G. O'Hara: From Dreams to Disillusionment

Cover
Titel
From Dreams to Disillusionment. Economic and Social Planning in 1960s Britain


Autor(en)
O'Hara, Glen
Erschienen
Basingstoke 2006: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
301 S.
Preis
$ 50.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Timo Luks, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Glen O’Hara widmet sich in seiner Dissertation einem Thema, das seit geraumer Zeit stärker in den Fokus geschichtswissenschaftlichen Interesses gerückt ist. ‚Planung’ scheint sich als eines der Schlüsselthemen für die Analyse der 1960er-Jahre abzuzeichnen.1 „If there was one concept at the heart of the raised expectations and dashed hopes of British politics in the 1960s”, heißt es dementsprechend auch bei O’Hara, „it was ‚planning’.“(S. 1)

Einleitend skizziert O’Hara den Planungseifer in öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Debatten in Großbritannien seit dem Ende der 1950er-Jahre, um anschließend je ein Kapitel der makroökonomischen Planung, den öffentlichen Haushalten, der Regionalplanung, dem Wohnungsbau sowie dem Gesundheitswesen zu widmen. Mit diesem thematischen Zuschnitt bewegt er sich in bewährtem Rahmen und auf weithin bekanntem Terrain. Dies unterstreicht auch der heuristische, auf übergreifende Gemeinsamkeiten abzielende Planungsbegriff, der in der Arbeit zur Anwendung gebracht wird. Fokussiert werden dabei die Langfristigkeit der Perspektiven von ‚Planung’, die umfassenden Ansprüche und Intentionen der Planer, der Bezug auf (erwartete) Erwartungen der Öffentlichkeit, die Einbeziehung sowohl des öffentlichen als auch des privaten Sektors, ein großes Vertrauen in die Umsetzbarkeit und Wirksamkeit; kurz: „a long time-span, universal coverage and a large degree of optimism concerning delivery“ (S. 3). In Folge dieser thematischen und konzeptionellen Ausrichtung rücken vor allem konkrete Planungen und Planungsinhalte, die beteiligten Akteure sowie die Tücken politisch-administrativer Umsetzung ins Zentrum.

Sowohl die Popularität des Planungsgedankens als auch die konkreten Planungsprozesse der 1960er-Jahre, dies betont O’Hara in verschiedenen Zusammenhängen, sind nur adäquat zu verstehen, wenn die zunehmende internationale Verflechtung Großbritanniens einbezogen wird. Vielfach wurden ‚Probleme’ und damit auch ‚Planungsbedarf’ überhaupt erst durch jene statistischen Ländervergleiche sicht- und identifizierbar, die sich auch heute noch großer Beliebtheit erfreuen. Der viel zitierte Niedergang der britischen Wirtschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts2 hat viel mit dem wahrgenommenen und in einer Vielzahl von Ranglisten vermeintlich objektiv und eindeutig ablesbaren Positionsverlust Großbritanniens im internationalen Vergleich zu tun. Dies verschärfte sich noch durch den obsessiven Wettlauf der Systeme im Kalten Krieg. Auch bezüglich der Planungsinstrumente, die zum Einsatz kamen, kann O’Hara vielfältige Adaptions- und Rezeptionsprozesse herausarbeiten – z.B. die Übernahme von Kosten-Nutzen-Analysen oder Budgetplanung im Bereich öffentlicher Finanzen, die in den USA durch die Kennedy-Administration entwickelt wurden.

Der internationalisierte Kontext von ‚Planung’ in den 1960er-Jahren ist ebenso wenig von umfassenden Verwissenschaftlichungsprozessen zu trennen wie die nationale Suche nach den Voraussetzungen und Mitteln erfolgreicher und wirksamer Planung. Wirtschaftsstatistisches Material und sozialwissenschaftliche Erhebungen waren Instrumente der Sichtbarmachung und Identifizierung von ‚Problemlagen’. Zugleich waren sie die Basis für jenes Wissen, das für den Erfolg von Planungsprozessen vorausgesetzt wurde. Sozialwissenschaftliche Studien brachten z.B. zum Vorschein, dass verborgen unter den Errungenschaften des Wohlfahrtsstaats eine ‚neue Armut’ entstanden war; Wirtschaftsstatistik und Makroökonomie machten ‚Wirtschaft’ als Gesamtgebilde mit eigenen, erkennbaren Gesetzen und Funktionsweisen sichtbar; der Neo-Keynesianismus betonte die Bedeutung von Investitionen gegenüber Profiten und schuf damit neue Handlungsmöglichkeiten (und -imperative). Bereitstellung und Nachfrage von Planungswissen stimulierten sich gegenseitig. Planer verlangten nach mehr, besseren und anderen Daten – vor allem dann, wenn die Erfolge ausblieben. Experten erhoben diese Daten, verfeinerten ihre Methoden, konsolidierten und differenzierten ihre Wissensbestände und stießen damit komplexere Pläne an. O’Hara beschreibt dieses Wechselspiel für die verschiedenen Planungsfelder sehr deutlich. In seinem Bemühen, die Gründe für das ‚Scheitern’ von Planungsprozessen zu identifizieren, bleibt er jedoch in der Logik des Planungsdiskurses gefangen und verkennt damit dessen eigentümliche Paradoxie: Planungssicherheit und Erfolgswahrscheinlichkeit steigen mit einem Zuwachs an Wissen eben gerade nicht. Vielmehr produziert jede Gewissheit neue Ungewissheiten. Der stete Ruf nach mehr und besseren Daten ist mithin nicht Ausdruck eines realen Mangels und reale Ursache des Scheiterns von Plänen, sondern konstitutiver Bestandteil der Struktur und Funktionsweise von ‚Planung’. Wäre es anders, müsste man an irgendeinem Punkt angeben können, dass man genug und das Richtige weiß, um z.B. das Problem dauerhaften wirtschaftlichen Wachstums zu lösen. Der Planungsdiskurs suggeriert die Möglichkeit und Existenz eines solchen Punktes. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive darf beides jedoch entschieden bezweifelt werden.

Sowohl die Frage nach der britischen Position im internationalen Vergleich als auch diejenige nach dem Zusammenhang von Wissen und Politik, die O’Hara als wichtige Determinanten des Planungsgeschehens der 1960er-Jahre herausarbeitet, verweisen auf zwei weitere Punkte, die ihrerseits eng zusammenhängen: die Herausbildung eines allgemeinen, mehr oder weniger geteilten, die unterschiedlichen Pläne verbindenden Planungsziels einerseits; die Definition dieses Ziels als politische Aufgabe, deren Lösung man von der Regierung erwartete, andererseits. Das Ziel, dessen Herausbildung O’Hara überzeugend nachzeichnet, war ein möglichst dauerhaftes ‚ökonomisches Wachstum’. Wachstum versprach gesteigerten Wohlstand sowie die Lösung einer Reihe zählebiger wirtschaftlicher Probleme. Auf ‚Wachstum’ als Planungsziel konnte man sich einigen, und manchem Planungsskeptiker, vor allem auf der Seite der Wirtschaft, war es allemal lieber, die Aktivitäten der Planer konzentrierten sich auf diesem Gebiet und nicht im Bereich der Löhne und Preise. Nachdem über das übergreifende Planungsziel ein – wenn auch unspezifischer – Konsens erreicht worden war, fiel es leicht, das Erreichen dieses Ziels als politische Aufgabe und Anforderung an die jeweilige Regierung zu formulieren. Die Überzeugung, dass die Regierung für das Wachstum der nationalen Wirtschaft verantwortlich sei, führte zu einer Aufwertung der Wirtschaftspolitik in politischen Debatten, Wahlkämpfen usw. Politiker realisierten zunehmend, dass Wachstum und Prosperität zum zentralen Maßstab der Beurteilung von Regierungspolitik geworden war. Hinzu kam die in den britischen Planungsbemühungen der 1960er-Jahre immer deutlicher hervortretende Notwendigkeit, die öffentliche Meinung für sich zu gewinnen. Gerade mittel- und langfristige Ziele schienen in außerordentlichem Maße öffentlicher Unterstützung zu bedürfen und die planenden Politiker unternahmen einiges, um diese Unterstützung sicherzustellen.

O’Hara arbeitet die 1960er-Jahre als eigentliche Kernzeit und Hochphase des britischen Planungsgeschehens heraus. Er benennt zwar einige Vorläufer in Form staatlich-administrativer Interventionen seit dem Ersten Weltkrieg, betont jedoch, dass es sich dabei lediglich um ad-hoc-Maßnahmen gehandelt habe, dass umfassende Planung nicht intendiert gewesen sei. Auch hinsichtlich der Ausdehnung des Staates stelle erst der Zweite Weltkrieg einen markanten Einschnitt dar, wenngleich viele Planungs- und Interventionsinstrumente nach dem Krieg rasch wieder an Bedeutung verloren. Die Labour-Regierung Harold Wilsons griff in den 1960er-Jahren eine Reihe dieser Instrumente wieder auf, fügte sie nun jedoch in einen integrativen Planungskontext ein. Die Erinnerung an die Fehler und Unzulänglichkeiten vergleichbarer früherer Ansätze, so O’Hara bedauernd, waren da jedoch schon aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Entsprechend rasch habe bereits Ende der 1960er-Jahre eine Desillusionierung eingesetzt. Die Idee der Planung hatte sich überlebt. Sie scheiterte, worauf O’Hara immer wieder verweist, an der permanenten Enttäuschung geschürter Erwartungen, an mangelnder Einbeziehung der ‚Betroffenen’, an regionalen und kommunalen Widerständen, an Kompetenzstreitigkeiten administrativer Instanzen. „There was overall a failure to inaugurate a ‚developmental’ state, autonomous enough to act decisively against vested interests, but embedded enough in society to call upon enough loyalty constantly to renegogiate aims and objectives. [...] Paradoxically, it was exactly the lack of concerted actions, cooperations and consultations that planning was designed to attack, but that in the end doomed it to failure.“ (S. 71)

Glen O’Haras „From Dreams to Disillusionment“ bietet einen eingängigen Überblick über das britische Planungsgeschehen in den 1960er-Jahren. Die Arbeit ist eine solide Rekonstruktion der beteiligten Akteure und Instanzen, administrativen Abläufe und Planungsinhalte. Ebenso überzeugt die Fokussierung internationalisierter Planungskontexte, struktureller Kopplungen von Politik und Wissenschaft, des Aufstiegs der Kategorie ökonomischen Wachstums sowie der Bedeutung öffentlicher Erwartungen und Anforderungen. Letztendlich wäre es jedoch interessanter gewesen, wenn O’Hara die im ersten Kapitel („The Planning Fervour of 1959-1963“) angedeuteten Wege weiterverfolgt hätte. Statt das dort gezeichnete Bild lediglich als illustrativen Hintergrund zu gebrauchen, vor dem dann die administrativen Mechanismen einzelner Planungsaktivitäten auf verschiedenen Politikfeldern referiert werden, hätte sich an dieser Stelle ein Ansatzpunkt für eine umfangreichere Problematisierung von ‚Planung’ geboten. Die nur wenig überzeugende Gegenüberstellung von Planungsideen auf der einen und Planungswirklichkeit als ‚eigentlichem’ Gegenstand der Arbeit auf der anderen Seite hätte so vermieden werden können. Zudem hätten auf diese Weise das eigentümliche Verhältnis von Kontinuität und Bruch innerhalb des Planungsdiskurses sowie das komplexe Wechselspiel ideengeschichtlicher Konfigurationen, mentalitätsgeschichtlicher Prägungen, kulturgeschichtlicher Repräsentationen und politisch-administrativer Praxis aufgezeigt werden können. Dass gewichtige Teile dieses Geflechts in die ‚Vorgeschichte’ des Planungsgeschehens verwiesen werden überzeugt kaum und bewegt sich zudem nicht auf der Höhe der planungsgeschichtlichen Debatte.

Anmerkungen:
1 Zu nennen wären hier in jüngerer Zeit vor allem Arbeiten von Gabriele Metzler, Dirk van Laak oder Michael Ruck. Vgl. als Überblick Haupt, Heinz-Gerhard; Requate, Jörg (Hrsg.), Aufbruch in die Zukunft. Die 1960er Jahre zwischen Planungseuphorie und kulturellem Wandel. DDR, CSSR und Bundesrepublik Deutschland im Vergleich, Weilerswist 2004.
2 Vgl. dazu u.a. Supple, Barry E., Fear of Failing. Economic History and the Decline of Britain, in: Economic History Review 47 (1994), S. 441-458; Tomlinson, Jim, Inventing „Decline“. The Falling Behind of the British Economy in the Postwar Years, in: Economic History Review 49 (1996), S. 731-757; Wiener, Martin J., English Culture and the Decline of Industrial Spirit 1850-1980, Cambridge u.a. 1981.

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