A. Luttenberger (Hrsg.): Katholische Reform und Konfessionalisierung

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Titel
Katholische Reform und Konfessionalisierung.


Herausgeber
Luttenberger, Albrecht P.
Reihe
Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte der Neuzeit, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 17
Erschienen
Anzahl Seiten
574 S.
Preis
€ 139,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang E.J. Weber, Institut für Europäische Kulturgeschichte, Universität Augsburg

Der reihentypisch solide gestaltete Band bietet neben einer knapp 90seitigen Einleitung insgesamt 135 als einschlägig erachtete Quellen in nach entsprechenden Phasen – vor der Reformation, von der Reformation bis zum Ende des Konzils von Trient, nach dem Konzil – und in einem Fall dem Hauptakteur – die Jesuiten vor und nach Trient (hier fehlt im Inhaltsverzeichnis die Seitenangabe) – geordneter Folge. Allerdings kommen nur sehr wenige Dokumente erstmals zum Druck; die meisten konnten aus vorliegenden, oft verstreuten Editionen herangezogen werden, bedurften vielfach jedoch der Übersetzung hauptsächlich aus dem Lateinischen und Italienischen. Auf diese Weise werden ein Zeitraum von 1454 bis 1640 sowie entsprechende Vorgänge vor allem in Bayern, Köln, Trier, Mainz und Teilen Österreichs abgedeckt. Als einschlägig aufgenommen wurden Diagnosen, Vorschläge und Maßnahmen hauptsächlich zur Kloster- und Klerusreform sowie zu den diversen Versuchen einer Verbesserung des christlichen Lebens und der Abwehr der Ketzer, aber auch die Kommunikation der örtlich Verantwortlichen mit der päpstlichen Zentrale und deren wechselseitige Widrigkeiten und Mängel kommen anschaulich zur Sprache. Obwohl fast alle Zeugnisse unvermeidlich die Perspektive von oben reproduzieren, also die Wahrnehmungen, Einschätzungen und Praktiken der Obrigkeit zeigen, werden insbesondere im Spiegel von Visitationsberichten auch Situationen und Entwicklungen ‚unten’, bei den gemeinen Gläubigen, plastisch deutlich. Erkennbar werden ferner die Existenz und das Gegeneinander von zelotisch-fundamentalistischen und geschmeidigeren ‚politischen’ Fraktionen im Papsttum und in den sonstigen Kirchenführungen, die Ambivalenz der Konzilsidee bzw. -reformen, die spezifischen Hemmnisse, welche die Reichsverfassung einer systematischen päpstlich-katholischen Strategie in den Weg legte, und nicht zuletzt immer wieder die Vergeblichkeit der konsequenten Durchsetzung aller Vorschriften.

Die Einleitung des Herausgebers bietet einerseits einen durchaus kritischen Überblick über den derzeitigen Stand der Diskussion um das Konfessionalisierungsparadigma im Allgemeinen und im Besonderen, andererseits einen gelungenen Überblick über die wichtigsten historischen Konturen der Sache selbst. „Die Reichweite des Konfessionalisierungskonzepts“ sei durchaus „begrenzt“. „Die Genese und der Ausbau frühmoderner Staatlichkeit und der postulierte Prozess sozialer Disziplinierung zu reflektierter Lebensführung, Affektkontrolle und Fügsamkeit lassen sich kaum ausschließlich oder primär aus der Konfessionalisierung bzw. dem Vollzug konfessioneller Standards erklären. Festzuhalten bleibt viel mehr, dass im Gesamtbild nicht nur diejenigen Bereiche und Sektoren einzurechnen sind, die wie z.B. die spät-humanistische Gelehrsamkeit, das staatliche Finanzwesen [...], die wirtschaftliche Ordnung etc. einer tiefgreifenden konfessionellen Prägung unzugänglich waren, sondern auch die außerkonfessionellen Faktoren und Konzepte, deren Rationalisierungspotential die sich anbahnende Entwicklung zur Moderne nachhaltig beeinflusste.“ „Eine ‚fundamentale’ Steuerungsfunktion“ sei der Konfessionalisierung „in der Vorbereitung der Moderne“ demnach „offenbar nicht“ zugekommen (S. 3). Anstatt als „von oben organisierter Zwangsmechanismus mit Erfolgsgarantie“ stelle sich die moderne Forschung Konfessionalisierung besser als „langfristige[n] Kommunikationsprozess“ vor, „der den Betroffenen Raum ließ zur Selektion, zur Modifikation und Resistenz [...], so dass [...] mit unterschiedlichen Rezeptionsgraden und Rezeptionsformen zu rechnen ist“ (S. 4). Schließlich lasse sich „die jeweilige religiös-theologische Option“, also der dogmatische Inhalt der jeweiligen Konfession, „als Wirkungsfaktor nicht grundsätzlich ausklammern“ (S. 5).

Der kundige Leser wird dem verdienten Regensburger Frühneuzeithistoriker dankbar sein, an dieser Stelle nicht den Einwurf vornehmlich einer neuen katholischen Konfessionalisierungsforschung übernommen zu haben, dass nämlich die Begründer und Hauptvertreter des Konfessionalisierungsparadigmas Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling die Wahrheitsfrage nicht stellten. Er wird allerdings möglicherweise auch fragen, warum in der Quellenauswahl die angesprochenen kritischen Perspektiven nicht doch stärkere Berücksichtigung erfahren haben. Diese Ansätze scheinen mir im Übrigen auf ein grundsätzliches konzeptionelles Problem hinzuweisen. Im ursprünglichen Konfessionalisierungsansatz kommt der Konfessionalisierungskonkurrenz eine prominente Stellung zu. Diese sich zuspitzende, im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert bekanntermaßen großflächig kriegerisch entladende Konfessionalisierungskonkurrenz bestand keineswegs nur in einem Verchristlichungswettbewerb, wie ihn sich die Frühneuzeitforschung mittlerweile vorwiegend zu eigen gemacht hat und er hier fast ausschließlich dargestellt wird. Vielmehr ging es zumindest phasenweise um nichts weniger als auch einen Existenzkampf, der als solcher eben doch kaum einen Sektor und Faktor der damaligen Welt unbeeinflusst ließ. Jeder Quellen- und Darstellungsband, der sich der Konfessionalisierung im Rahmen einer bestimmten Konfession widmet, drängt diese übergreifende, z.B. sogar die politischen Erfolgsrezepte des Machiavellismus zustimmungsfähig machende Rivalität an den Rand, diejenige Ausprägung der Konkurrenz also, über die die historische Wirksamkeit des Vorgangs erst eigentlich erfasst werden kann. Mit anderen Worten, auch der vorliegende, nur sehr selten noch unter Registermängeln (z.B. der S. 514 erwähnte Ort Paden ist im Ortsindex nicht verzeichnet) leidende, ansonsten aber gelungene Band unterstreicht, dass letztlich auch eine Quellensammlung erforderlich ist, die genau diese Rivalität, die gegenseitigen Prozesse der Aufschaukelung. Aufrüstung, der Dynamik usw. dokumentiert.

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