U. Rosseaux: Städte in der Frühen Neuzeit

Cover
Titel
Städte in der Frühen Neuzeit.


Autor(en)
Rosseaux, Ulrich
Reihe
Geschichte kompakt
Erschienen
Anzahl Seiten
VII, 152 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philip R. Hoffmann-Rehnitz, Universität Konstanz

Seit den 1960er-Jahren wurden die frühneuzeitlichen Städte zunehmend von der Historiographie erschlossen. Mittlerweile bilden sie ein ebenso fruchtbares wie vielgestaltiges Forschungsfeld. Nichtsdestotrotz ist die frühneuzeitliche Stadt zumindest für die Zeit nach der Reformation ein Gegenstand ohne festen Ort in den „Großen Erzählungen“ der Geschichtswissenschaft geblieben. Vielmehr wird ihr meist ein abgeleiteter Status zugeschrieben, sei es als Auslaufprodukt des Mittelalters, als Opfer frühneuzeitlicher Staatsbildung oder als Vorläufer der bürgerlichen Moderne. Diese Deutungen prägen auch die bisherigen Überblicksdarstellungen zum frühneuzeitlichen Städtewesen, insbesondere die mittlerweile in die Jahre gekommenen Referenzwerke von Klaus Gerteis und Heinz Schilling. 1 Eine vor Kurzem erschienene Einführung in die Thematik, verfasst von dem Dresdner Historiker Ulrich Rosseaux, gibt nunmehr Gelegenheit, danach zu fragen, inwieweit sich in der jüngeren Forschung neue Fragestellungen und innovative Forschungstrends aufgetan haben und ob sich die historiographische Sicht auf die frühneuzeitlichen Städte und ihre Bedeutung für die Entwicklung der alteuropäischen Gesellschaft verschoben hat.

Gemäß der Konzeption der Reihe „Geschichte kompakt“, in der dieses Buch erschienen ist, richtet es sich an ein breites, historisch interessiertes Publikum, insbesondere an Lehrende und Lernende in den Schulen und Hochschulen, um es mit aktuellen Entwicklungen und neuen Ansätzen der historischen Forschung vertraut zu machen. In der Einleitung formuliert der Autor demgemäß allgemeine Leitlinien seiner Darstellung, wobei er sich auf den Raum des Alten Reichs in den Grenzen von 1648 beschränkt. Das Leitmotiv der neueren Forschung zur frühneuzeitlichen Stadt sieht Rosseaux in der „Gleichzeitigkeit von Veränderung und Konstanz“ (S. 3). Diese Faktoren waren in den einzelnen Bereichen des städtischen Lebens unterschiedlich ausgeprägt. So waren etwa die kommunale Verfassung oder die Organisation des Handwerks maßgeblich durch Konstanz gekennzeichnet, Veränderungen gingen hingegen auf allgemeine Transformationsprozesse wie die frühmoderne Staatsbildung oder die Verschiebung des europäischen Handelssystems zurück, aber auch auf die Etablierung neuer sozioökonomischer Strukturen und einen Wandel der Lebensformen. Letzteres habe auch das (Selbst-)Verständnis der Städte verändert, das immer weniger durch rechtlich-juristische Vorstellungen und immer mehr durch einen urbanen Lebensstil geprägt gewesen sei. Diese „Urbanität als Lebensform“ manifestierte sich etwa in einem spezifischen Umgang mit der Zeit oder in bestimmten Konsumgewohnheiten (S. 3f.).

Diese Ausgangsüberlegungen schlagen sich im weiteren Gang der Darstellung nieder. Diese gliedert sich in fünf Teile. Zunächst wendet sich der Autor dem Thema „Städtewesen und urbane Demographie“ zu. Behandelt werden vornehmlich quantitative Aspekte wie die Zahl der Stadtneugründungen, die Entwicklung der Einwohnerzahlen und der Urbanisierungsgrad, aber auch Probleme der Demographie wie Mortalität, Natalität, Eheschließung oder Migration. Außerdem werden von den Reichsstädten bis hin zu den Kurorten verschiedene Städtetypen vorgestellt. Das folgende Kapitel wendet sich den Bereichen „Wirtschaft – Gesellschaft – Politik“ zu, auf die jedoch nur in knapper Form eingegangen wird. Dies hängt offensichtlich vor allem damit zusammen, dass hier aus Sicht des Autors die Kräfte der Tradition besonders stark walteten. So werden in dem schmalen Abschnitt zum Handel weitgehend Phänomene des Niedergangs und der Stagnation wie etwa das Ende der Blüte der süddeutschen Handelsmetropolen beschrieben; in den Ausführungen zum Handwerk liegt der Schwerpunkt auf den beharrenden Faktoren wie den Zünften als (angeblichen) Repräsentanten einer „vormodernen Wirtschaftsauffassung“ (S. 51f.). Auf ein gewisses Innovationspotential in der frühneuzeitlichen Stadtwirtschaft verweist hingegen der Abschnitt „Neue Gewerbezweige“. Im Anschluss an das Unterkapitel „Soziale Strukturen“ wird schließlich auf Verfassungsverhältnisse, politische Konflikte und Unruhen sowie den Wandel der politischen Festkultur als einem wichtigen Bereich der jüngeren, kulturgeschichtlich ausgerichteten Forschung eingegangen.

Das dritte Kapitel widmet sich dem Thema „Stadt und Religion“ und damit einem der bedeutendsten Bereiche der neueren Forschung. Ausführlich wird zum einen der Komplex „Stadt und Reformation“ behandelt, wobei der Fokus auf die von der Forschung weniger beachteten landstädtischen Reformationen gerichtet wird; zum anderen wird auf Prozesse der konfessionellen Homogenisierung nach der Reformation und das Problem der Multikonfessionalität eingegangen.

In den letzten beiden Kapiteln werden Bereiche des städtischen Lebens thematisiert, die aus Sicht des Autors zum einen aktuelle Trends der Forschung markieren und auf denen sich zum anderen im Laufe der Frühen Neuzeit ausgeprägte Veränderungsprozesse vollzogen haben. So widmet sich der Autor unter dem Schlagwort „Stadt und Umwelt“ zunächst dem Wandel des Stadtbilds, der Sozialtopographie und der städtischen Architektur, um daran anschließend ausführlich auf ökologische und gesundheitliche Probleme frühneuzeitlicher Stadtkommunen einzugehen, so die Wasser- und Energieversorgung, Formen der Umweltverschmutzung und Abfallbeseitigung sowie die Gesundheitsfürsorge. Betont wird dabei, dass in der frühneuzeitlichen Stadt ein „Umweltbewusstsein avant la lettre“ existierte und sich im 18. Jahrhundert ein neues Hygienebewusstsein durchsetzen konnte (S. 114).

Das abschließende Kapitel setzt sich mit dem weiten Feld der städtischen Lebensformen auseinander. Der vielleicht am besten gelungene Abschnitt des Buches beschreibt den spezifisch städtischen Umgang mit der Zeit und die Ausbildung einer immer abstrakter werdenden Zeitwahrnehmung in den Städten. Diese wurde gerade bei der Ordnung der Tageszeit zunehmend von natürlichen Bedingungen unabhängig. So kam es im 18. Jahrhundert in Folge der Verbreitung von Straßenbeleuchtungen zur „Eroberung des Abends und der Nacht“ (S. 120f.). Nachdem die Bereiche des Wohnens, der Familie, der Nahrung und der Kleidung angesprochen werden, geht Rosseaux zum Schluss ausführlich auf den Komplex „Unterhaltung, Erholung und Vergnügen“ ein, der auch im Mittelpunkt seiner kürzlich erschienenen Habilitationsschrift steht. 2 Neben traditionellen Formen städtischer Unterhaltungskultur wie Schützenfesten oder dem Karneval werden Neuentwicklungen vor allem des 18. Jahrhunderts beschrieben, die – wie im Fall des Theaters und der öffentlichen Konzerte oder auch neuer Formen der Erholung im städtischen Umland – aus Sicht des Autors ein besonderes Signum von (früh-)neuzeitlicher Urbanität darstellen und auf das ‚bürgerliche Zeitalter’ verweisen. Den Abschluss des Bandes bilden eine (zu) knappe Bibliographie und ein Register.

Alles in allem fällt der Eindruck zwiespältig aus. So gelingt es dem Autor einerseits, mit der Konzentration auf Themengebiete, die wie die Umweltgeschichte oder die Unterhaltungskultur erst in jüngster Zeit verstärkt in den Fokus der Forschung gerückt sind, das Potential neuer, insbesondere kulturgeschichtlicher Forschungsansätze deutlich zu machen. Die oftmals allzu detaillierten Ausführungen zu diesen Gegenständen stehen andererseits in einem augenfälligen Kontrast zu der puritanischen Knappheit, mit der andere, auch nicht ganz unbedeutende Bereiche des städtischen Lebens wie die „klassischen“ Felder Wirtschaft und Politik behandelt werden. So wird etwa auf das Konzept des Stadtrepublikanismus nicht und auf das Verhältnis von Stadt und frühmoderner Staatsbildung nur kursorisch eingegangen. Auch werden wichtige Themen der neueren Forschung etwa zum Wandel politischer Kommunikationsmedien oder der städtischen Öffentlichkeit nicht berücksichtigt. Gänzlich ausgespart bleiben darüber hinaus das Geld- und Finanzwesen und der zentrale Bereich der Kriminalität und sozialen Kontrolle. Sicher: Auf rund 150 Seiten ist es nicht möglich, alle Bereiche des städtischen Lebens in vertiefter Weise zu behandeln. Dennoch kann die thematische Schwerpunktsetzung letztlich nicht überzeugen und erscheint der Band in seiner spezifischen, stark von subjektiven Forschungsinteressen geprägten Selektivität als nicht ausgewogen.

Des Weiteren legt der Band zwar durchaus plausibel dar, dass sich die frühneuzeitlichen Städte zumindest in bestimmten Lebensbereichen fundamental wandelten und als Ort gesamtgesellschaftlicher Veränderung fungierten. Die einzelnen Einsichten werden vom Autor jedoch nicht in eine Gesamtdeutung integriert. In der Einleitung führt Rosseaux aus, dass das einzige allgemeine Signum der Geschichte der frühneuzeitlichen Städte im „allmähliche[n] Übergang von Mittelalter zur Moderne“ bzw. in der „Gleichzeitigkeit von Veränderung und Konstanz“ zu sehen sei (S. 3). Jenseits dieser historischen Leerformeln verzichtet Rosseaux aber explizit auf eine nähere, analytisch angeleitete Bestimmung des Untersuchungsgegenstands, und vielleicht ist es ja auch angesichts der Vielgestaltigkeit des städtischen Lebens und einer höchst ausdifferenzierten Forschungslandschaft nur bedingt sinnvoll, die frühneuzeitlichen Städte in einem Modell der frühneuzeitlichen Stadt zu integrieren. Dieser Verzicht hat jedoch zur Folge, dass die Darstellung ohne einen inneren Zusammenhang bleibt und die einzelnen Abschnitte und die darin geschilderten Verhältnisse und Entwicklungen weitgehend unverbunden nebeneinander stehen. Und auch wenn der Band in seinem offenen wie fragmentierten Charakter den gegenwärtigen Zustand der frühneuzeitlichen Stadtgeschichte durchaus widerspiegeln mag, so ist dies für den Leser letztlich wenig befriedigend.

Anmerkungen:
1 Gerteis, Klaus, Die deutschen Städte in der frühen Neuzeit: zur Vorgeschichte der „bürgerlichen Welt“, Darmstadt 1986; Schilling, Heinz, Die Stadt in der frühen Neuzeit, München 1993 (2. unveränderte Auflage 2004).
2 Rosseaux, Ulrich, Freiräume. Unterhaltung, Vergnügen und Erholung in Dresden 1694-1830, Köln u.a. 2007. Vgl. Fenske, Michaela, Rezension zu: Rosseaux, Ulrich, Freiräume. Unterhaltung, Vergnügen und Erholung in Dresden (1694-1830), Köln 2006, in: H-Soz-u-Kult, 23.11.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-154>.