C.S. Gray: War, Peace, and International Relations

Cover
Titel
War, Peace, and International Relations. An Introduction to Strategic History


Autor(en)
Gray, Colin S.
Reihe
Strategy and History
Erschienen
London 2007: Routledge
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
$ 39.95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Jost Dülffer, Universität zu Köln

Der Obertitel verspricht Spannendes: eine Internationale Geschichte im Rahmen Historischer Friedens- und Konfliktforschung, welche zentrale Kategorien zusammen bringen könnte. Der Anspruch und die Durchführung des an der University of Reading lehrenden Autors sind jedoch in zweifacher Hinsicht anders. Bereits der Untertitel „Strategic History“ deutet eine Einschränkung an. Strategie hat im Englischen die Doppelbedeutung von militärischer Strategie, also dem Einsatz der kombinierten Mittel bewaffneter Streitkräfte im Krieg und die Planungen dazu. Zum anderen umfasst „grand strategy“ die gesamte gesellschaftliche und politische Mobilisierung und den daraus folgenden Einsatz. Genau in dieser Doppelbedeutung und in diesem Spannungsverhältnis siedelt Gray in seinem einundzwanzigsten Buch diese Darlegung an.

Einem „professional defense analyst“ (S. XIII) wird man das zugestehen müssen. „It is the history of the influence and threat of force […] upon the course of history.” (S. 1) Das ist sehr militärnah gedacht und geschrieben, lässt wenig Distanz oder Reflexion über die Bedingungen für die Professionalität praktischer Umsetzung erkennen. Die zweite Qualifizierung des Buches betrifft seinen Charakter: Es ist ein explizites Textbook, ein Lehrbuch, das jeweils nach ein paar Seiten Kästchen mit Hauptthemen aufzählt, „key points“ in Schummerung benennt (z.B.: „To be good at waging warfare is not necessarily to be competent at the conduct of war [...] Societies and people with their values and beliefs make war, not just states“, S. 14). Es folgen dann fettgedruckt Kontrollfragen und Literaturhinweise ausschließlich in englischer Sprache. Die Klarheit und relative Eindeutigkeit solcher Begriffsbildungen bedingt eine Herangehensweise, die nur in engen Grenzen historisch reflektiert genannt werden kann.

Dies gesagt, wird man in dem gewählten Rahmen in Vielem eine auf neuerem Stand geschriebene Geschichte von Staatensystem und Krieg seit etwa 1800 finden können, die viele nützliche Informationen zusammenstellt. Grand Strategy umfasst wie zitiert gesamtgesellschaftliche Faktoren vor allem für die Kriegführung. Das Buch beginnt mit einer Darlegung der Kriegstheorien von Jomini und Clausewitz, widmet sich dann den konkreten Kriegen zwischen 1792 und 1815. Er sieht hier eine Entwicklung vom begrenzten Krieg zu nationalen Kriegen. Dass dies für die französische Armee der 1790er-Jahre ohne weitere Qualifikation zutraf, wird man jedoch bezweifeln dürfen. Napoleons „art of war“ wird spezifisch entfaltet, aber auch dessen Scheitern in den diversen Kriegen. Daher schlägt Gray vor, Autoren die von dem Kriegsgenius des Kaisers sprächen „should be laughed out of court“ (S. 48). Das 19. Jahrhundert wird mit Sieben-Meilen-Stiefeln durcheilt. Der Erste Weltkrieg beginnt mit dem Vergleich von Waterloo zur Marne. Das „master narrative“ des 19. Jahrhunderts sei die industrielle Revolution gewesen, wie bei einer konzisen Schilderung von Waffentechnik konkretisiert wird. Das zeigt einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz auf.

Worum ging der Erste Weltkrieg? Gegen Niall Ferguson (aber implizit mit James Joll): Es handelte sich um die Verbesserung oder Verhinderung von Statusverlust in der Zukunft. Das lässt sich vertreten, hätte aber doch ein paar Qualifikationen für einzelne Mächte verlangt. Ferner sei der Krieg nicht vergeblich gewesen (er habe die deutsche Macht tatsächlich eingeschränkt). Der Krieg sei auch nicht von inkompetenten Militärs geführt worden. Gewiss gibt es dafür Gründe; aber vielleicht sollte man die Prämissen für dieses „Menschenschlachthaus“ (Wilhelm Lamszus) doch genauer benennen, als der militärischen Binnenlogik das letzte Wort zu lassen. Sicher, der Erste Weltkrieg sei primär kein militärischer, sondern ein politischer Krieg gewesen. Da hätte man gern genauere Begriffsbestimmungen gesehen, die eine solche Dichotomie, die bei uns seit Gerhard Ritter längst aufgelöst ist, besser in den Griff bekäme. Die Zwischenkriegszeit wird als Waffenstillstand begriffen und die fortschreitende Mechanisierung dargelegt. Der Zweite Weltkrieg wird zunächst „strategisch“ von „Germany’s happy hour’“ 1940 bis zur Niederlage berichtet, der „Holocaust“ relativ unverbunden daneben gestellt: „The Holocaust was a tragedy. A crime, certainly. But it might be claimed that it played no strategic role of significance“ (S. 140), ja er sei unter diesem strategischen Gesichtspunkt irrelevant gewesen. Da scheint der Autor unter seinem Blickwinkel gar nicht zur Kenntnis genommen zu haben, dass gerade die NS-Expansion und Kriegführung mit herkömmlichen strategischen Kategorien nicht begriffen werden kann. Ein nachfolgendes Kapitel über Hitlers Weltsicht und seine Folgen greift grade dies nicht auf.

Einzelne Aussagen des ständig die Perspektiven wechselnden Autors heraus zu greifen, erscheint bis zu einem gewissen Grade unfair, da er eine Fülle von Perspektiven anspricht, auch in Halbsätzen gegen Vorurteile und vor allem -meinungen anschreibt und dies oft mit jüngster Forschungsliteratur tut. Wie dem Europäischen sind auch dem Pazifischen Krieg 1941-1945 zwei der 20 Kurzkapitel gewidmet. Der „Kalte Krieg“ betont neben der politischen Konfrontation auch die Nuklearrevolution und den entsprechenden atomaren Rüstungswettlauf. Nach 1989/90 benennt Gray innovativ ein Jahrzehnt als neue „interwar decade“ und sieht mit „9/11“ ein neues Zeitalter des Terrors und eben auch der irregulären Kriege herauf ziehen, die er von dem spanischen Guerillakrieg gegen Napoleon ab 1808 bis zu AlQueda verfolgt. Auch in Zukunft werde es strategische Geschichte geben. „In their natures and dynamics, war, warfare and strategy haven not changed over the course of two centuries.“ (S. 281) Lediglich eine derartige gesamtstaatliche und -gesellschaftliche Mobilisierung wie im Zweiten Weltkrieg werde es nicht mehr geben. Woher weiß der Autor das?

Eine Bilanz des Buches fällt zwiespältig aus. Die intellektuellen Grenzen dieser Art Geschichtsschreibung im Textbook und damit in der Argumentation wurden an einigen Beispielen vorgeführt. Dennoch enthält das Buch viele nützliche und zum Teil auch differenzierte Informationen zum Staatensystem und zur Rolle von Krieg und Frieden in den letzten zweihundert Jahren. Ein wenig zu viel „zum Mitschreiben“ und Auswendiglernen, wo man als Leser mehr Anregung zum Mitdenken wünschte. Die „strategy“ hat manchmal mehr Militärgeschichte zum Inhalt, erreicht aber oft auch gesamtgesellschaftliche Dimensionen. Gewährsperson (und akademischer Lehrer von Gray) war John Erickson; die Weite des Ansatzes und das Niveau von Michael Howard werden selten erreicht.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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