Cover
Titel
Jeans in der DDR. Vom tieferen Sinn einer Freizeithose


Autor(en)
Menzel, Rebecca
Erschienen
Anzahl Seiten
198 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dorothee Wierling, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

Jeans sind seit dem Zweiten Weltkrieg bis heute zur begehrtesten Hose weltweit geworden. Wie kein anderes Kleidungsstück repräsentieren sie den „Westen“, im engeren Sinne den US-amerikanischen Westen und das damit verbundene Freiheitsversprechen. Dabei sind zwei Phänomene besonders bemerkenswert: Erstens die Tatsache, dass der Siegeszug der Jeans von dem realen und idealen Eisernen Vorhang des Kalten Krieges nicht aufzuhalten war; und zweitens, dass Jeans zugleich Zugehörigkeit und Distinktion versprechen – Zugehörigkeit zu einem nur vage bestimmbaren Kulturkreis des Westens, Distinktion durch die feinen Unterschiede von Schnitten, Stoffen, Farben und vor allem die am Gesäß der Hose angebrachten Markenzeichen.

Von der Geschichte all dieser Versprechen und ihrer Attraktion handelt das Buch von Rebecca Menzel über Jeans in der DDR.

Es erzählt die Geschichte eines Verbots, als die „Niet(en)hosen“ die zunächst meist jugendlichen Träger als innere Feinde des Sozialismus erkennen ließen, als Gammler, Rowdys und Eckensteher, infiziert von der „amerikanischen Lebensweise“ der Cowboys, Gangster und „Ranger“. Solche Bilder waren inspiriert von den „Wildwest“-Filmen und -Romanen, in denen die Guten und die Bösen die „Texashosen“ trugen, und damit gleich verdächtig waren. Bis zum Ende der 1960er-Jahre mussten Jeansträger regelmäßig damit rechnen, aus Schulen und FDJ-Klubs verwiesen zu werden.

Erst danach setzte sich eine andere Politik durch, die schon Ende der 1950er-Jahre begonnen hatte: Die allmähliche offizielle Akzeptanz der Jeans, die ab den frühen 1960er-Jahren auch der eine oder andere positive Filmheld auf der Leinwand trug; vor allem aber der ernsthafte Versuch, den bis dahin fast ausschließlich aus dem Westen geschenkten oder importierten Jeans eine DDR-eigene Produktion entgegenzusetzen. Auch hier gab es einen Vorläufer von 1957, der es aber nie über das Stadium eines der „Hauptverwaltung Bekleidung“ vorliegenden Schnittmusters gebracht hatte. Zehn Jahre später entwickelte der Staat im Rahmen eines umfassenden Plans zur „Jugendmode“ auch die „blauen Cottinohosen“. Sie standen für die Entideologisierung der „Freizeithose“.

Doch damit begann eine andere Leidensgeschichte, denn es gelang der DDR bis zu ihrem Ende nicht, in ernsthafte Konkurrenz zu den Westjeans zu treten, die von Material, Schnitt und der Farbe überlegen blieben oder als überlegen galten. An den DDR-Jeans lassen sich eine Reihe von Defiziten aufzeigen, die der Vergleich mit der Konsumgesellschaft des Westens aufzeigte: Devisenmangel und damit die Unmöglichkeit, die hochwertige Baumwolle, aus der Jeansstoff hergestellt wurde, sowie die Technologie zum Färben und Bearbeiten des Stoffes in ausreichendem Maße einzuführen bzw. zu entwickeln: Cottino war ein Baumwoll-Synthetikgemisch, das sich schlechter anfühlte als reine Baumwolle, die Farbe ließ sich nicht auswaschen und man konnte die Jeans nicht hauteng einlaufen lassen, zumal der Schnitt nie den letzten modischen Veränderungen entsprach.

Dennoch fanden auch DDR-Jeans reißenden Absatz, und der Jeansstoff bildete die Grundlage für zahlreiche andere Kleidungsstücke wie Jacken, Röcke, Westen und Kleider. Am Ende erwarb die Bekleidungsindustrie auch das technische Know-how zur Herstellung von stonewashed Jeans, wovon reichlich Gebrauch gemacht wurde. In den 1980er-Jahren trat die Jeans mit FDJ-Hemd auf, und auch die SED-Genossen trugen die DDR-Marken „Shanty“ oder „Wisent“. Letztere führte wegen ihrer detailgetreuen Nachahmung des Lederfleckens auf der Gesäßtasche sogar zu einer Klage des US-amerikanischen Jeansherstellers Levi-Strauss. Dennoch: Das begehrte „Original“ blieb die schlichte, weich und andeutungsweise ausgewaschene Jeans, die durch Gebrauchsspuren um so „authentischer“ erschien. Westverwandtschaft oder politisch gezielt eingesetzte SED-Gunst sorgten für einen gewissen Nachschub. Es blieb bei der Jeans als doppeltes Statement der breiten Westorientierung und des exklusiven Markenbewusstseins. Als die Mauer fiel, konnte man für kurze Zeit „den Ossi“ ohne weiteres an seiner übermäßig ausgewaschenen Jeanskleidung erkennen.

Rebecca Menzel erzählt ihre sehr gut recherchierte Verbots-, Produktions-, Konsum, und Ost-Westgeschichte flott und unterhaltsam. Verstreut im Text finden sich anschauliche Jeans-Erinnerungen der Geburtsjahrgänge 1936-1969 und aussagekräftige Photos von Jeansträger/innen. Gerade weil die Jeans mehr war als eine Hose, wie Plenzdorf seinen Helden Edgar Wibeau 1973 auf den DDR-Bühnen aussprechen ließ, ist auch diese Geschichte mehr als die Geschichte einer Hose. Als Fallgeschichte für die „Grenzen der Diktatur“ ist sie jedenfalls hervorragend geeignet.

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