L. J. Samons II (Hrsg.): The Cambridge Companion to the Age of Pericles

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Titel
The Cambridge Companion to the Age of Pericles.


Herausgeber
Samons II, Loren J.
Erschienen
Anzahl Seiten
XX, 343 S.
Preis
£ 17.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Will, Universität Bonn

Die deutsche Althistorie kreierte im 19. Jahrhundert ein „Zeitalter des Demosthenes“. Darüber ist dann Alexander der Große hinweggegangen. Hartnäckiger als Demosthenes hält sich, jedenfalls im englischsprachigen Raum, der analoge Anspruch des Perikles. „The Age of Pericles“ lautet der Titel eines neuen Cambrigde Companion. Dieser Titel ist eigentlich ein Anachronismus und verdankt sich einem Missverständnis. Die Antike kannte keine „aetas Periclea“. Bis zur Renaissance blieb Perikles auf die Anekdoten reduziert, die Valerius Maximus über ihn erzählte.

Der späte Aufstieg des Atheners ist verknüpft mit der (Wieder-)Entdeckung der klassischen Ruinen Griechenlands. Die Bauten der Akropolis wurden dem ordnenden Konzept eines großen Staatsmannes zugeschrieben, und diesen wollten Archäologen und Historiker, wie es schon Plutarch getan hatte, in dem so lange vergessenen Perikles gefunden haben. Vor 250 Jahren, 1758, schreibt der französische Architekt Julien David Le Roy in seinem Werk "Les Ruines des plus beaux monuments de la Grèce" von einem "Siècle de Périclès" und 1764 erkennt Johann Joachim Winckelmann in seiner "Geschichte der Kunst des Altertums" das vierzigjährige Regiment des Perikles als die glücklichste Zeit für die Kunst in Griechenland und besonders Athen.

Den großen Irrtum löste unfreiwillig Voltaire mit seinem 1751 erschienenen Buch "Le siècle de Louis XIV" aus. Nun wurde es Mode, ein ganzes Zeitalter um eine Person zu gruppieren. Der Epochenbegriff "Jahrhundert des Perikles" bzw. "Perikleisches Zeitalter" begann sich durchzusetzen. Wieland benutzt ihn schon 1781, Novalis, Friedrich Schlegel, Goethe, Niebuhr, um einige unterschiedliche Namen zu nennen, folgen. Die entsprechenden Monographien erschienen später: In Italien 1835 Dandolos "Studii sul secolo di Pericle" (1835), in Frankreich Filleuls "Histoire du siècle de Périclès" (1873), in Deutschland Schmidts "Perikles und sein Zeitalter" (1877) und in England Lloyds "The Age of Pericles" (1878).

Das „Zeitalter des Perikles“ ist in seinem Ursprung eine Fiktion der Aufklärung. Wer den irreführenden Titel verwendet, sollte zumindest seine Geschichte erklären. Der Herausgeber verzichtet darauf und geht stattdessen in medias res. Wer auf 307 Seiten die „political, social, artistic, literary and intellectual aspects“ einer so bedeutenden historischen Epoche abhandeln will, braucht freilich auch jede Zeile. Die Aufteilung der Themen ist aus der langen Beschäftigung namentlich der englischen Althistorie mit der klassischen Zeit der Griechen erwachsen. Sie ist nicht gerade originell, aber zunächst in sich stimmig.

Die Einführung in die athenische Geschichte und Gesellschaft geht bis ins 6. Jahrhundert und den Sturz der Tyrannis zurück, und sie zeigt, was hier in etwa als „Age of Pericles“ verstanden werden soll: eine Geschichte des 5. Jahrhunderts ohne Perserkriege und ohne Peloponnesischen Krieg. Das beherrschende Thema ist damit gegeben: die Demokratie, ihre Entstehung und ihre Folgen für Gesellschaft und Außenpolitik.

Explizit mit Demokratie und athenischer Arché beschäftigten sich die Beiträge von Rhodes, Sickinger und Sealey. Die anderen Themen ergeben sich zwingend: Wirtschaft (Kallet), Rüstung und Kriegsvorbereitung (Raaflaub), Kunst (Lapatin), Drama (Henderson), Religion (Boedeker), Philosophie (Wallace, Plato´s Sophists, Intellectual History after 450, and Sokrates), gesellschaftlich Benachteiligte (Patterson, Other Sorts: Slaves, Foreigners, and Women in Periclean Athens) und Außenpolitik (Lendon, Athens and Sparta and the Coming of the Peloponnesian War). Der Herausgeber hat eine längere Einführung und eine ebensolche Zusammenfassung beigesteuert. Überschneidungen lassen sich bei dieser Aufteilung nicht vermeiden, aber Wiederholung hat bekanntlich auch einen positiven Effekt.

Die meisten der genannten Autoren und Autorinnen sind wohlbekannt, ihre wissenschaftliche Reputation ist unbestritten. Sicherlich wird, wer häufiger über ein und dasselbe Thema schreibt, nicht zur Originalität neigen, aber die ist in einem Companion auch nicht gefragt. Hier geht es um Solidität der Auffassungen, und die ist hier zweifellos gegeben. Einige der Aufsätze bieten dem Leser auch eine hilfreiche Zusammenfassung und alle machen Vorschläge für die weitere Lektüre.

Das Buch behandelt Drama und Philosophie. Überraschenderweise aber fehlt ein Kapitel über die große literarische Entdeckung der Zeit: die Geschichtsschreibung. Das ist ein Manko, denn wenig charakterisiert geistesgeschichtlich das 5. Jahrhundert besser als die Tatsache, dass in ihm – ohne eigentliche Vorgänger, die Homer und Hekataios ja nicht sind – die beiden bedeutendsten Vertreter der Historiographie wirken und beide offenbar in einem engen Verhältnis zu Perikles stehen. Dass die Pentekontaetie trotzdem nicht zum Thema eines Geschichtswerkes wurde, bleibt als Irritation und kompliziert die Quellenlage.

Eine ausführliche Einführung in diese muss daher jeder Beschäftigung mit der Pentekontaetie vorausgehen. Der Herausgeber widmet dem Problem ganze drei Seiten, und was auf diesen steht, lässt sich nur als dürftig betrachten. Stesimbrotos von Thasos, Ion von Chios oder Hellanikos werden überhaupt nicht genannt, Pseudo-Xenophon erhält eine Zeile, Plutarchs Bedeutung wird (in immerhin schon zehn Zeilen) gänzlich unterschätzt, und was über den so wichtigen Diodor respektive Ephoros und dessen Quellen gesagt wird, ist mehr als summarisch und trifft nur sehr bedingt zu. Auch hier wäre ein eigenes Kapitel erforderlich gewesen.

In einem Buch, das sich „Age of Pericles“ betitelt, lässt sich der Namengeber durchaus klein halten, auch wenn er, sofern wir Thukydides (2,65,10) Glauben schenken wollen, behaupten konnte: „Die Demokratie bin ich.“ Die abschließende Würdigung des Perikles ist jedoch zu knapp, um wirklich verstehen zu können, warum um seine Person ein ganzes Zeitalter gruppiert werden kann. Insbesondere der Abschnitt über „Pericles´ Ideas“ bewegt sich auf brüchigem Boden. Dazu passt, dass Kagans von aktuellen politischen Ereignissen angeregtes und fast gänzlich fiktives, ohne jeden Quellenrückhalt entworfenes Periklesporträt als „a very useful (and generally favorable) overview“ vorgestellt und zur Lektüre empfohlen wird.

Quellenverzeichnis oder terminologische Erläuterungen muss man von einem Companion nicht erwarten. Hilfreich wäre dagegen gewesen, wenn die umfangreiche Bibliographie, die sich ja auf die unterschiedlichsten Themen erstreckt, sinnvoll gegliedert wäre. Ein Manko, zumindest für den Gebrauch des Companion hierzulande, ist sicherlich, dass die Autorinnen und Autoren die deutschsprachige Forschung, die auf eine lange Tradition zurück bis zu Schmidt, Beloch oder Schwartz verweisen kann, nicht kennen oder nicht zur Kenntnis nehmen oder einfach die einschlägigen Publikationen nicht lesen können. Während in den „Furthering Suggestions“ alle Hinweise fehlen, findet sich in der Gesamtbibliographie gelegentlich ein deutscher Titel.

Der Leser muss sich jedoch im falschen Buch wähnen, wenn ihm ein Buch über Gesetzgebung im archaischen Griechenland als Lektüre zur Perikleischen Zeit vorgeschlagen wird, während so wichtige Darstellungen wie Schachermeyrs „Geistesgeschichte der Perikleischen Zeit“, Meinhardts, „Perikles bei Plutarch“ oder Wirths Sammelband „Perikles und seine Zeit“ ignoriert werden. Fazit: Die Lektüre von „The Cambridge Companion to the Age of Pericles“ macht für englischsprachige Adressaten vielleicht Sinn, für deutschsprachige hat sie sicherlich keinen.

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