M. Schnettger: Principe sovrano oder civitas imperialis?

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Titel
Principe sovrano oder civitas imperialis?. Die Republik Genua und das Alte Reich in der Frühen Neuzeit (1556-1797)


Autor(en)
Schnettger, Matthias
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz - Abteilung für Universalgeschichte 209; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 17
Erschienen
Mainz am Rhein 2006: Philipp von Zabern Verlag
Anzahl Seiten
694 S., 1 Karte
Preis
€ 64,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Zunckel, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Mit seiner in der Reichsgeschichtsforschung angesiedelten Frankfurter Habilitationsschrift hat sich Matthias Schnettger einem auf den ersten Blick exotisch anmutenden Thema verschrieben: den diplomatischen Beziehungen zwischen dem Kaiserhof und der Adelsrepublik Genua während der Frühen Neuzeit. Schnettgers Wahl erweist sich jedoch als wohlbegründet, geht es ihm doch in erster Linie um die programmatische Abkehr von einer allzu modernistischen Reichsgeschichtsschreibung, die das proto-nationalstaatliche Profil eines institutionell verdichteten „komplementären Reichs-Staats“ (Georg Schmidt) überbetont, indem sie eine „unmoderne“, aber konstitutive Komponente der Reichsverfassung weitgehend ausblendet: das Reichslehnswesen. Um eben diese grundsätzliche Persistenz der lehnsrechtlichen Verfassungsmatrix deutlich herauszuarbeiten, richtet sich Schnettgers Interesse auf einen „Regionalstaat“ in Reichsitalien, also auf die Peripherie des Alten Reiches. Mit diesem Perspektivenwechsel zielt er auf eine adäquate Berücksichtigung des weit konzipierten, frühneuzeitlichen Reichsverständnisses und der damit verbundenen herrschaftskonstitutiven Ordnungsvorstellungen.

Schnettgers Untersuchung basiert substantiell auf den von Karl Otmar von Aretin für Reichsitalien erarbeiteten Ansätzen. Indem von Aretin die große Bedeutung reichs- bzw. lehnsrechtlich begründeter Ordnungsmuster für die Ausbildung der italienischen Regionalstaaten betonte, leistete er einen wichtigen Beitrag für die Überwindung etatistisch-nationalstaatlicher Interpretamente, die (nicht nur) die Reichsitalienforschung lange Zeit blockierten. Die traditionelle Diplomatiegeschichte betrachtete die imperialen Hoheitsansprüche entweder als anachronistisches Relikt des Mittelalters oder als einen in (macht-)politischer Hinsicht instrumentalisierten, aber nahezu irrelevanten verfassungsrechtlichen Formalismus. Die genaue Untersuchung der sich um die Behauptung der Reichrechte über Italien entspinnenden Kontroversen sind hingegen für eine um kulturgeschichtliche Aspekte erweiterte Politikgeschichte von erheblicher Relevanz. Denn wie nicht zuletzt die momentane Forschungskonjunktur deutlich macht, hat das Bemühen um eine neue Heuristik frühneuzeitlicher Denk- und Handlungsmuster auch jene Sparte der Politik- und Verfassungsgeschichte erfasst, die sich nach wie vor über makrostrukturelle Analysezugänge definiert. 1

Eben dieser Zugriff auf die Diplomatiegeschichte liegt der Arbeit Schnettgers zugrunde, richtet sich sein Erkenntnisinteresse doch auf die minutiöse Nachzeichnung jener (Ver-)Handlungsstrategien und -dynamiken, die sich um das politische Kernproblem in den Beziehungen zwischen Genua und dem Kaiserhof aufbauten: das Streben der Republik nach voller Souveränität. Die Untersuchung widmet sich somit einer rechtspolitischen Problematik, die von der Historiographie lange Zeit vernachlässigt wurde, für die Behauptung des außen- wie innenpolitischen Handlungsspielraums der Adelsrepublik jedoch von zentraler Bedeutung war. Denn in zweifacher Hinsicht hatte Genua während der gesamten Frühen Neuzeit den imperialen Oberhoheitsansprüchen Rechnung zu tragen: einerseits in Hinblick auf ihren eigenen ambivalenten Status als Reichsstadt, andererseits in Hinblick auf jenen Gürtel von kleineren Reichslehen, die entweder im Besitz genuesischer Adelsgeschlechter waren oder die die Republik zwecks Absicherung ihres Kernbesitzes im Laufe der Zeit erwarb. Zwar bedeutete ersteres keine Lehnsuntertänigkeit vom Reich, implizierte aber die bei jedem Herrscherwechsel einzuholende grundsätzliche Bestätigung der qua kaiserlichen Reservationsrechts zugebilligten Privilegien. Stellte die Privilegienbestätigung die Anerkennung der kaiserlichen Oberhoheit unter Beweis, so musste es folglich das Hauptanliegen der genuesischen Diplomatie sein, diesen Akt der Unterordnung zu vermeiden, da er den Souveränitätsansprüchen der Republik entgegenstand. Weitaus geringer war der Handlungsspielraum hinsichtlich der von Genua erworbenen Reichslehen, denn hier war die Rechtslage eindeutig: Ohne die Erneuerung der Investitur beim Regierungsantritt jedes Kaisers waren die von Genua erworbenen Rechtstitel ungültig.

Wie eng diese beiden, das Verhältnis der Republik zum Kaiserhof bestimmenden Rechtskonstellationen in der politischen Verhandlungspraxis über den gesamten Untersuchungszeitraum miteinander verknüpft waren, zeigt Schnettger im Anschluss an ein relativ knappes Einführungskapitel: Die Bemühungen Genuas um eine grundsätzliche Statusverbesserung blieben über die gesamte Frühe Neuzeit deshalb erfolglos, weil der Kaiserhof mit der Verweigerung der ja stets zeitgleich mit den Privilegienbestätigungen anstehenden Investiturerneuerungen über ein effizientes Druckmittel verfügte, die Republik zur Raison zu bringen. Lediglich im Hinblick auf die kaiserlichere Titulaturformel sollte es der Republik gelingen, eine Verminderung des in ihr zum Ausdruck gebrachten Abhängigkeitsverhältnisses durchzusetzen: An die Stelle von „Duci, et Magistratibus Civitatis Genuae“ setzte man „Serenissimo Duci Principi nostro charissimo, ac Illustribus Gubernatoribus Reipublicae Genuensium nostris dilectis“. Dieser Teilerfolg konnte bezeichnenderweise in den ersten Regierungsjahren Ferdinands III. erzielt werden, denn er gehörte zu jener Repräsentationsoffensive, die Genua in den 30er Jahren des 17. Jahrhunderts gestartet hatte, um im ’ranking’ der europäischen Mächte nicht vollends ins Hintertreffen zu geraten. 1637 hatte sich die Republik demonstrativ unter die Oberhoheit der Madonna gestellt, um dadurch ihre Souveränität zu bekräftigen - die wiederum eine unverzichtbare Voraussetzung für die Erlangung des königlichen tractaments an den europäischen Höfen darstellte.

Schnettger entschlüsselt die Hintergründe und die Tragweite dieses aufsehenerregenden Vorstoßes zwar nur ansatzweise, doch er kann nachweisen, dass die zeremonielle Repräsentationsoffensive die Republik vor einer faktischen Statusminderung bewahrte, wobei nicht zuletzt beträchtliche Zahlungen in die kaiserlichen Kassen den maßgeblichen Ausschlag gaben. Greift Schnettger die ökonomischen Aspekte des genuesischen Abhängigkeitsverhältnisses vom Kaiserhof in seinem letzten Untersuchungsabschnitt wieder auf, so sind zunächst drei weitere Kapitel der Frage gewidmet, welche Auswirkungen die imperialen Oberhoheitsansprüche für die Artikulierung der Macht- und Herrschaftsansprüche Genuas über die sie umgebenden Territorien nach sich zogen. An einer Fülle von unterschiedlich gelagerten Fallbeispielen weist er zunächst nach, dass es der Republik nie gelingen sollte, die oberste Jurisdiktionskompetenz des Reichshofrates über die ligurischen Reichslehen zurückzudrängen. Der sich daraus ergebende Befund einer mangelnden Geschlossenheit des genuesischen Hoheitsgebietes wird in zwei weiteren Untersuchungsschritten noch präzisiert, in denen Schnettger die Grenzen der genuesischen Arrondierungspolitik in Gestalt der kaiserlichen Aufsichts-, Schieds- und Schutzfunktion über die Region thematisiert, wobei im letzten Abschnitt die Rolle des Kaisers bei den Konflikten mit Savoyen eine zentrale Rolle spielt.

Ist Schnettger mit dem Anspruch angetreten, die politische Wirkungsmächtigkeit der lehnsrechtlichen Verfassungsmatrix am Fallbeispiel Genua unter Beweis zu stellen, so ist ihm dies durchweg gelungen. Schließlich weisen die sich um die Behauptung der Reichsrechte aufbauenden politischen Konflikte an der Peripherie des Alten Reiches deutliche Parallelen zu den Entwicklungen im Reichskern auf. Dass er für diesen Nachweis mehr als 600 Seiten benötigt, strapaziert die Geduld des Lesers allerdings über Gebühr. Denn nach gründlicher Lektüre kommt man zu dem Schluss, dass sich die akribische Wiedergabe der insbesondere aus der diplomatischen Korrespondenz, aus den Reichshofratsakten sowie aus den Unterlagen der Mailänder Reichskommissare und Plenipotentiare gezogenen Verhandlungsabläufe und -logiken durchaus auf weniger als die Hälfte ihres Umfanges hätte reduzieren lassen. Nichts läge der Rezensentin ferner, als sich gegen möglichst quellennahe Studien auszusprechen; eine Konzeption, die eine gewissermaßen objektiv verstandene „Historie“ mittels Referierung ihrer Zeugnisse über weite Strecken praktisch für sich selbst sprechen lassen will und die historiographische Analyse in erster Linie als Kontextualisierung der Quellen begreift, erscheint ihr jedoch problematisch. Fordert Schnettger im Interesse einer dem frühneuzeitlichen Reichsverständnis angemessenen Hermeneutik in seinem Schlusssatz „einen Schuss Ranke“, so liegt der Rezensentin im Zuschnitt seiner Arbeit eindeutig ein Schuss Historismus zu viel.

Schnettger konzentriert sich weitgehend auf die bilateralen Beziehungen zwischen Kaiserhof und Genua, die er – zu Recht – als die eigentliche Grundkonstante der genuesischen Außenpolitik begreift. Das intensive Agieren an anderen europäischen Höfen, das den Handlungsspielraum Genuas gegenüber dem Reich maßgeblich mitbestimmte, findet dabei lediglich marginale Berücksichtigung. Soziopolitisch fundierte Einzelanalysen, die auf eine Erfassung des gesamten außenpolitischen Interaktionsfeldes zielen, die wichtigsten Handlungsoptionen der in Genua tonangebenden Oligarchie in den jeweiligen breiteren historischen Kontext stellen oder gar die Bedeutung der weitgespannten personalen Beziehungen der finanzkräftigen genuesischen Aristokratie evaluieren, sollte man sich von der Untersuchung also nicht erwarten. Aber Schnettgers Stoßrichtung ist – wie eingangs gesagt – eine andere.

Anmerkung:
1 Etwa Schnettger, Matthias; Verga, Marcello (Hrsg.), L’Impero e l’Italia nella prima età moderna / Das Reich und Italien in der Frühen Neuzeit, Berlin 2006.

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