber die „patriarchalen Gesellschaftsnormen“ (S. 346) nicht grundsätzlich in Frage gestellt.

Anmerkungen:
1 Notz, Gisela, Frauen in der Mannschaft. Sozialdemokratinnen im Parlamentarischen Rat und im Deutschen Bundestag 1948/49–1957, Bonn 2003.
2 Schaser, Angelika; Lange; Helene; Bäumer, Gertrud, Eine politische Lebensgemeinschaft, Köln 2000, S. 23.
3 Holz, Petra, Zwischen Tradition und Emanzipation. Politikerinnen in der CDU in der Zeit von 1945 bis 1957, Königstein/Taunus 2004; Lauterer, Heide-Marie, Parlamentarierinnen in Deutschland 1918/19–1949, Königstein/Taunus, 2002; Meyer, Birgit, Frauen im Männerbund. Politikerinnen in Führungspositionen von der Nachkriegszeit bis heute, Frankfurt am Main, New York 1997.
4 Zu den Windthorstbunden vgl. Krabbe, Wolfgang R., Parteijugend in der Weimarer Republik. Ein typologischer Vergleich am Beispiel der Zentrums- und der DVP-Jugend, in: Ders. (Hrsg.), Politische Jugend in der Weimarer Republik, Bochum 1993, S. 38–72.

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