Titel
Kunst der Verbindung. Transnationale Netzwerke, Kunst und Globalisierung


Autor(en)
Nippe, Christine
Reihe
Berliner Ethnographische Studien 9
Erschienen
Münster u.a. 2006: LIT Verlag
Anzahl Seiten
120 S.
Preis
€ 9,90
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Bettina Wind, München

Dass sie den Einfluss internationaler Arbeitsbeziehungen auf den konkreten Alltag von Kulturakteuren untersuchen will, wie Christine Nippe im Vorwort zu ihrer Studie „Kunst der Verbindung. Transnationale Netzwerke, Kunst und Globalisierung“ ankündigt, ist bescheiden ausgedrückt. Tatsächlich leistet der schmale Band, der 2006 in der Reihe „Berliner Ethnographische Studien“ im LIT Verlag erschienen ist, anhand von zwei Beispielen aus dem Berliner Kulturbetrieb eine vielschichtige Analyse künstlerischer Netzwerk- und Kommunikationsarbeit sowohl für fachinterne als auch externe Interessierte.

Ausgehend von den lokalen Bedingungen einer auf asiatische Kunst orientierten Galerie und des Theaters „Hebbel am Ufer“ tastet die Ethnographin in Interviews die Linien und Knotenpunkte der transnationalen Vernetzung ab, fragt nach individuellen Voraussetzungen und verortet die Akteure in ihrem Netzwerk auf dem internationalen Markt. Dabei fungieren die Kontakte innerhalb der weitläufigen „Sociospheres“ der Interviewten oftmals als „biografische Lösung“ eines systemischen Problems: Mit Hilfe der Netzwerke reagieren die Akteure auf den ökonomischen Engpass und den steigenden Konkurrenzdruck im Kunst- und Kultursektor Berlins.

Das Ausloten der komplexen Kommunikationsstrukturen zwischen Künstlern, Galeristen und Produzenten, die Einschätzung der eigenen Kontakte und Strategien sowie die Darstellung gegenseitiger Transfers nehmen den Hauptteil der Untersuchung ein. Dabei gelingt es Christine Nippe, interne Arbeitsstrukturen und -dynamiken für ein größeres Publikum zu öffnen und die informellen Gespräche auf einer wissenschaftlichen Ebene zu reflektieren, wobei sie – im Gegensatz zu anderen Studien – die Systeme Theater/Gastspielbetrieb und Galerie/Kunstmarkt von einer ähnlichen Perspektive aus beschreibt und gemeinsame Grundmechanismen wie Spezifika aufzeigt. Unter Einbeziehung der Interviewpartner werden Netzwerksemantiken ausgelotet und verdeckte Dynamiken in den zunächst offen und flexibel wirkenden Arbeitsbeziehungen aufgedeckt: Der Ausbau von Machtasymmetrien, ein zunehmender „Novitätsdruck“ und das Risiko einer „kollektiven Fehlprogrammierung“ stellen die Kehrseite der Netzwerke und ihrer Effekte dar. Denn Netzwerke, so zeigt die Studie von Christine Nippe, können als Basis und Resultat von ökonomischem, symbolischem und sozialem Kapital (im Sinne von Pierre Bourdieu) gefasst werden. Künstler und Kulturvermittler bedienen sich zunehmend solcher meist temporärer, grenzüberschreitender Beziehungszusammenhänge, um gemeinsam Projekte oder Zugänge zu Plattformen auf dem internationalen Markt zu generieren. Gleichzeitig zeigt die ethnographische Arbeit der Autorin, wie in diesen transnationalen, grenzüberschreitenden Beziehungsformen Vertrauen und Konkurrenz koexistieren. Netzwerke zeichnen sich dann durch „Co-opetition“ aus.

Ihre durchaus kritische Bilanz nimmt Ansätzen wie den „Regeln der Komplizenschaft“ einer Züricher Forschungsgruppe um Gesa Ziemer (http://www.ith-z.ch/komplizenschaft/index/home), die mit augenzwinkernder Ironie taktisch verdeckte Zusammenschlüsse affirmiert, die vermeintliche Leichtigkeit. Netzwerke dienen, so fasst die Autorin zusammen, der Realisierung von oftmals unterschiedlichen, parallel laufenden Einzelinteressen in der Arbeitspraxis und erhalten ihre Stärke durch die Kombination von Kompetenzen und Ressourcen, führen aber zu unterschiedlich ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnissen (angelehnt an den Ressource Dependance Ansatz von Sydow). Der „blinde Fleck“ in der eigenen Systemdynamik ebenso wie die strategische Knüpfung von Netzwerken werde jedoch oftmals von den Akteuren durch die Betonung des „Zufalls“ überdeckt. Aus Angst, die eigene Position und Strategie in ihren Konsequenzen zu hinterfragen?

In ihrem Ausblick skizziert Nippe „en miniature“, wie eine Analyse des transnationalen sozialen Raumes aussehen könnte, der durch die Kommunikations- und Bewegungsmuster hochmobiler Akteure im Kulturbereich konstituiert wird. Dafür gibt die Autorin einen dezidierten Überblick zur internationalen theoretischen Debatte um Transnationalismus in Cultural Anthropology, Kunst- und Kulturwissenschaften und zieht aktuelle Forschungsansätze heran, die eine soziale Perspektive transnationaler Bezüge betonen. Zwischen der geografischen und der Beziehungsperspektive vermittelnd, beschreibt Nippe, wie ihre Interviewpartner eine Erweiterung des Raums durch ihre Bewegung und Interaktion erfahren. In dynamischen Kommunikationsprozessen, die auf der Einschätzung des jeweiligen lokalen Kontextes und einer Sensibilität für das „Andere“ basieren, entwickeln sie eine eigene „innere Landkarte“, die geografische Perspektiven aufgrund persönlicher und professioneller Bezüge und Bezugsorte verschiebt.

Ihr „transnationales Kapital“, so Nippe, das aus erhöhter Mobilität und Präsenz an prestigeträchtigen Orten und Veranstaltungen generiert wird, weist allerdings auch auf eine hohe Konkurrenzsituation hin, die über Informations- und Machtverdichtungen, Exklusionsmechanismen sowie nationale Zuordnungen das transnationale Netz (ver)formt.

Auf welche Weise die Autorin ihre Untersuchung zur transnationalen Alltagspraxis fortführen und in das noch heterogene, kaum erschlossene Theoriefeld zum Transnationalismus einflechten wird, bleibt als Neugier erweckende Frage für die nächsten Forschungsschritte erhalten.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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